Libidostörungen der Frau – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Die Pathogenese von Libidostörungen bei Frauen ist komplex und multifaktoriell. Es spielen sowohl neurobiologische, hormonelle, psychische, als auch soziale und partnerschaftliche Faktoren eine Rolle. Eine Störung kann durch eine Kombination dieser Einflüsse entstehen, und das Zusammenspiel der verschiedenen Systeme muss verstanden werden, um die zugrunde liegende Ursache einer verminderten sexuellen Lust zu identifizieren.

Neurobiologische Faktoren

  • Dopaminerges System: Dopamin spielt eine Schlüsselrolle bei der Steuerung des sexuellen Verlangens (Libido). Ein hohes Niveau an Dopamin im Gehirn wird mit einer verstärkten sexuellen Motivation assoziiert. Dopamin wirkt stimulierend auf das Lustempfinden und den Sexualtrieb. Störungen im dopaminergen System (z. B. durch Medikamente oder neurologische Erkrankungen) können daher eine Abnahme der Libido verursachen.
  • Serotonin-System: Serotonin hat einen hemmenden Einfluss auf das sexuelle Verlangen. Erhöhte Serotoninspiegel, wie sie etwa durch die Einnahme von selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRIs) zur Behandlung von Depressionen auftreten, können die Libido dämpfen. Diese Hemmung tritt häufig als Nebenwirkung bei der pharmakologischen Behandlung von Depressionen auf.

Hormonelle Faktoren

  • Androgene: Testosteron, das auch bei Frauen in geringen Mengen gebildet wird, ist wesentlich für die Aufrechterhaltung der Libido. Die Androgenproduktion ist im weiblichen Zyklus in den Thekazellen der Ovarien (Eierstöcken) um den Zeitpunkt des Eisprungs am höchsten. Dieser Anstieg wird mit einem erhöhten sexuellen Verlangen verbunden. Nach der Ovulation sinkt die Testosteronproduktion wieder, was in der Regel mit einer Abnahme der Libido korreliert. Eine verminderte Androgenproduktion, wie sie in den Wechseljahren oder unter hormoneller Kontrazeption auftritt, kann zu einem Verlust der Libido führen.
  • Östrogene: Die Östrogenspiegel beeinflussen das sexuelle Verlangen indirekt, da sie den vaginalen Blutfluss und die Lubrikation (Austritt von schleimiger Gleitflüssigkeit) unterstützen, was die sexuelle Erregbarkeit fördert. In der Menopause, wenn die Östrogenspiegel sinken, berichten viele Frauen über eine Abnahme der Libido und eine Zunahme von Beschwerden wie Dyspareunie (Schmerzen beim Geschlechtsverkehr), die das sexuelle Interesse weiter mindern können.
  • Sexualhormon-bindendes Globulin (SHBG): Unter dem Einfluss hormoneller Kontrazeptiva (z. B. östrogen- und gestagenhaltige Pillen) erhöht sich die Produktion von SHBG in der Leber, was zu einer Reduktion des frei zirkulierenden, biologisch aktiven Testosterons führt. Dies kann bei einigen Frauen zu einer verringerten Libido führen, da das verfügbare Androgen, das für die sexuelle Motivation benötigt wird, reduziert wird.

Psychologische Faktoren

  • Stress und psychische Belastungen: Stress, Angststörungen und depressive Verstimmungen können die Libido deutlich beeinträchtigen. Psychische Belastungen beeinflussen sowohl das hormonelle Gleichgewicht als auch die neuronalen Systeme, die an der sexuellen Erregung und dem Verlangen beteiligt sind.
  • Körperbild und Selbstwertgefühl: Frauen, die mit ihrem Körperbild oder Selbstwertgefühl unzufrieden sind, neigen oft zu einer verminderten Libido. Negative Gedanken über den eigenen Körper können zu einem Rückzug von sexuellen Aktivitäten führen.
  • Beziehung und Partnerschaft: Konflikte, mangelnde emotionale Nähe oder Kommunikationsprobleme in der Partnerschaft haben einen erheblichen Einfluss auf das sexuelle Verlangen. Ein unbefriedigendes sexuelles Erleben kann auch selbst zu einem Teufelskreis führen, der die Libido weiter mindert.

Soziale und kulturelle Faktoren

  • Soziale Normen und Erwartungen: Gesellschaftliche und kulturelle Einflüsse können ebenfalls das sexuelle Verlangen beeinflussen. Strenge kulturelle Normen oder religiöse Überzeugungen, die Sexualität negativ bewerten, können Hemmungen erzeugen und die Libido reduzieren.
  • Sexuelle Aufklärung und Erziehung: Frauen, die eine mangelnde oder negative sexuelle Aufklärung erlebt haben, könnten Schwierigkeiten haben, ihre eigene Sexualität zu verstehen und positiv zu erleben, was sich ebenfalls auf die Libido auswirken kann.

Medikamentöse Faktoren

  • Psychopharmaka: Antidepressiva, insbesondere Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRIs), sind bekannt dafür, die Libido zu dämpfen. Diese Medikamente beeinflussen den Serotoninspiegel im Gehirn, was die sexuelle Motivation unterdrücken kann.
  • Hormonelle Kontrazeptiva: Wie oben erwähnt, senken hormonelle Verhütungsmittel (insbesondere Kombinationspräparate mit Östrogen und Gestagen) das Niveau von frei verfügbarem Testosteron, was zu einer verringerten Libido führen kann. Frauen, die diese Form der Verhütung nutzen, berichten häufig von einem reduzierten sexuellen Verlangen.

Lebensphasen und reproduktive Gesundheit

  • Menopause: Der Rückgang der Östrogenproduktion während der Menopause führt bei vielen Frauen zu einer Verringerung der Libido. Dies ist häufig mit anderen Symptomen wie Scheidentrockenheit, verminderter Lubrikation und vaginaler Atrophie verbunden, die das sexuelle Erleben erschweren können.
  • Schwangerschaft und Stillzeit: In der Schwangerschaft und insbesondere während der Stillzeit sind die Östrogen- und Androgenspiegel stark verändert. Dies kann entweder zu einer Zunahme oder zu einer Abnahme des sexuellen Verlangens führen, je nach hormoneller Balance und individuellen Faktoren.

Zusammenfassung

Libidostörungen bei Frauen haben eine komplexe Pathogenese, die durch ein Zusammenspiel von neurobiologischen (insbesondere Dopamin und Serotonin), hormonellen, psychischen und sozialen Faktoren gekennzeichnet ist. Hormonelle Veränderungen, insbesondere im Zusammenhang mit Androgenen und Östrogenen, spielen eine zentrale Rolle. Psychische Belastungen, soziale Einflüsse und medikamentöse Faktoren, wie die Einnahme von Antidepressiva oder hormonellen Kontrazeptiva, sind ebenfalls wesentliche Komponenten, die das sexuelle Verlangen beeinflussen können. Die Therapieansätze sind daher individuell und erfordern häufig einen interdisziplinären Ansatz, der sowohl physische als auch psychische Aspekte berücksichtigt.

Ätiologie (Ursachen)

Biographische Ursachen

  • Lebensalter – höheres Alter
  • Störungen in der Eltern-Kind-Beziehung (Tabus in der Erziehung)
  • Sexueller Missbrauch
  • Hormonelle Faktoren – Menopause (Wechseljahre) der Frau

Verhaltensbedingte Ursachen

  • Genussmittelkonsum
    • Alkohol – Übermäßiger Konsum kann durch hormonelle Veränderungen und reduzierte Durchblutung die Libido negativ beeinflussen.
  • Psycho-soziale Situation
    • Partnerschaftsprobleme – Konflikte und fehlende Kommunikation in der Beziehung können das sexuelle Verlangen mindern.
    • Psychische Konflikte – Innere Unsicherheiten und ungelöste persönliche Probleme wirken sich negativ auf die Libido aus.
    • Kontaktstörungen – Unfähigkeit, körperliche Nähe und Zuneigung zuzulassen, beeinträchtigt die sexuelle Beziehung.
    • Angst vor Schmerzen beim Geschlechtsverkehr – Kann zu Vermeidungsverhalten und einem Rückgang des sexuellen Interesses führen.
    • Seelische Traumata wie Missbrauch – Erlebnisse sexuellen Missbrauchs oder anderer traumatischer Ereignisse führen häufig zu Libidoverlust.
    • Stress – Chronischer Stress, insbesondere durch berufliche oder familiäre Belastungen, verringert die Libido.
    • Von der Norm abweichende sexuelle Neigungen – Ungeklärte oder konfliktreiche sexuelle Präferenzen können das sexuelle Verlangen negativ beeinflussen.
    • Abnehmendes Interesse an der Sexualität – Kann durch emotionale Distanzierung, hormonelle Veränderungen oder Überlastung ausgelöst werden.

Krankheitsbedingte Ursachen

Endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten (E00-E90)

  • Akromegalie (Riesenwuchs)
  • Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit)
  • Hyperprolaktinämie (erhöhte Prolaktin-Serumspiegel)
  • Hyperthyreose (Schilddrüsenüberfunktion)
  • Hypogonadismus – Keimdrüsenunterfunktion (hier: Ovarien; Eierstöcke) mit daraus resultierendem Androgenmangel (Mangel an männlichem Geschlechtshormon)
  • Hypothyreose (Schilddrüsenunterfunktion)
  • Morbus Addison (primäre Nebennierenrindeninsuffizienz)
  • Morbus Basedow – Form der Hyperthyreose, die durch eine Autoimmunerkrankung bedingt ist
  • Morbus Cushing – Gruppe von Erkrankungen, die zum Hyperkortisolismus (Hypercortisolismus; Überangebot von Cortisol) führen
  • Perimenopause – Übergangsphase zwischen Prä- und Postmenopause; unterschiedlich langer Zeitraum von Jahren vor der Menopause – etwa fünf Jahre – und nach der Menopause (1-2 Jahre)

Herzkreislaufsystem (I00-I99)

  • Arterielle Verschlusskrankheit (AVK) oder peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK) (engl.: peripheral artery occlusive disease, PAOD): fortschreitende Verengung bzw. Verschluss der die Arme/ (häufiger) Beine versorgenden Arterien, meist aufgrund von Atherosklerose (Arteriosklerose, Arterienverkalkung)Arterienverkalkung)
  • Hypertonie (Bluthochdruck)

Leber, Gallenblase und Gallenwege – Pankreas (Bauchspeicheldrüse) (K70-K77; K80-K87)

  • Leberfunktionsstörungen, nicht näher bezeichnet

Psyche – Nervensystem (F00-F99; G00-G99)

  • Anorexia nervosa (Magersucht)
  • Alkoholkonsum, chronischer
  • Kontaktstörungen
  • Multiple Sklerose (MS)
  • Neurologische Erkrankungen, nicht näher bezeichnet
  • Psychiatrische Erkrankungen wie Angststörung oder Depression
  • Psychische Konflikte
  • Von der Norm abweichende sexuelle Neigungen

Faktoren, die den Gesundheitszustand beeinflussen und zur Inanspruchnahme des Gesundheitswesens führen

  • Stress

Urogenitalsystem (Nieren, Harnwege – Geschlechtsorgane) (N00-N99)

  • Nierenfunktionsstörungen, nicht näher bezeichnet
  • Ovarialinsuffizienz – Keimdrüsenunterfunktion (Ovarien/Eierstöcke) mit daraus resultierendem Androgenmangel (Mangel an männlichem Geschlechtshormon, beispielsweise circa 3-5 Jahre postmenopausal (nach der letzten Regelblutung)
  • Vaginale Atrophie wg. Östrogenmangel (Menopause); klinisches Bild: Scheidentrockenheit, häufige Entzündungen, Brennen, Juckreiz, Rötung und leichte Blutungen der Scheide

Labordiagnosen – Laborparameter, die als unabhängige Risikofaktoren gelten

  • Hyperlipidämie (Fettstoffwechselstörung) wie Hypercholesterinämie oder Hypertriglyzeridämie
  • Testosteron ↓

Medikamente

  • Amphetamine (Orgasmusstörung)
  • Anticholinergika (Erregungsstörung)
  • Antidepressiva 
    • Selektive Serotonin-Reupdate-Hemmer (Libido-, Erregungs- und Orgasmusstörung)
    • trizyklische Antidepressiva (Libido-, Erregungs- und Orgasmusstörung)
    • MAO-Inhibitoren (Orgasmusstörung)
    • Trazodon (Libidostörung)
    • Venlafaxin (Libidostörung)
  • Antipsychotika (Neuroleptika) (Libido- und Orgasmusstörung)
  • Babiturate (Libido-, Erregung- und Orgasmusstörung)
  • Benzodiazepine (Libido- und Erregungsstörung)
  • Chemotherapeutika (Libido- und Erregungsstörung)
  • Histamin-Rezeptorblocker
  • Hormone
    • Antiandrogenwirkende Medikamente – z. B. Cyproteron (Libido-, Erregungs- und Orgasmusstörung)
    • Antiöstrogene – Tamoxifen (Libido- und Erregungsstörung)
    • Aromatasehemmer (Libido- und Erregungsstörung)
    • GnRH-Agonisten (GnRH-Analoga) – z. B. Goserelin (Libido- und Erregungsstörung
    • Hormonelle Kontrazeptiva (Östrogene + Gestagen) → Konzentration von SHGB (Sexualhormon-bindendes Globulin) steigt und das frei verfügbare Testosteron sinkt ab, was mit einer abnehmenden Libido einhergehen kann.
    • Testosteronderivate – z. b. Danazol
  • Indometacin (Analgetikum) (Libidostörung)
  • Kardiovaskuläre/antihypertensive Medikamente, die mit Libidostörung einhergehen können: Betablocker, Clonidin (+ Erregungsstörung), Digoxin (+ Orgasmusstörung), Lipidsenker, Methyldopa, Spironolacton
  • Ketoconazol (Antimykotikum) (Libidostörung)
  • Lithium (Libido-, Erregungs- und Orgasmusstörung)
  • Phenytoin (Antikonvulsivum) (Libidostörung)
  • Sedativa (Orgasmusstörung)

Operationen

  • Ovarektomie (Entfernung beider Eierstöcke) – chirurgisch herbeigeführte Menopause

Weitere Ursachen

  • Abnehmendes Interesse an der Sexualität
  • Stand nach Partus/Geburt eines Kindes (in den ersten Monaten danach verspüren Frauen häufig keine Lust auf Sex)