Legasthenie – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Die Legasthenie, auch bekannt als Lese-Rechtschreibstörung, ist eine komplexe neurobiologische Störung, bei der das Erlernen des Lesens und Schreibens stark beeinträchtigt ist. Die genaue Pathogenese ist multifaktoriell und beinhaltet das Zusammenspiel von genetischen und Umweltfaktoren.

Genetische Prädisposition

Untersuchungen zeigen, dass bis zu 70 % der Lese-Rechtschreibstörungen genetisch bedingt sind. Mehrere Genloci wurden identifiziert, die mit der Entstehung von Legasthenie in Verbindung stehen. Diese Gene beeinflussen die Entwicklung und Funktionsweise des Gehirns, insbesondere die Sprachverarbeitung und visuell-räumliche Fähigkeiten.

  • Genetische Mutationen oder Variationen, die die neuronalen Netzwerke beeinflussen, können zu einer Störung der Sprachwahrnehmung, phonetischen Verarbeitung und Verarbeitung von visuellen Informationen führen, die für das Lesen und Schreiben notwendig sind.
  • Es besteht eine starke familiäre Häufung, was darauf hinweist, dass Legasthenie in vielen Fällen eine erblich bedingte Störung ist.

Störungen in neuronalen Netzwerken

Die neurobiologische Grundlage der Legasthenie betrifft hauptsächlich eine Störung in den neuronalen Netzwerken, die für die Verarbeitung von Sprache und Schrift verantwortlich sind. Studien zeigen Auffälligkeiten in den linken hemisphärischen Sprachzentren des Gehirns, insbesondere in den Bereichen, die für die phonetische Verarbeitung und das Leseverständnis zuständig sind.

  • Eine gestörte Kommunikation zwischen dem temporalen und parietalen Kortex führt zu Problemen in der Phonem-Graphem-Zuordnung (Zuordnung von Lauten zu Buchstaben).
  • Der Gyrus temporalis superior (Teil des Hirns, das für die Sprachverarbeitung entscheidend ist) zeigt bei Betroffenen oft verminderte Aktivität, was die Schwierigkeiten bei der Verarbeitung von Sprachlauten erklärt.

Visuell-räumliche Defizite

Neben der Sprachverarbeitung gibt es Hinweise darauf, dass Legasthenie auch mit visuell-räumlichen Defiziten verbunden ist. Dies betrifft die Fähigkeit, Buchstaben und Wörter korrekt zu erkennen und zu verarbeiten. Störungen in den visuellen Bahnen können zu Verwechslungen von Buchstaben oder Wörtern führen.

Einfluss von Umweltfaktoren

Obwohl genetische Faktoren eine wichtige Rolle spielen, wird die Legasthenie durch Umweltfaktoren beeinflusst. Zu diesen Faktoren gehören:

  • Sprachentwicklung im frühen Kindesalter: Eine verzögerte oder gestörte Sprachentwicklung kann das Risiko für die Entwicklung einer Lese-Rechtschreibstörung erhöhen.
  • Bildungsumfeld: Ein ungünstiges Lernumfeld oder mangelnde Förderung kann die Symptome verschlimmern. Kinder, die in einer spracharmen Umgebung aufwachsen, haben ein höheres Risiko, Legasthenie zu entwickeln.
  • Emotionale und soziale Einflüsse: Stress, Ängste oder familiäre Konflikte können ebenfalls zur Verschlimmerung der Symptome beitragen.

Zusammenfassung

Die Pathogenese der Legasthenie basiert auf einer multifaktoriellen Interaktion zwischen genetischen und umweltbedingten Faktoren. Genetische Mutationen und neuronale Netzwerke, die an der Sprachverarbeitung und visuell-räumlichen Fähigkeiten beteiligt sind, spielen eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung dieser Störung. Umweltfaktoren wie das Bildungsumfeld und die frühkindliche Sprachentwicklung beeinflussen die Ausprägung der Symptome.

Ätiologie (Ursachen)

Biographische Ursachen

  • Genetische Belastung durch Eltern, Großeltern ‒ Kinder von Legasthenikern haben ein stark erhöhtes Risiko, selbst an der Legasthenie zu leiden (bei einem Elternteil circa 50 %, bei beiden Elternteilen deutlich höher); eine genomweite Assoziationsstudie hat 42 Genvarianten aufgespürt, die das Erkrankungsrisiko auf eine Legasthenie beeinflussen [1].
    • Genetisches Risiko abhängig von Genpolymorphismen:
      • Gene/SNPs (Einzelnukleotid-Polymorphismus; engl.: single nucleotide polymorphism):
        • Gene: DCDC2, TDP2
        • SNP: rs807701 im Gen DCDC2
          • Allel-Konstellation: CT (1,88-fach)
          • Allel-Konstellation: CC (2,0-fach bis 5,0-fach)
        • SNP: rs2143340 im Gen TDP2
          • Allel-Konstellation: CT (leicht erhöhtes Risiko)
          • Allel-Konstellation: CC (2,0-fach

Krankheitsbedingte Ursachen

Augen und Augenanhangsgebilde (H00-H59)

  • Störungen der visuellen Wahrnehmung, nicht näher bezeichnet

Weitere

  • Störungen der Wahrnehmung von Sprache und Verarbeitung von Lauten

Literatur

  1. Doust C et al.: Discovery of 42 genome-wide significant loci associated with dyslexia. Nature Genetics 2022 https://doi.org/10.1038/s41588-022-01192-y