Fazialisparese – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Die Fazialisparese ist eine Lähmung der durch den Nervus facialis (VII. Hirnnerv) innervierten Gesichtsmuskulatur, die durch eine gestörte Funktion oder Schädigung des Nerven verursacht wird. Der Nervus facialis ist unter anderem verantwortlich für die motorische Kontrolle der Gesichtsmuskeln, die Geschmacksempfindung, die Speichel- und Tränensekretion sowie die Feinregulierung des Hörens über den Nervus stapedius. Die Pathogenese der Fazialisparese unterscheidet sich je nach zentraler oder peripherer Nervenschädigung und dem betroffenen Bereich des Nervs.

Zentrale Fazialisparese

Die zentrale Fazialisparese entsteht durch eine Schädigung des zentralen Nervensystems (ZNS), meist im Bereich des Gehirns, bevor der Nervus facialis den Hirnstamm verlässt. Typisch für diese Form der Parese ist, dass sie nur die untere Gesichtshälfte der gegenüberliegenden Seite (kontralateral) betrifft, da die oberen Gesichtsmuskeln eine doppelseitige (bilaterale) Innervation durch beide Hemisphären des Gehirns haben.

Die zentrale Schädigung kann durch eine Störung der kortikobulbären Bahn (motorische Bahn zwischen Hirnrinde und Hirnstamm) verursacht werden, was zu einer fehlerhaften Signalübertragung an die unteren motorischen Neurone im Fazialiskern führt. In der Folge kommt es zur unvollständigen Aktivierung der Gesichtsmuskulatur, vor allem im unteren Gesichtsbereich.

Periphere Fazialisparese

Die periphere Fazialisparese entsteht durch eine Schädigung des Nervus facialis nach dem Austritt aus dem Hirnstamm. Diese Form betrifft typischerweise die gesamte ipsilaterale Gesichtshälfte (gleiche Seite der Schädigung), da der gesamte Nerv oder dessen Äste geschädigt sind.

Die Pathogenese der peripheren Fazialisparese ist oft mit einer Schwellung und Entzündung des Nervus facialis im engen Fazialiskanal (Canalis facialis) verbunden, was zu einer Kompression des Nervs führt. Diese Kompression behindert die Blutversorgung und Nervenleitung, was zu einer gestörten Funktion und letztlich zur Lähmung führt. Eine gestörte Axonleitung und eine mögliche Demyelinisierung (Verlust der Myelinscheide um die Nervenzellen) tragen ebenfalls zur Funktionsstörung bei.

Idiopathische Fazialisparese (Bell-Parese)

Bei der idiopathischen Fazialisparese, auch bekannt als Bell-Parese, wird angenommen, dass eine Reaktivierung des Herpes-simplex-Virus (HSV-1) eine entzündliche Reaktion im Bereich des Nervus facialis auslöst. Diese Reaktivierung führt zu einer zellulären Entzündungsreaktion, die den Nerv in seinem Verlauf durch den knöchernen Kanal beeinträchtigt, was die Nervenfunktion weiter stört. Es kommt zu einer Schwellung und entzündlichen Infiltration des Nervs, was eine Kompression und damit eine temporäre Funktionsstörung verursacht.

Auswirkungen auf die Gesichtsmuskulatur

Die Fazialisparese beeinträchtigt die Fähigkeit der Gesichtsmuskulatur, sich zu kontrahieren, was zu Gesichtsasymmetrien, einem herabhängenden Mundwinkel, fehlendem Lidschluss und einem Verlust der Mimik auf der betroffenen Seite führt. Abhängig vom Ausmaß der Schädigung können auch andere Funktionen, wie die Tränensekretion, die Geschmacksempfindung und die Speichelproduktion, beeinträchtigt sein, wenn Äste des Nervus facialis wie die Chorda tympani (für Geschmack und Speicheldrüsen) oder der Nervus petrosus major (für die Tränendrüsen) betroffen sind.

Zusammenfassung

Die Pathogenese der Fazialisparese variiert je nach Schädigung des zentralen oder peripheren Nervensystems. Die zentrale Fazialisparese betrifft die untere Gesichtshälfte aufgrund einer Schädigung der kortikobulbären Bahn, während die periphere Fazialisparese meist die gesamte ipsilaterale Gesichtshälfte betrifft und durch Entzündungen, Kompression oder virale Reaktivierung im Bereich des Nervus facialis verursacht wird.

Ätiologie der zentralen Fazialisparese

Krankheitsbedingte Ursachen

Herzkreislaufsystem (I00-I99)

  • Angiom ‒ tumorartige Gefäßneubildung
  • Apoplex (Schlaganfall)
  • Hirnblutungen, nicht näher bezeichnet

Neubildungen – Tumorerkrankungen (C00-D48)

  • Hirntumoren, nicht näher bezeichnet

Psyche – Nervensystem (F00-F99; G00-G99)

  • Pseudobulbärparalyse ‒ Erkrankung, die durch eine Läsion des Tractus corticobulbaris (corticonuclearis) bedingt ist

Ätiologie (Ursache) der peripheren Fazialisparese

Biographische Ursachen

  • Hormonelle Faktoren – Schwangerschaft und Wochenbett wirken prädisponierend; in der Schwangerschaft ist das Erkrankungsrisiko für die idiopathische periphere Fazialisparese um das Dreifache erhöht [1]

Krankheitsbedingte Ursachen

Angeborene Fehlbildungen, Deformitäten und Chromosomenanomalien (Q00-Q99)

  • Möbius-Kernaplasie ‒ angeborene Störung, die neben der Fazialisparese zu weiteren Hirnnervenausfällen führt (Erbgang: sporadisches Auftreten)

Bestimmte Zustände, die ihren Ursprung in der Perinatalperiode haben (P00-P96)

  • Geburtslähmung (Verletzung des Nervus facialis) ‒ insbesondere erhöhtes Risiko bei Zangengeburt (lat. Forceps) 

Blut, blutbildende Organe – Immunsystem (D50-D90)

  • Sarkoidose (Synonyme: Morbus Boeck; Morbus Schaumann-Besnier) – systemische Erkrankung des Bindegewebes mit Granulombildung (Haut, Lunge und Lymphknoten)

Endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten (E00-E90)

  • Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit) ‒ vor allem in Kombination mit arterieller Hypertonie (Bluthochdruck)

Herzkreislaufsystem (I00-I99)

  • Apoplex – Läsion des kontralateralen Kortex oder kortikobulbärer Bahnen nach ischämischem Infarkt
  • Aneurysma (Wandaussackung) der Arteria vertebralis (Wirbelsäulenarterie)
  • Ischämiebedingt (wg. Infarkt, Blutung, Tumor) ‒ bedingt durch eine Minderversorgung des Nerven mit Nährstoffen

Infektiöse und parasitäre Krankheiten (A00-B99)

  • Infektionen:
    • Herpes simplex-Virus-1 (HSV-1) – Zoster oticus
    • Varizella-Zoster-Virus (VZV; auch Varicella-Zoster-Virus – bei Verdacht auf Zoster oticus, wobei Rötung, Ödem (Schwellung), Bläschenbildung im Ohrbereich oder am Trommelfell und eine Otalgie (Schmerzen in der Ohrregion) hinweisend sind
    • seltene Virusinfektionen: EBV, CMV, HPV-B19, HIV, Entero-Viren, Mumps-, Masern-, Röteln-Virus, Adeno- und Influenza-Viren
    • Borreliose (Bakterien aus der Gruppe der Borrelien (Spirochäten))
    • SARS-CoV-2 (Synonyme: neuartiges Coronavirus (2019-nCoV); 2019-nCoV (2019-novel Coronavirus; Coronavirus 2019-nCoV); Wuhan-Coronaviru) – bei der Infektion der Atemwege mit dem SARS-CoV-2 kommt es zu einer atypischen Pneumonie, die den Namen COVID-19 (engl. coronavirus disease 2019, Coronavirus-Krankheit-2019) erhalten hat; Letalität 2,3 %
    • seltene bakterielle Infektionen: Diphtherie (Corynebacterium diphtheriae), Ehrlichiose (Bakterium Ehrlichia canis), Leptospiren, M. pneumoniae, Bartonella henselae, Rickettsien (Bakterien der Gattung Rickettsia; z. B. Mittelmeerregion)

Muskel-Skelett-System und Bindegewebe (M00-M99)

  • Granulomatose mit Polyangiitis (GPA), ehemals Wegenersche Granulomatose − nekrotisierende (Gewebe absterbende) Vaskulitis (Gefäßentzündung) der kleinen bis mittelgroßen Gefäße (Kleingefäßvaskulitiden), welche mit einer Granulombildung (Knötchenbildung) in den oberen Atemwegen (Nase, Nasennebenhöhlen, Mittelohr, Oropharynx) sowie den unteren Atemwegen (Lunge) einhergeht
  • Sjögren-Syndrom (Gruppe der Sicca-Syndrome) – Autoimmunerkrankung aus der Gruppe der Kollagenosen, die zu einer chronisch entzündlichen Erkrankung der exokrinen Drüsen, am häufigsten der Speichel- und Tränendrüsen, führt; typische Folgeerkrankungen bzw. Komplikationen des Sicca-Syndroms sind:
    • Keratokonjunktivitis sicca (Syndrom des trockenen Auges) aufgrund fehlender Benetzung von Horn- und Bindehaut mit Tränenflüssigkeit
    • erhöhte Kariesanfälligkeit durch Xerostomie (Mundtrockenheit) aufgrund verminderter Speichelsekretion
    • Rhinitis sicca (trockene Nasenschleimhäute), Heiserkeit und chronischer Hustenreiz sowie eine gestörte Sexualfunktion durch Störung der Schleimdrüsenproduktion des Respirationstraktes und der Genitalorgane

Neubildungen – Tumorerkrankungen (C00-D48)

  • Akustikusneurinom (AKN) ‒ gutartiger Tumor, der von den Schwann'schen Zellen des vestibulären Anteils des VIII. Hirnnerven, dem Hör- und Gleichgewichtsnerven (Nervus vestibulocochlearis), ausgeht und im Kleinhirnbrückenwinkel oder im inneren Gehörgang gelegen ist.
    Das Akustikusneurinom ist der häufigste Kleinhirnbrückenwinkeltumor. Mehr als 95 % aller AKN sind einseitig. Bei Vorliegen von Neurofibromatose Typ 2 tritt das Akustikusneurinom hingegen typischerweise beidseitig auf.
  • Bösartige Parotistumoren ‒ Neubildungen der Ohrspeicheldrüse
  • Meningeome, Glomustumor – ausgehend vom Kleinhirnbrückenwinkel, oft weitere Hirnnervenausfälle
  • Tumoren (Neubildungen) an der Schädelbasis, Hirnstamm oder Kleinhirnbrückenwinkel
  • Tympanales Faszialisschwannom (Paukenhöhle (Tympanum) oder das Trommelfell (Membrana tympani) betreffend); Schwannome (s. u. Akustikusneurinom) des N. facialis sind mit einer Inzidenz von 0,38 % selten; betreffen häufig mehrere Segmente des Fazialisverlaufs

Ohren – Warzenfortsatz (H60-H95)

  • Cholesteatom ‒ Einwucherung von mehrschichtigem verhornendem Plattenepithel in das Mittelohr mit nachfolgender chronisch-eitriger Entzündung
  • Mastoiditis (Warzenfortsatzentzündung)
  • Otitis media (Mittelohrentzündung)
  • Parotitis (Ohrspeicheldrüsenentzündung)

Psyche – Nervensystem (F00-F99; G00-G99)

  • Guillain-Barré-Syndrom (GBS; Synonyme: Idiopathische Polyradikuloneuritis, Landry-Guillain-Barré-Strohl-Syndrom); zwei Verlaufsformen: akute inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie bzw. chronische inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie (Erkrankung des peripheren Nervensystems); idiopathische Polyneuritis (Erkrankungen mehrerer Nerven) der spinalen Nervenwurzeln und peripheren Nerven mit aufsteigenden Lähmungen und Schmerzen; tritt meist nach Infektionen auf
  • Meningitis (Hirnhautentzündung)
  • Multiple Sklerose (MS)
  • Polyneuritis ‒ Entzündung mehrerer Nerven
  • Progressive Bulbärparalyse ‒ Erkrankung, bei der es zum Ausfall motorischer Hirnnervenkerne kommt und zur Gruppe der spinalen Muskelatrophien (Muskelschwund, der durch einen fortschreitenden Untergang von motorischen Nervenzellen im Vorderhorn des Rückenmarks verursacht wird) gehört
  • Syringobulbie ‒ Erkrankung des verlängerten Rückenmarks, die mit dessen Zerstörung einhergeht

Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett (O00-O99)

  • Schwangerschaft und Wochenbett wirken prädisponierend; in der Schwangerschaft ist das Erkrankungsrisiko für die idiopathische periphere Fazialisparese um das Dreifache erhöht [1]

Verletzungen, Vergiftungen und andere Folgen äußerer Ursachen (S00-T98)

  • Felsenbeinfrakturen
  • Schädelbasisbruch
  • Schädel-Hirn-Trauma (SHT)
  • Traumatisch bedingt ‒ nach Verletzungen (im Säuglingsalter: Geburtstraumen)
  • Vergiftungen, nicht näher bezeichnet

Medikamente

  • COVID-19-Impfung

Weitere Ursachen

  • Idiopathisch ‒ eine Ursache wird nicht gefunden (60-80 % der Fälle: idiopathische Fazialisparese oder Bell-Parese)
  • Nach Operationen am Ohr oder vor allem an der Parotis (Ohrspeicheldrüse); nach operativer Entfernung gutartiger Parotistumoren (pleomorphe Adenome oder Warthin-Tumoren) wiesen 40,2 % der Patienten am ersten Tag nach der Operation eine Fazialisparese auf; nach zwei Wochen postoperativ 28,3 %, nach sechs Monaten 3,9 % und nach einem Jahr 1,6 % der Patienten [2].

Literatur

  1. Hellebrand MC et al. (2006) Das Mona-Lisa Syndrom – die periphere Fazialisparese in der Schwangerschaft. Z Geburtsh Neonatol 210:126-134
  2. Ruohoalho J et al.: Complications after surgery for benign parotid gland neoplasms: A prospective cohort study. Head Neck 2016, online 30. April; doi: 10.1002/hed.24496