Epilepsie – Anamnese
Die Anamnese (Krankengeschichte) stellt einen wichtigen Baustein in der Diagnostik der Epilepsie dar, da die körperliche Untersuchung und die Laborwerte meist normal sind.
Familienanamnese
- Wie ist der allgemeine Gesundheitszustand Ihrer Angehörigen?
- Bestehen aktuell Infektionen in Ihrer Familie? Wenn ja, welche?
- Gibt es in Ihrer Familie bekannte neurologische Erkrankungen wie Epilepsie, Migräne, Schlaganfälle oder neurodegenerative Erkrankungen (z. B. Morbus Alzheimer, Demenz, Morbus Parkinson)?
- Gibt es genetisch bedingte Erkrankungen, die mit Epilepsie einhergehen können (z. B. Angelman-Syndrom, tuberöse Sklerose, Dravet-Syndrom)?
Soziale Anamnese
- Beruf:
- Welchen Beruf üben Sie aus?
- Sind Sie in Ihrem Beruf gefährdenden Bedingungen ausgesetzt (z. B. Arbeiten in Höhen, Maschinenarbeit)?
- Haben sich Ihre Arbeitsfähigkeit oder Freizeitaktivitäten aufgrund der Beschwerden verändert?
- Gibt es psychosoziale Belastungen oder Stressfaktoren, die Ihre Beschwerden beeinflussen könnten?
Aktuelle Anamnese/Systemanamnese (somatische und psychische Beschwerden)
- Beschreibung der Anfälle:
- Symptome vor einem Anfall:
- Hatten Sie Vorzeichen (Aura)? Wenn ja, welche (z. B. Lichtblitze, Geruchswahrnehmungen, Schwindel, Taubheit)?
- Anfallsbeginn:
- Wie beginnt ein Anfall (plötzlich, langsam, mit Vorzeichen)?
- Anfallsverlauf:
- Sind Verkrampfungen oder Muskelzuckungen aufgetreten?
- Betraf der Anfall nur eine Körperseite, eine Extremität oder den gesamten Körper?
- Gab es unwillkürliche Bewegungen (z. B. Schmatzen, Kaubewegungen, Nesteln mit den Händen)?
- Anfallsdauer:
- Wie lange dauern die Anfälle in der Regel (wenige Sekunden, Minuten)?
- Wie lange dauert es, bis Sie sich nach einem Anfall wieder normal fühlen?
- Symptome während eines Anfalls:
- Tritt eine Bewusstlosigkeit auf?*
- Können Sie sich an alles erinnern?
- Kam es zu Zungenbissen?
- Haben Sie unwillkürlich Wasser gelassen?
- Haben Sie Halluzinationen, Schweißausbrüche, Gänsehaut oder Taubheitsgefühle bemerkt?
- Waren Sprach-, kognitive Störungen (z. B. Gedächtnis-, Konzentrations-, Wahrnehmungsstörungen) oder affektive Störungen (z. B.Depression, Angststörung) während oder nach dem Anfall vorhanden?
- Häufigkeit und Auslöser:
- Wie oft treten die Anfälle auf?
- Gibt es auslösende Faktoren (z. B. Schlafmangel, Alkohol, Stress, Lichtblitze)?
- Symptome vor einem Anfall:
- Gab es Fieberkrämpfe im Kindesalter?
Vegetative Anamnese inkl. Ernährungsanamnese
- Haben Sie in der letzten Zeit auf eine ausgewogene Ernährung geachtet?
- Rauchen Sie? Wenn ja, wie viele Zigaretten, E-Zigaretten, Zigarren oder Pfeifen pro Tag?
- Trinken Sie Alkohol? Wenn ja, welche Getränke und wie viele Gläser pro Tag?
- Nehmen Sie Drogen? Wenn ja, welche Drogen (z. B. Amphetamine, Cannabis, Kokain) und wie häufig?
Eigenanamnese inkl. Medikamentenanamnese
- Vorerkrankungen:
- Bestehen neurologische oder psychiatrische Vorerkrankungen (z. B. Schlaganfälle, Migräne, Depressionen, Angststörungen)?
- Haben Sie bereits andere chronische Erkrankungen (z. B. Diabetes mellitus, Herz-Kreislauf-Erkrankungen), die Ihre Beschwerden beeinflussen könnten?
- Verletzungen und Operationen:
- Hatten Sie Kopfverletzungen oder ein Schädel-Hirn-Trauma?
- Gab es in der Vergangenheit Operationen, die mit Ihren Beschwerden zusammenhängen könnten?
- Medikamentenanamnese:
- Nehmen Sie aktuell Medikamente (z. B. Antiepileptika)?
- Haben Sie in der Vergangenheit Medikamente eingenommen, die bekanntermaßen Krampfanfälle oder neurologische Nebenwirkungen auslösen können (z. B. Benzodiazepine, Psychostimulanzien)
- Haben Sie jemals Schwierigkeiten, Ihre Medikamente regelmäßig einzunehmen (Non-Compliance)?
Medikamentenanamnese
- Analgetika (Schmerzmittel)
- Antibiotika
- Direkte orale Antikoagulantien, kurz DOAK bzw. NOAK (neue orale Antikoagulantien) – Patienten mit Vorhofflimmern haben unter DOAKs ein höheres Risiko für Epilepsie bzw. Krampfanfälle als mit Phenprocoumon (Vitamin-K-Antagonisten (VKA): Marcumar, Falithrom, weitere Generika) [2].
Hinweis: Die Autoren weisen darauf hin, dass unter Phenprocoumon möglicherweise der Schutz vor stummen Hirninfarkten besser ist als unter DOAK. - Flumazenil – Gegenmittel bei Beruhigungsmittelvergiftung – kann bei Beruhigungsmittelabhängigkeit zu Krampfanfällen führen
- Immunsuppressiva – Medikamente, die die körpereigene Abwehr drosseln
- Lokalanästhetika – Mittel zur örtlichen Betäubung
- Methylphenidat – Risiko eines epileptischen Anfalls in den ersten 30 Tagen der Methylphenidattherapie erhöht [1]
- Psychopharmaka – Medikamente, die bei psychischen Erkrankungen eingesetzt werden
- Theophyllin – Medikament zur Behandlung von Lungenerkrankungen
- Virostatika – Medikamente zur Bekämpfung von Infektionen durch Viren
Umweltanamnese
- Wurden Sie in der Vergangenheit toxischen Substanzen wie Schwermetallen, Pestiziden oder Lösungsmitteln ausgesetzt?
- Gab es Unfälle oder Ereignisse, bei denen Sie einem Sauerstoffmangel (z. B. bei Unfällen oder Narkosezwischenfällen) ausgesetzt waren?
- Leben oder arbeiten Sie in einer Umgebung mit extremem Lärm, starker Luftverschmutzung oder chemischen Belastungen?
- Achtung: Stroboskoplicht in Klubs → Patienten mit einer bekannten lichtempfindlichen Epilepsie sollten solche Veranstaltungen meiden bzw. Vorsichtsmaßnahmen ergreifen
* Falls diese Frage mit „Ja“ beantwortet worden ist, ist ein sofortiger Arztbesuch erforderlich! (Angaben ohne Gewähr)
Unsere Empfehlung: Drucken Sie die Anamnese aus, markieren Sie alle mit „Ja“ beantworteten Fragen und nehmen Sie das Dokument mit zu Ihrem behandelnden Arzt.
Literatur
- Man KKC et al.: Association between MPH treatment and risk of seizure. Lancet Child Adolesc Health 2020;4:435-43 doi: 10.1016/S2352-4642(20)30100-0.
- Platzbecker K et al.: In atrial fibrillation epilepsy risk differs between oral anticoagulants: active comparator, nested case-control study. Europace 2023; https://doi.org/10.1093/europace/euad087