Depression – Anamnese

Die Anamnese (Krankengeschichte) stellt einen wichtigen Baustein in der Diagnostik der Depression dar.

Familienanamnese

  • Wie ist der allgemeine Gesundheitszustand Ihrer Angehörigen?
  • Gibt es in Ihrer Familie häufig psychische Störungen?
  • Gibt es bipolare oder depressive Störungen in der Familiengeschichte?
  • Gibt es Suizidversuch (Versuch der Selbsttötung) in der Familiengeschichte?

Soziale Anamnese

  • Gibt es Hinweise auf psychosoziale Belastungen oder Belastungen auf Grund Ihrer familiären Situation?
  • Gibt es Hinweise auf einen Mangel an sozialer Unterstützung?

Aktuelle Anamnese/Systemanamnese (somatische und psychische Beschwerden) [1, 2]

  • "Zwei-Fragen-Test" [1]:
    • Fühlten Sie sich im letzten Monat häufig niedergeschlagen, traurig bedrückt oder hoffnungslos?
    • Hatten Sie im letzten Monat deutlich weniger Lust und Freude an Dingen, die Sie sonst gerne tun?
  • Wg. depressiver Stimmung:
    • Haben Sie sich in den letzten zwei Wochen niedergeschlagen oder traurig gefühlt?
    • Gab es Zeiten, an denen Ihre Stimmung besser oder schlechter war?
  • Wg. Interessenverlust und Freudlosigkeit:
    • Haben Sie in der letzten Zeit das Interesse oder die Freude an wichtigen Aktivitäten (Beruf, Hobby, Familie) verloren?
    • Hatten Sie in den letzten zwei Wochen fast ständig das Gefühl, zu nichts mehr Lust zu haben?
  • Wg. erhöhter Ermüdbarkeit und Antriebsmangel:
    • Haben Sie Ihre Energie verloren?
    • Fühlen Sie sich ständig müde und abgeschlagen?
    • Fällt es Ihnen schwer, die Aufgaben des Alltags wie gewohnt zu bewerkstelligen?
  • Zusatzfragen:
    • Verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit:
      • Haben Sie Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren?
      • Haben Sie Mühe, die Zeitung zu lesen, fernzusehen oder einem Gespräch zu folgen?
    • Vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen:
      • Leiden Sie an fehlendem Selbstvertrauen und/oder Selbstwertgefühl?
      • Fühlen Sie sich so selbstsicher wie sonst?
    • Gefühle von Schuld und Wertlosigkeit:
      • Machen Sie sich häufig Selbstvorwürfe?
      • Fühlen Sie sich häufig schuldig für alles, was geschieht?
    • Negative und pessimistische Zukunftsperspektiven:
      • Sehen Sie die Zukunft schwärzer als sonst?
      • Haben Sie Pläne für die Zukunft?
    • Suizidgedanken/ Suizidhandlungen:
      • Geht es Ihnen so schlecht, dass Sie über den Tod nachdenken oder daran, dass es besser wäre, tot zu sein?*
      • Hatten oder haben Sie konkrete Pläne, sich etwas anzutun?*
      • Haben Sie versucht, sich etwas anzutun?*
      • Gibt es etwas, was Sie am Leben hält?
    • Schlafstörungen:
      • Hat sich an Ihrem Schlaf etwas geändert?
      • Schlafen Sie mehr/weniger als sonst?
      Verminderter Appetit:
      • Hatten Sie mehr/weniger Appetit in der letzten Zeit?
      • Haben sie ungewollt abgenommen?

Die geriatrische Depressionsskala (GDS) gilt derzeit als Goldstandard zur Diagnostik einer Depression bei älteren Menschen; hier die 15-Item-Version [5]:

Item Inhalt 1 Punkt 0 Punkte
1 Sind Sie grundsätzlich mit ihrem Leben zufrieden? Nein Ja
2 Haben Sie viele ihre Aktivitäten und Interessen aufgegeben? Ja Nein
3 Haben Sie das Gefühl, ihr Leben sei unausgefüllt? Ja Nein
4 Ist Ihnen oft langweilig? Ja Nein
5 Sind sie die meiste Zeit gut gelaunt? Nein Ja
6 Haben Sie manchmal Angst, dass ihnen etwas schlimmes zustoßen wird? Nein Ja
7 Fühlen Sie sich die meiste Zeit glücklich? Nein Ja
8 Fühlen Sie sich oft hilflos? Ja Nein
9 Bleiben Sie lieber zu Hause, anstatt auszugehen und Neues zu unternehmen? Ja Nein
10 Glauben Sie, mehr Probleme mit dem Gedächtnis zu haben als die meisten anderen Menschen? Ja Nein
11 Finden Sie, es sei schön jetzt zu leben? Nein Ja
12 Kommen Sie sich in ihrem jetzigen Zustand ziemlich wertlos vor?  Ja Nein
13 Fühlen Sie sich voller Energie? Nein Ja
14 Finden Sie, dass ihre Situation hoffnungslos ist? Ja Nein
15 Glauben Sie, dass es den meisten Leuten besser geht als Ihnen? Ja Nein

Interpretation

  • 0-5 Punkte: normal
  • 6-10 Punkte: leichte bis mittelgradige Depression
  • 11-15 Punkte: schwere Depression

Vegetative Anamnese inkl. Ernährungsanamnese

  • Sind Sie übergewichtig? Geben Sie uns bitte Ihr Körpergewicht (in kg) und Ihre Körpergröße (in cm) an.
  • Hat sich Ihr Gewicht ungewollt verändert?
  • Hat sich Ihr Appetit verändert?
  • Ernähren Sie sich ausgewogen?
  • Leiden Sie unter Schlafstörungen?
  • Leiden Sie unter Verstopfung?
  • Rauchen Sie? Wenn ja, wie viele Zigaretten, Zigarren oder Pfeifen pro Tag?
  • Trinken Sie Alkohol? Wenn ja, welches Getränk bzw. welche Getränke und wie viele Gläser pro Tag?
  • Nehmen Sie Drogen? Wenn ja, welche Drogen (Amphetamine) und wie häufig pro Tag bzw. pro Woche?

Eigenanamnese inkl. Medikamentenanamnese

  • Vorerkrankungen (psychische Störungen/Suizidversuche (Versuch der Selbsttötung), Stoffwechselerkrankungen)
  • Operationen
  • Allergien
  • Medikamentenanamnese

Medikamentenanamnese

  • 5-Alpha-Reduktase Typ II – Finasterid
  • Antiarrhythmika
    • Klasse Ic-Antiarrhythmika (Flecainid)
    • Mexiletin
  • Antibiotika
    • Aminoglykoside (Amikacin, Gentamicin, Netilmicin, Sisomicin, Tobramycin)
    • Chinolone (Ciprofloxacin, Enoxacin, Fleroxacin, Grepafloxacin, Levofloxacin, Lomefloxacin, Ofloxacin, Rosoxacin, Sparfloxacin, Temafloxacin)
  • Antiepileptika (Felbamat, Gabapentin, Lamotrigin, Tiagabin, Topiramat, Valproinsäure/Valproat)
  • Antidepressiva – SSRI und SSNRI: Odds Ratio 1,88 (1,34-2,64); trizyklische Anti­depressiva: Odds Ratio 2,66 (1,45-4,36); Kollektiv: Kindern im Alter von 5 bis 20 Jahren [6]
  • Antihypertensiva [3] – Betablocker und Calciumantagonisten: hazard Ratio 2,11 (95 %-Konfidenzintervall (KI) 1,12-3,98) bzw. 2,28 (95 %-KI 1,13-4,58); stationäre Aufnahme wg. affektiven Störungen (84 % Major-Depression; 15 % bipolare Erkrankung)
    • ACE-Hemmer
    • Betablocker (Propranolol, selten!) – Eine Metaanalyse kommt zu dem Schluss, dass eine hochgradige Evidenz vorliegt, dass kein Risiko für die Auslösung einer Depression unter Betablockertherapie besteht [8].
    • Indolalkoloid (Reserpin)
  • Antimalariamittel (Atovaquon, Mefloquin, Proguanil) 
  • Antiparkinsonmittel
    • anticholinerge (Benzatropin, Biperiden, Bornaprin, Metixen, Orphenadrin, Pridinol, Procyclidin, Trihexyphenidyl )
    • dopaminerge (Amantadin, Cabergolin, Dihydroergocryptinmesilat, Levodopa, Pergolid)
  • Antipsychotika (Neuroleptika) – Chlorpromazin, Chlorprothixen, Clopenthixol, Clozapin, Benperidol, Bromperidol, Butyrophenone, Dixyrazin, Decanoat, Fluanison, Flupentixol, Fluphenazin, Fluspirilen, Haloperidol/-Decanoat, Levomepromazin, Melperon, Metofenazat, Olanzapin, Oxypertin, Perazin, Periciacin, Perphenazin/-Enantat, Phenothiazine, Pimozid, Pipamperon, Promazin, Promethazin, Prothipendyl, Reserpin, Risperidon, Sulforidazin, Thioridazin, Tiotixen, Trifluoperazin, Trifluperidol, Triflupromazin, Zotepin, Zuclopenthixol/-Azetat/-Decanoat
  • Antiviralia (Amantadin)
  • Barbiturate
  • Drogen
  • Finasterid
  • Hormone
    • Antiandrogene (Bicalutamid, Cyproteronazetat, Flutamid)
    • Antiöstrogene (Tamoxifen)
    • Aromatasehemmer (Anastrozol)
    • Gestagene (Levonorgestrel, Lynestrenol, Medroxyprogesteronacetat, Norethisteron)
    • GnRH-Analoga (Goserelin)
    • Glucocorticoide (Cortison, Prednisolon)
    • Östrogene
    • Hormonelle Kontrazeptiva (Empfängnisverhütung durch hormonhaltige Präparate) führten in folgenden Fällen zu einer häufigeren späteren Verordnung von Antidepressiva [4]:
      • Gestagen-haltige Kontrazeptiva: 34 Prozent häufiger (Inzidenzrate IRR 1,34; 95-Prozent-Konfidenzintervall 1,27-1,40),
      • Intrauterin-System mit Levonorgestrel: 40 % häufiger (IRR 1,4; 1,31-1,42)
      • Vaginalring mit Etonogestrel: 60 % häufiger (IRR 1,6; 1,55-1,69)
      • Hormonpflaster mit Norelgestromin: 100 % häufiger (IRR 2,0; 1,76-2,18)
    • Prä- und perimenopausale/vor und um die Menopause herum systemische Hormonersatztherapie (HET) ist mit einem erhöhten Depressionsrisiko assoziiert (insb. in den ersten paar Jahren nach Therapiebeginn); dieses gilt nicht für die lokale Hormonersatztherapie [9].
  • H2-Antihistaminika (Cimetidin, Ranitidin)
  • Immunmodulatoren (Interferon α2, Interferon 2β)
  • Lokalanästhetika (Lidocain, Mepivacain, Procain)
  • Multi-Tyrosinkinaseinhibitor (Vandetanib)
  • Neuroleptika (Tetrabenazin)
  • Nicht-Nukleosidische Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NNRTI)  (Efavirenz, Nevirapin)
  • Nukleosid-Analoga (Abacavir, Didanosin, Lamivudin, Stavudin, Zidovudin)
  • Opioide (Oxycodon)
  • Phosphodiesterase-4-Hemmer/PDE-4-Inhibitor/tsDMARDs (target synthetic DMARDs) (Apremilast)
  • Protonenpumpenhemmer (Protonenpumpeninhibitoren, PPI) – Esomeprazol, Lansoprazol, Omeprazol, Pantoprazol, Rabeprazol
  • Psychotrope Substanzen/Psychostimulanzien (Amphetamine, Modafinil)
  • Retinoide (Acitretin, Isotretinoin)
  • Tyrosinkinaseinhibitoren (TKi) – Vandetanib
  • Virostatika 
    • Nicht-Nukleosidische Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NNRTI) – Efavirenz, Nevirapin, Rilpivirin
    • Nukleosid-Analoga (Abacavir, Foscarnet, Ganciclovir, Ribavirin)
    • Nukleotid-Analoga (Tenofovir)
      Nukleosidische Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NRTI) – Didanosin, Lamivudin, Stavudin, Zalcitabin, Zidovudin
    • Proteaseinhibitoren (PI; Proteasehemmer) – Lopinavir. Ritonavir
  • Zytokine (Interferon ß-1a, Interferon ß-1b, Glatirameracetat)
  • Zytostatika (Pentostatin)

Operationen

  • Präventive Salpingo-Oophorektomie (pSO; Eileiter- und Eierstockentfernung), beidseits in einem Alter ab 35 bis 40 Jahren: bereits 3 Monate nach pSO lag der Anteil von präventiv operierten Frauen mit klinisch signifikanter Depression fast doppelt so hoch wie in der Kontrollgruppe (27,1 versus 14,5 %). Signifikant häufiger traten in der pSO-Gruppe auch Angststörungen auf, die allerdings nach 12 Monaten wieder zurückgingen; die Depressionen blieben bestehen [7].

* Falls diese Frage mit "Ja" beantwortet worden ist, ist ein sofortiger Arztbesuch erforderlich! (Angaben ohne Gewähr)

Literatur

  1. Whooley MA et al.: Case-finding instruments for depression. Two questions are as good as many. J Gen Intern Med, 1997;12(7): 439-45
  2. Rudolf S et al.: Diagnostik depressiver Störungen in Praxis und klinischem Alltag. Dtsch Arztebl, 2006;103(25):A-1754-62.
  3. Boal AH et al.: Monotherapy With Major Antihypertensive Drug Classes and Risk of Hospital Admissions for Mood Disorders. Hypertension 2016;68:1132-1138 doi: http://dx.doi.org/10.1161/HYPERTENSIONAHA.116.08188
  4. Skovlund CW et al.: Association of Hormonal Contraception With Depression. JAMA Psychiatry. 2016 Nov 1;73(11):1154-1162. doi: 10.1001/jamapsychiatry.2016.2387.
  5. Yesavage JA, Brink TL, Rose TL, Lum O, Huang V, Adey M et al.: Development and validation of a geriatric depression screening scale: a preliminary report. J Psychiatr Res. 1982;17(1):37-49. Epub 1982/01/01
  6. Burcu M et al.: Association of Antidepressant Medications With Incident Type 2 Diabetes Among Medicaid-Insured Youths. JAMA Pediatr. Published online October 16, 2017. doi:10.1001/jamapediatrics.2017.2896
  7. Hickey M et al.: What happens after menopause? (WHAM): A prospective controlled study of depression and anxiety up to 12 months after premenopausal risk-reducing bilateral salpingo-oophorectomy Gynecologic Oncology 2012;161(2):527-534 https://doi.org/10.1016/j.ygyno.2021.02.001
  8. Riemer TG, Villagomez Fuentes LE, Algharably EAE et al.: Do β-blockers cause depression? Systematic review and meta-analysis of psychiatric adverse events during β-Blocker therapy. Hypertension 2021; 77:1539-48 doi: 10.1161/HYPERTENSIONAHA.120.16590.
  9. Wium-Andersen MK et al.: Association of Hormone Therapy With Depression During Menopause in a Cohort of Danish Women JAMA Netw Open. 2022;5(11):e2239491. doi:10.1001/jamanetworkopen.2022.39491