Binge Eating Disorder (BED; psychogene Essstörung) – Ursachen
Pathogenese (Krankheitsentstehung)
Die Binge Eating Disorder (BED) ist eine psychogene Essstörung, die durch wiederholte Episoden von unkontrolliertem Essen (Binge Eating) gekennzeichnet ist, ohne dass kompensatorische Maßnahmen wie bei der Bulimia nervosa (z. B. Erbrechen) unternommen werden. Die Pathogenese der BED ist komplex und bislang nicht vollständig geklärt. Es wird jedoch angenommen, dass, ähnlich wie bei anderen Essstörungen (z. B. Anorexia nervosa/Magersucht und Bulimia nervosa/Ess-Brech-Sucht), eine Kombination aus genetischen, psychologischen, neurobiologischen und soziokulturellen Faktoren zur Entstehung beiträgt.
Genetische Faktoren
- Es gibt Hinweise darauf, dass genetische Prädispositionen eine Rolle bei der Entwicklung der BED spielen. Studien zeigen, dass Menschen mit einer familiären Vorbelastung für Essstörungen, Depressionen oder andere psychische Erkrankungen ein erhöhtes Risiko haben, eine BED zu entwickeln. Diese genetische Komponente beeinflusst möglicherweise die Regulation von Appetit und Sättigungsmechanismen sowie die neuronalen Belohnungssysteme im Gehirn.
Neurobiologische Faktoren
- Dopamin und das Belohnungssystem: Störungen im dopaminergen Belohnungssystem des Gehirns werden mit der Entstehung der BED in Verbindung gebracht. Dopamin, ein Neurotransmitter, der für das Gefühl von Belohnung und Freude verantwortlich ist, spielt eine zentrale Rolle bei der Regulation des Essverhaltens. Menschen mit BED zeigen häufig eine erhöhte Sensibilität gegenüber belohnungsbezogenen Reizen wie Essen, was zu wiederholten Binge-Eating-Episoden führt. Es wird vermutet, dass Dysregulationen in den Belohnungssystemen des Gehirns, insbesondere im Zusammenhang mit Dopamin, zu einer gesteigerten Lust auf hochkalorische Lebensmittel führen.
- Serotonin und die Sättigungsregulation: Serotonin, ein weiterer Neurotransmitter, ist eng mit der Regulation des Appetits und des Sättigungsgefühls verknüpft. Störungen in der Serotoninregulation können zu einer verminderten Sättigungswahrnehmung und einem gesteigerten Appetit führen, was Binge-Eating-Episoden begünstigen könnte. Bei Menschen mit BED wurden zudem niedrige Serotoninspiegel festgestellt, die möglicherweise zu einer Beeinträchtigung des Sättigungssignals beitragen.
Psychologische Faktoren
- Emotionale Dysregulation: Ein zentrales Merkmal der BED ist die emotionale Dysregulation, bei der Menschen Schwierigkeiten haben, mit negativen Emotionen wie Angst, Traurigkeit oder Stress umzugehen. Binge Eating wird häufig als Coping-Mechanismus eingesetzt, um unangenehme Emotionen zu unterdrücken oder zu bewältigen. Diese emotionale Essensweise kann sich zu einem Teufelskreis entwickeln, bei dem das unkontrollierte Essen kurzfristig Linderung bringt, aber langfristig zu Schuldgefühlen, Scham und einem verstärkten Essverhalten führt.
- Perfektionismus und niedriger Selbstwert: Ähnlich wie bei anderen Essstörungen kann Perfektionismus und ein niedriges Selbstwertgefühl bei der Entstehung der BED eine Rolle spielen. Betroffene neigen dazu, unrealistische Erwartungen an sich selbst zu stellen und verwenden Essen als eine Möglichkeit, mit Versagensgefühlen oder mangelnder Selbstakzeptanz umzugehen.
Soziokulturelle Faktoren
- Gesellschaftlicher Druck und Schönheitsideale: In modernen Gesellschaften wird häufig ein Schönheitsideal propagiert, das Schlankheit als erstrebenswert darstellt. Dieser gesellschaftliche Druck, der durch Medien und soziale Netzwerke verstärkt wird, kann dazu führen, dass Menschen eine gestörte Körperwahrnehmung entwickeln. Die Unfähigkeit, diesen Idealen zu entsprechen, kann zu Frustration und emotionalem Stress führen, was wiederum Binge-Eating-Episoden auslösen kann.
- Diäten und restriktives Essverhalten: Wiederholte Diäten oder restriktives Essverhalten können ebenfalls zur Entwicklung von BED beitragen. Diäten, die oft zu starkem Hunger und einer verminderten Nahrungszufuhr führen, können Heißhungerattacken und unkontrolliertes Essen zur Folge haben. Nach einem Diätversuch kommt es bei manchen Menschen zu einem Kontrollverlust über das Essverhalten, was Binge-Eating-Episoden zur Folge hat.
Umweltfaktoren und frühkindliche Erlebnisse
- Frühkindliche Traumata: Psychologische Untersuchungen zeigen, dass traumatische Erlebnisse in der Kindheit, wie Missbrauch, Vernachlässigung oder chronischer Stress, die Wahrscheinlichkeit erhöhen, im späteren Leben eine Essstörung wie BED zu entwickeln. Diese frühkindlichen Erfahrungen können die Fähigkeit beeinträchtigen, mit Stress und Emotionen umzugehen, und das Risiko für emotionale Essgewohnheiten steigern.
- Familienumfeld: Ein dysfunktionales familiäres Umfeld, in dem Essen als Bewältigungsstrategie gelehrt oder verstärkt wird, kann ebenfalls zur Entstehung der BED beitragen. Kinder, die in Haushalten aufwachsen, in denen Essen mit emotionalen Belohnungen oder Bestrafungen verknüpft wird, entwickeln häufiger gestörte Essgewohnheiten.
Biopsychosoziales Modell
- Die Entstehung der Binge Eating Disorder wird im Rahmen eines biopsychosozialen Modells erklärt, das besagt, dass genetische Veranlagungen, neurobiologische Dysregulationen, psychologische Faktoren und soziokulturelle Einflüsse zusammenwirken. Diese Faktoren bedingen die individuelle Anfälligkeit für die Entwicklung der Störung, wobei das emotionale Essverhalten eine zentrale Rolle spielt.
Zusammenfassung
Die Pathogenese der Binge Eating Disorder (BED) ist multifaktoriell und beinhaltet genetische Prädispositionen, neurobiologische Dysregulationen (insbesondere im Zusammenhang mit Dopamin und Serotonin), psychologische Faktoren wie emotionale Dysregulation und Perfektionismus sowie soziokulturelle Einflüsse wie gesellschaftlicher Druck und Diäten. Frühkindliche Traumata und familiäre Umstände können das Risiko weiter erhöhen. Diese komplexen Faktoren wirken zusammen, um die individuelle Anfälligkeit für Binge Eating zu verstärken, wodurch Betroffene in einen Teufelskreis aus unkontrolliertem Essen und emotionaler Belastung geraten.
Ätiologie (Ursachen)
Biographische Ursachen
- Genetische Belastung durch Eltern, Großeltern
- Homo- und Bisexualität bei Männern [1]
Verhaltensbedingte Ursachen
- Ernährung
- Immer wiederkehrendes Diätverhalten – insbesondere solche mit starken Einschränkungen, die zu Heißhungerattacken führen können.
- Gezügeltes Essverhalten – übermäßig kontrolliertes Essen, das häufig in unkontrolliertes Binge Eating umschlägt.
- Psycho-soziale Situation
- Beziehungsprobleme – Konflikte in Partnerschaften oder familiäre Spannungen können emotionales Essen fördern.
- Essen als Ersatzbefriedigung – Verwendung von Nahrung, um emotionale Bedürfnisse zu kompensieren.
- Geringes Selbstwertgefühl – ein negatives Selbstbild erhöht die Anfälligkeit für Essstörungen.
- Häufige Diäten – die ständige Beschäftigung mit dem eigenen Gewicht und restriktive Diäten erhöhen das Risiko von Essanfällen.
- Psychiatrische Erkrankungen der Familienangehörigen – insbesondere Depressionen und Angststörungen.
- Vernachlässigung – emotionale oder physische Vernachlässigung in der Kindheit.
- Übergewicht (BMI ≥ 25; Adipositas) – häufig mit Schamgefühlen und restriktiven Essgewohnheiten verbunden.
Weitere Risikofaktoren
- Schlankheitswahn der Gesellschaft – unrealistische Schönheitsideale und sozialer Druck.
- Schwangerschaft – hormonelle Veränderungen und psychische Belastungen können Essstörungen begünstigen.
Literatur
- Feldman MB, Meyer IH: Eating disorders in diverse lesbian, gay, and bisexual populations. International Journal of Eating Disorders 2007. 40;3:218-226