Bewusstseinsstörungen (Somnolenz, Sopor und Koma) – Körperliche Untersuchung
Eine umfassende klinische Untersuchung ist die Grundlage für die Auswahl der weiteren diagnostischen Schritte.
Grundsätzlich muss erst eine Notfalluntersuchung bei bewusstseinseingetrübten Personen durchgeführt werden:
Glasgow Coma Scale (GCS) – Skala zur Abschätzung einer Bewusstseinsstörung [1]
Kriterium | Punktzahl | |
Augenöffnen | spontan | 4 |
auf Aufforderung | 3 | |
auf Schmerzreiz | 2 | |
keine Reaktion | 1 | |
Verbale Kommunikation | konversationsfähig, orientiert | 5 |
konversationsfähig, desorientiert (verwirrt) | 4 | |
unzusammenhängende Worte | 3 | |
unverständliche Laute | 2 | |
keine verbale Reaktion | 1 | |
Motorische Reaktion | befolgt Aufforderungen | 6 |
gezielte Schmerzabwehr | 5 | |
ungezielte Schmerzabwehr | 4 | |
auf Schmerzreiz Beugesynergismen | 3 | |
auf Schmerzreiz Strecksynergismen | 2 | |
keine Reaktion auf Schmerzreiz | 1 |
Beurteilung
- Die Punkte werden für jede Kategorie einzeln vergeben und anschließend addiert. Die maximale Punktzahl ist 15, die minimale 3 Punkte.
- Bei 8 oder weniger Punkten ist von einer sehr schweren Gehirnfunktionsstörung auszugehen und des besteht die Gefahr von lebensbedrohlichen Atmungsstörungen.
- Bei einem GCS ≤ 8 muss eine Sicherung der Atemwege durch endotracheale Intubation (Einführen eines Tubus (Hohlsonde) über Mund oder Nase zwischen den Stimmlippen des Kehlkopfes hindurch in die Luftröhre) erwogen werden.
Vitalfunktionen überprüfen:
- A: Atemweg: frei und sicher? Endotracheale Intubation bei einem GCS ≤ 8 (s. o.)
- B: (Be)Atmung: Atemfrequenz?, Atemarbeit?, Einziehung?, Zyanose?, SpO2?, PCO2? (s. u. Labordiagnostik/Blutgasanalyse)+
- C: Circulation: Herzfrequenz?, 12-Kanal EKG, Blutdruck, Kapillarfüllungszeit ≤ 2 Sekunden
Anschließend erfolgt:
- Allgemeine körperliche Untersuchung – inklusive Blutdruck, Puls, Körpertemperatur, Körpergewicht, Körpergröße; des Weiteren:
- Inspektion (Betrachtung)
- Haut und Schleimhäute [Prellmarken?, Hinweise für Traumafolge?]
- Auskultation (Abhören) des Herzens
- Auskultation der Lunge
- Palpation (Abtasten) des Abdomens (Bauch) (Druckschmerz?, Klopfschmerz?, Hustenschmerz?, Abwehrspannung?, Bruchpforten?, Nierenlagerklopfschmerz?)
- Inspektion (Betrachtung)
- Neurologische Untersuchung ‒ inklusive der Überprüfung der Reflexe und der Hirnnervenfunktion; Untersuchung:
- Augen (Blick, Pupillomotorik (dynamische Veränderung der Pupille des Auges), Kornealreflex (Lidschlussreflex), Beurteilung des vestibulookulären Reflexes (VOR)*)
- Motorik (Bewegungsexkursion auf Schmerzreize, Pyramidenbahnzeichen (neurologische Symptome bezeichnet, die aufgrund einer Läsion der Pyramidenbahn entstehen))
Beachte: Bei Patienten mit Meningitis (Hirnhautentzündung) kann ein Meningismus (schmerzhafte Nackensteifigkeit) bei tiefen Koma fehlen.
[wg. Differentialdiagnosen:
- Apoplex (Schlaganfall)
- Basilaristhrombose ‒ Verschluss einer Basisarterie des Hirnstammes, der mit schweren neurologischen Schäden einhergeht
- Chronisches Subduralhämatom (cSDH) ‒ Einblutung zwischen Schichten der Hirnhäute, die zu verschiedenen neurologischen Symptomen führen kann
- Coma vigile (akinetischer Mutismus) ‒ Stummheit bei allgemeiner Hemmung der motorischen Funktionen, die vor allem bei psychiatrischen Erkrankungen oder Verletzungen/Tumoren des Gehirns bedingt ist
- Epilepsie
- Erhöhter Hirndruck
- Hirnabszess ‒ abgekapselte Eiteransammlung im Gehirn
- Hirnmassenblutung
- Hirnsinusthrombose ‒ Verschluss eines venösen Hirnblutleiters
- Hirnstammblutung
- Hirnstamminfarkt
- Intrakranielle Blutung (Blutung innerhalb des Schädels)
- Meningoenzephalitis ‒ kombinierte Entzündung des Gehirns (Enzephalitis) und der Hirnhäute (Meningitis)
- Subarachnoidalblutung (SAB) – Blutung zwischen Spinngewebshaut und Hirnoberfläche; in 75-80 % der Fälle ist ein Aneurysma (Aussackung einer Arterie) die Ursache dafür]
*Durch Informationsübertragung vom Labyrinth über den Nervus vestibularis (Gleichgewichtsnerv) zu Kerngebieten im Hirnstamm und letztlich den Augenmuskeln ermöglicht der Reflex eine Haltungsregulation, Blickstabilisierung und Orientierung im Raum.
In eckigen Klammern [ ] wird auf mögliche pathologische (krankhafte) körperliche Befunde hingewiesen.
Literatur
- Teasdale G, Jennet B: Assessment of coma and impaired consciouness: a pratical scale, Lancet 2:81-84,1974