Bewusstseinsstörungen (Somnolenz, Sopor und Koma) – Anamnese

Die Anamnese (Krankengeschichte) stellt einen wichtigen Baustein in der Diagnostik der Bewusstseinsstörungen* dar.

Familienanamnese

  • Gibt es in Ihrer Familie Erkrankungen, die häufig vorkommen?
  • Bestehen familiäre neurologische oder psychiatrische Erkrankungen?
  • Gab es in der Familie Fälle von plötzlichen Bewusstseinsverlusten, Epilepsie oder Stoffwechselstörungen?
  • Gibt es bekannte genetische Syndrome mit Beteiligung des Nervensystems (z. B. Chorea Huntington, Amyotrophe Lateralsklerose (ALS), Morbus Wilson)?

Sozialanamnese

  • Beruf:
    • Haben Sie beruflichen oder privaten Stress, der sich auf Ihr Wohlbefinden auswirken könnte?
    • Besteht eine Exposition gegenüber Giftstoffen, Lösungsmitteln oder Schwermetallen?
  • Gibt es Hinweise auf psychosoziale Belastungen oder Belastungen aufgrund Ihrer familiären Situation?

Reiseanamnese

  • Waren Sie in den letzten Wochen oder Monaten auf Reisen? Wenn ja:
    • Wann sind Sie gereist? [Wichtig zur Einschätzung der Inkubationszeit]
    • Wohin sind Sie gereist?
    • Wie lange dauerte Ihr Aufenthalt?
  • Gab es während oder nach Ihrer Reise Beschwerden wie Fieber, Kopfschmerzen, Hautausschläge, Durchfall, neurologische Symptome oder starke Abgeschlagenheit?
  • Hatten Sie Kontakt zu stehenden Gewässern, offenen Wunden, kontaminierten Lebensmitteln oder Tierbissen?
  • Waren Sie in Malaria-, Dengue- oder FSME-Endemiegebieten, und haben Sie sich vor Ort schützen können (z. B. durch Mückenschutz oder Impfung)?
  • Gab es medizinische Behandlungen im Ausland (z. B. Medikamente, Infusionen, Impfungen)?
  • Haben Sie in Hochlagen (> 2.500 m) übernachtet oder sich sportlich betätigt (Höhenkrankheit)?
  • Gab es kürzlich einen Aufenthalt in extremen Temperaturverhältnissen?
  • Folgende Krankheiten können mit einem Koma einhergehen – geordnet nach Risikogebieten:
    • Afrika (insbesondere tropisches Afrika südlich der Sahara):
      • Malaria
      • Trypanosomiasis (Afrikanische Schlafkrankheit)
      • Tollwut
      • Meningokokken-Meningitis
    • Südostasien (z. B. Indien, Bangladesch, Myanmar, Thailand, Indonesien):
      • Malaria, japanische Enzephalitis
      • Leptospirose
    • Südamerika (z. B. Brasilien, Kolumbien, Bolivien, Peru):
      • Malaria
      • Dengue-Fieber
      • Tollwut
      • Chagas-Krankheit
    • Naher Osten und Mittelmeerraum:
      • Brucellose
      • Tollwut
    • Zentralasien, Russland und Osteuropa:
      • FSME (Frühsommer-Meningoenzephalitis)
      • Tuberkulöse Meningitis
      • China und Mongolei:
      • Pest (Yersinia pestis)

Aktuelle Anamnese/Systemanamnese (somatische und psychische Beschwerden) [ggf. Fremdanamnese!]

  • Hat sich die Bewusstseinsstörung langsam oder abrupt entwickelt?
  • Hat sich die Bewusstseinsstörung verändert (verbessert/verschlimmert)?*
  • War die Person während der Episode ansprechbar?
  • Ist die Kommunikation unverändert möglich? [falls nein*]
  • Besteht eine Reaktion auf Schmerzreize? [falls nein*]
  • Haben sich Muskeltonus/Haltung verändert? [falls ja*]
  • Liegen weitere Symptome wie Kopfschmerzen, Pupillenstörungen*, Lähmungen*, Verfärbungen der Haut etc. vor?
  • Ging der Bewusstseinsstörung eine Verletzung voraus?*
  • Gab es Hinweise auf eine vorangegangene epileptische Anfallsaktivität (z. B. Zungenbiss, Einnässen, Nachschlafphase)?
  • Tritt die Bewusstseinsstörung in bestimmten Situationen auf (z. B. bei Schmerzen, langem Stehen, Belastung, nach dem Essen)?
  • Besteht eine Neigung zu plötzlichem Blutdruckabfall?
  • Sind Blutzuckerschwankungen bekannt?
  • Hat sich das Atemmuster verändert (z. B. Cheyne-Stokes-Atmung (periodisches An- und Abschwellen der Atemtiefe), Schnappatmung)?

Vegetative Anamnese inkl. Ernährungsanamnese

  • Ist Ihnen eine ungewollte Veränderung des Körpergewichts aufgefallen? Geben Sie bitte uns Ihr Körpergewicht (in kg) und Ihre Körpergröße (in cm) an.
  • Hat sich Ihr Appetit verändert?
  • Besteht eine Mangelernährung oder Vitaminmangel (z. B. Vitamin B1, B12, Folsäure)?
  • Haben Sie in letzter Zeit Flüssigkeitsmangel oder starke Dehydration erlitten?
  • Trinken Sie Alkohol? Wenn ja, welches Getränk bzw. welche Getränke und wie viele Gläser pro Tag?
  • Nehmen Sie Drogen? Wenn ja, welche Drogen und wie häufig pro Tag bzw. pro Woche?

Eigenanamnese inkl. Medikamentenanamnese

  • Vorerkrankungen:
    • Bestehen Herzerkrankungen (z. B. Arrhythmien (Herzrhythmusstörungen), Herzinsuffizienz (Herzschwäche), Synkopen (Bewusstlosigkeit) in der Vorgeschichte)?
    • Haben Sie bekannte neurologische Erkrankungen (z. B. Epilepsie, Multiple Sklerose, Morbus Parkinson, Migräne, Schädel-Hirn-Trauma in der Vorgeschichte)?
    • Gibt es Leber-/Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes mellitus, Morbus Addison oder Schilddrüsenfunktionsstörungen?
    • Besteht eine bekannte Niereninsuffizienz oder ein urämisches Koma?
    • Besteht eine Vorgeschichte von Hirnblutungen, Hirntumoren oder Apoplexen (Schlaganfälle)?
    • Besteht eine bekannte Hirndrucksteigerung oder ein Hydrozephalus?
    • Gibt es Hinweise auf eine postvirale oder autoimmunbedingte Enzephalitis (Gehirnentzündung)?
    • Wurden psychiatrische Erkrankungen (z. B. Depressionen, Schizophrenie, Angsterkrankungen) diagnostiziert?
    • Besteht eine Vorgeschichte von Suchterkrankungen oder Medikamentenmissbrauch?
  • Operationen:
    • Haben Sie größere Operationen hinter sich (z. B. neurochirurgische Eingriffe, Herzoperationen, Schilddrüsenoperationen)?
    • Gab es Eingriffe, die zu Hormon- oder Stoffwechselveränderungen geführt haben?
  • Bestehen bekannte Allergien oder Unverträglichkeiten gegen Medikamente oder Lebensmittel?
  • Falls Sie regelmäßig Medikamente einnehmen: Gab es eine kürzliche Medikamenteneinnahme oder eine Dosierungsveränderung?

Medikamentenanamnese

  • Antiarrhythmika
    • Klasse Ib-Antiarrhythmika (Lidocain)
  • Antibiotika
    • Chinolone/Fluorchinolone/Gyrasehemmer (Ciprofloxacin, Moxifloxacin, Nalidixinsäure, Norfloxacin, Lomefloxacin, Levofloxacin, Ofloxacin)
  • Alpha-Sympatholytika (Phenoxybenzamin)
  • Antivirale Therapie (Aciclovir, Brivudin, Cidofovir, Efavirenz, Famciclovir, Fomivirsen, Foscarnet, Ganciclovir, Lopinavir, Rilpivirin, Ritonavir, Tenofovir, Valganciclovir, Zidovudin)
  • Calciumantagonisten (Amlodipin, Diltiazem, Felodipin, Fendilin, Gallopamil, Lacidipin, Lercanidipin, Nitrendipin, Nifedipin, Nimodipin, Nicardipin, Isradipin, Nisoldipin, Nilvadipin, Manidipin, Verapamil)
  • Hormone
    • Oxytocin-Rezeptor-Antagonisten (Atosiban)
  • Hypnotika
  • Muskelrelaxantien
    • Benzodiazepine (Tetrazepam*) [*Verschreibungsstopp seit August 2013 wg. schwerwiegender Hautreaktionen wie dem Stevens-Johnson-Syndrom oder dem Erythema multiforme]
  • Opiate bzw. Opioide (Alfentanil, Apomorphin, Buprenorphin, Codein, Dihydrocodein, Fentanyl, Hydromorphon, Loperamid, Morphin, Methadon, Nalbuphin, Naloxon, Naltrexon, Oxycodon, Pentazocin, Pethidin, Piritramid, Remifentanil, Sufentanil, Tapentadol, Tilidin, Tramadol)
  • Parasympathomimetika
    • Indirekte Parasympathomimetika (Cholinesterase-Hemmer): Alkylphosphate, Distigmin, Donepezil, Galantamin, Neostigmin, Physostigmin, Pyridostigmin, Rivastigmin, Tacrin
  • Sedativa
  • Triptane (Sumatriptan)

Umweltanamnese

  • Vergiftungen wie durch:
    • Alkaloide
    • Alkohol
    • Hypnotika
    • Kohlenmonoxid
    • Kohlenwasserstoffe (aliphatisch, aromatisch)
    • Opiate bzw. Opioide
    • Sedativa
    • Zyanwasserstoff/Kaliumzyanid

* Falls diese Frage mit "Ja" beantwortet worden sowie bei unklaren Bewusstseinsstörungen ist ein sofortiger Arztbesuch erforderlich! (Angaben ohne Gewähr)

Unsere Empfehlung: Drucken Sie die Anamnese aus, markieren Sie alle mit „Ja“ beantworteten Fragen und nehmen Sie das Dokument mit zu Ihrem behandelnden Arzt.