Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung (AVWS) – Einleitung

Eine auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung (AVWS) bezeichnet eine Störung der zentralen Hörverarbeitung und Wahrnehmung, bei der das Hören an sich nicht beeinträchtigt ist, sondern die Verarbeitung der akustischen Informationen im Gehirn gestört ist. Betroffene hören zwar, was um sie herum geschieht, sind jedoch nicht in der Lage, die zahlreichen Reize und Informationen korrekt zu verarbeiten.

Synonyme und ICD-10: APD; AVWS; Auditive Verarbeitungsstörung; Auditory processing disorder; Auditory processing disorder (APD); Verarbeitungsstörung; Wahrnehmungsstörung; ICD-10-GM F80.20: Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung [AVWS]

Pathophysiologie

Eine AVWS ist eine auditive Störung der Verarbeitung auf der Ebene des Hirnstammniveaus und eine Störung der Wahrnehmung dieser nervalen Impulse. Letzteres beruht auf einer Störung höherer auditorischer Funktionen unter Einbeziehung kognitiver Funktionen [2]. Im Gegensatz zur Schwerhörigkeit ist nicht das Hören an sich beeinträchtigt, sondern die weitere Informationsverarbeitung im Gehirn.

Das Konsensuspapier der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP) führte aus, dass unter auditiver Verarbeitung die neuronale Weiterleitung, Vorverarbeitung und Filterung von auditiven Stimuli auf verschiedenen Ebenen des Hörsystems zu verstehen ist [1].

Formen der AVWS

Die auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung (AVWS) kann in verschiedene Subtypen unterteilt werden, je nach den spezifischen Defiziten in der auditiven Verarbeitung. Diese Einteilung hilft, die Störung besser zu verstehen und gezielte therapeutische Ansätze zu entwickeln. Die gängigsten Formen der AVWS sind:

  • Auditive Diskriminationsstörung
    • Definition: Schwierigkeiten, zwischen verschiedenen Sprachlauten zu unterscheiden.
    • Symptome: Verwechslung von ähnlich klingenden Wörtern, Probleme beim Erlernen der Rechtschreibung.
  • Auditive Sequenzierungsstörung
    • Definition: Probleme bei der Verarbeitung der Reihenfolge von Lauten und Wörtern.
    • Symptome: Schwierigkeiten beim Verstehen von Anweisungen in der richtigen Reihenfolge, Probleme beim Merken von Telefonnummern oder anderen nummerischen Sequenzen.
  • Auditive Aufmerksamkeitsstörung
    • Definition: Beeinträchtigung der Fähigkeit, auditive Informationen über einen längeren Zeitraum hinweg zu fokussieren.
    • Symptome: Leichtes Ablenken durch Hintergrundgeräusche, Schwierigkeiten beim Verfolgen langer Gespräche oder Vorträge.
  • Auditive Gedächtnisstörung
    • Definition: Defizite im Kurzzeit- oder Langzeitgedächtnis für auditive Informationen.
    • Symptome: Schwierigkeiten, gesprochene Anweisungen zu behalten, Probleme beim Merken von Wörtern oder Sätzen.
  • Auditive Lokalisationstörung
    • Definition: Schwierigkeiten, die Richtung oder den Ursprung eines Geräusches zu bestimmen.
    • Symptome: Probleme beim Auffinden von Geräuschquellen, Schwierigkeiten, sich in lauten Umgebungen zu orientieren.
  • Auditive Figur-Grund-Störung
    • Definition: Probleme, relevante auditive Informationen von Hintergrundgeräuschen zu trennen.
    • Symptome: Schwierigkeiten, einem Gespräch in einer lauten Umgebung zu folgen, Verwirrung durch konkurrierende Geräusche.

Epidemiologie

Geschlechterverhältnis: Jungen/Männer zu Mädchen/Frauen beträgt 2 : 1.

Prävalenz (Krankheitshäufigkeit)

  • Bei Kindern ab dem 6. Lebensjahr liegt die Prävalenz in Deutschland bei 2-3 %.
  • Bei Erwachsenen liegt die Prävalenz in Deutschland bei ca. 10 %.
  • Weltweit liegt die Prävalenz aller kindlichen Hörstörungen zwischen 0,9 und 13 %.

Verlauf und Prognose

Verlauf

  • Eine AVWS nimmt Einfluss auf die Sprachentwicklung und die schriftsprachlichen Leistungen des Kindes.
  • Die Therapie besteht aus übenden Verfahren und Maßnahmen zur Verbesserung der Signalqualität.
  • In vielen Fällen verbessert sich die AVWS durch geeignete Therapieansätze.

Prognose

  • Betroffene müssen in anspruchsvollen Hörsituationen mit Einschränkungen rechnen.
  • Eine konsequente und frühzeitige Therapie kann die Lebensqualität erheblich verbessern und die Auswirkungen der Störung minimieren.

Literatur

  1. Nickisch A et al.: Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen – Konsensus-Statement der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. HNO 2007;55(1):61-72
  2. British Society of Audiology: Position statement: auditory processing disorder (APD).Date: 31st March 2011 Date for review: March 2013  http://​www.​thebsa.​org.​uk/​wp-content/​uploads/​2014/​04/​BSA_​APD_​PositionPaper_​31March11_​FINAL.​pdf. 

Leitlinien

  1. S1-Leitlinie: Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen. (AWMF-Registernummer: 049-012), September 2019 Langfassung