Asperger-Syndrom – Anamnese
Die Anamnese (Krankengeschichte) stellt einen wichtigen Baustein in der Diagnostik des Asperger-Syndroms (AS) dar.
Familienanamnese
- Gibt es in Ihrer Familie Erbkrankheiten oder Fälle von Autismus-Spektrum-Störungen (ASS)? Das Vorhandensein von ASS in der Familie kann auf eine genetische Prädisposition hindeuten.
Soziale Anamnese
- Welchen Beruf üben Sie aus? Informationen über den beruflichen Werdegang können Hinweise auf Anpassungsfähigkeiten und soziale Interaktionen geben.
- Gibt es Hinweise auf psychosoziale Belastungen oder familiäre Herausforderungen? Stressoren im sozialen Umfeld können die Symptomatik beeinflussen.
Aktuelle Anamnese/Systemanamnese (somatische und psychische Beschwerden)
- Welche spezifischen Symptome oder Verhaltensweisen sind Ihnen oder Ihrem Umfeld aufgefallen? Beispiele sind Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion, besondere Interessen oder repetitive Verhaltensmuster.
- Bestehen Schwierigkeiten in der nonverbalen Kommunikation, wie eingeschränkter Blickkontakt, Mimik oder Gestik? Diese sind typische Merkmale des AS.
- Haben Sie besondere, intensive Interessen oder Hobbys, denen Sie viel Zeit widmen? Personen mit AS zeigen oft fokussierte Interessen.
- Wie gestalten sich Ihre sozialen Beziehungen? Haben Sie Freunde oder Schwierigkeiten, Freundschaften zu schließen? Soziale Isolation oder Herausforderungen beim Beziehungsaufbau sind häufig.
- Gibt es ritualisierte Verhaltensweisen oder Routinen, auf deren Einhaltung Sie großen Wert legen? Eine starke Bindung an Routinen kann ein Hinweis auf AS sein.
- Wie reagieren Sie auf Veränderungen im Alltag? Verursachen diese Stress oder Unbehagen? Personen mit AS können Veränderungen als belastend empfinden.
- Haben Sie in der Kindheit Entwicklungsverzögerungen bemerkt, insbesondere in der motorischen oder sprachlichen Entwicklung? Obwohl die sprachliche Entwicklung bei AS oft unauffällig ist, können motorische Ungeschicklichkeiten auftreten.
- Gibt es Hinweise auf sensorische Empfindlichkeiten, wie Überempfindlichkeit gegenüber Geräuschen, Licht oder Berührungen? Sensorische Besonderheiten sind bei AS nicht ungewöhnlich.
Vegetative Anamnese inkl. Ernährungsanamnese
- Bestehen bei Ihnen Essgewohnheiten oder Vorlieben, die vom Durchschnitt abweichen? Manche Personen mit AS haben selektive Essgewohnheiten.
- Gab es während der Schwangerschaft Ihrer Mutter Komplikationen oder den Konsum von Alkohol? Pränatale Faktoren können Einfluss auf die Entwicklung haben.
Eigenanamnese
- Welche Vorerkrankungen liegen bei Ihnen vor? Dazu zählen neurologische Erkrankungen oder frühkindliche Hirnschädigungen.
- Wurden bei Ihnen Operationen durchgeführt? Frühere medizinische Eingriffe können relevant sein.
- Wie ist Ihr Impfstatus?
- Leiden Sie unter Allergien?
- Gab es während Ihrer Entwicklung besondere Ereignisse oder Verzögerungen?
- Wie gestaltete sich Ihre Betreuungs- und Erziehungssituation vom Säuglings- bis zum Jugendalter? Frühkindliche Erfahrungen prägen die Entwicklung.
- Welche schulischen Einrichtungen haben Sie besucht, und gab es dort besondere Herausforderungen? Schulische Erfahrungen können Hinweise auf soziale und kognitive Fähigkeiten geben.
Medikamentenanamnese
- Antidepressiva
- Einnahme im zweiten und/oder dritten Trimenon (Schwangerschaftsdrittel); Zunahme um 87 % gegenüber Kindern ohne Exposition [4]
- Eine Metaanalyse sowie zwei Registerstudien finden nach Einnahme von SSRI von Schwangeren keine Unterschiede für Autismus bei exponierten und nicht exponierten Geschwistern [6-8].
- Misoprostol ‒ Wirkstoff, der bei Magengeschwüren eingesetzt wird
- Thalidomid ‒ Beruhigungs-/Schlafmittel, welches durch den sog. Contergan-Skandal bekannt wurde
- Valproinsäure/Valproat ‒ Wirkstoff, der bei Epilepsie eingesetzt wird [3]
Umweltanamnese
- Luftschadstoffe
- Luftverschmutzung (Dieselpartikeln, Quecksilber sowie Blei, Nickel, Mangan und Methylenchloriden) [1]
- Feinstaub- und Stickstoffdioxidbelastung während der Schwangerschaft und im ersten Lebensjahr [2]
- Pränatale Belastung mit polychlorierten Biphenylen (PCB) und Organochlorpestiziden (OCP) [5]
Hinweis: Polychlorierte Biphenyle gehören zu den endokrinen Disruptoren (Synonym: Xenohormone), die bereits in geringsten Mengen durch Veränderung des Hormonsystems die Gesundheit schädigen können.
Bei dem Verdacht auf Autismus können die folgenden testpsychologischen Untersuchungen hilfreich sein:
- Autismus-diagnostische Interviews
- Sprachentwicklungstest
- Intelligenztests
Unsere Empfehlung: Drucken Sie die Anamnese aus, markieren Sie alle mit „Ja“ beantworteten Fragen und nehmen Sie das Dokument mit zu Ihrem behandelnden Arzt.
Literatur
- Roberts AL, Lyall K, Hart JE, Laden F, Just AC, Bobb JF, Koenen KC, Ascherio A, Weisskopf MG: Perinatal Air Pollutant Exposures and Autism Spectrum Disorder in the Children of Nurses’ Health Study II Participants. Environ Health Perspect; doi:10.1289/ehp.1206187
- Volk EV, Lurmann F, Penfold B, Hertz-Picciotto I, McConnell R: Traffic-Related Air Pollution, Particulate Matter, and Autism. AMA Psychiatry. 2013;70(1):71-77. doi:10.1001/jamapsychiatry.2013.266.
- Wood AG et al.: Prospective assessment of autism traits in children exposed to antiepileptic drugs during pregnancy. Epilepsia. 2015 May 11. doi: 10.1111/epi.13007.
- Boukhris T et al.: Antidepressant Use During Pregnancy and the Risk of Autism Spectrum Disorder in Children. JAMA Pediatr 2016; 170(2):117-124. doi:10.1001/jamapediatrics.2015.3356.
- Lyall K et al.: Polychlorinated Biphenyl and Organochlorine Pesticide Concentrations in Maternal Mid-Pregnancy Serum Samples: Association with Autism Spectrum Disorder and Intellectual Disability. Environ Health Perspect; doi:10.1289/EHP277
- Mezzacappa A et al.: Risk for Autism Spectrum Disorders According to Period of Prenatal Antidepressant ExposureA Systematic Review and Meta-analysis. JAMA Pediatr 2017, epub 17.4.17, doi:10.1001/jamapediatrics.2017.0124
- Brown HK et al.: Association Between Serotonergic Antidepressant Use During Pregnancy and Autism Spectrum Disorder in Children. JAMA. 2017;317(15):1544-1552 doi:10.1001/jama.2017.3415
- Sujan AC et al.: Associations of Maternal Antidepressant Use During the First Trimester of Pregnancy With Preterm Birth, Small for Gestational Age, Autism Spectrum Disorder, and Attention-Deficit/Hyperactivity Disorder in Offspring. JAMA. 2017;317(15):1553-1562 doi:10.1001/jamapediatrics.2017.0124