Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) – Medikamentöse Therapie
Therapieziele
- Funktionsverbesserung
- Linderung der Beschwerden
- Lebensverlängerung
Therapieempfehlungen
- Eine kausale Therapie der ALS ist bislang nicht möglich.
- Symptomatische Therapie:
- Bulbäre Symptome (betreffend der Muskulatur des Rachen-/Kehlkopfbereichs): Methantheliniumbromid (Anticholinergika); Trihexyphenidyl (Muskarinrezeptor-Antagonisten); Glycopyrronium (Parasympatholytika)
- Angst: Benzodiazepine (z. B. Lorazepam)
- Depressivität (siehe unter Depression): bevorzugte Verwendung von Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (z. B. Citalopram); Trizyklika (z. B. Amitryptilin)
- Hypersalivation (Synonyme: Sialorrhö, Sialorrhoe; Ptyalismus; vermehrter Speichelfluss): Scopolaminpflaster (Alkaloid); Atropintropfen (Parasympatholytika); Amitriptylin (Trizyklische Antidepressiva); Botulinumtoxin (Incobotulinumtoxin A)
- Krämpfe: Magnesium (Mittel der ersten Wahl); Carbamazepin, Gabapentin, Phenytoin (Antiepileptika); Diphenhydramin (H1-Antihistaminika); Chininsulfat (200-400 mg/d; Chinolin-Alkaloide; bei nächtlichen Krämpfen)
- Muskeltonuserhöhung: Baclofen, Tizanidin; langsam einschleichend L-Dopa
- Faszikulationen (unwillkürliche Bewegungen sehr kleiner Muskelgruppen) : Antikonvulsiva (z. B. Carbamazepin 2 × 200 mg/d); meistens ist keine Behandlung erforderlich
- Schmerzen: nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) und Opiate nach WHO-Stufenschema
- Spastik: Diazepam (Benzodiazepine); Baclofen, Tizanidin (Myotonolytika/Antispastika)
- Zäher Schleim: Acetylcystein (ACC; 300-600 mg/d)
- Einen geringen lebensverlängernden Effekt (durchschnittlich um 2-3 Monate) im beginnenden Stadium zeigt die Therapie mit dem Glutamat-Antagonisten Riluzol. Dieser Effekt konnte allerdings bei Patienten, die älter als 75 Jahre waren, sowie im fortgeschrittenen Stadium nicht belegt werden.
- Verzögerung des Fortschreitens der Neurodegeneration: Antioxidans Edaravone (MCI-184, 3-Methyl-1-Phenyl-2-pyrazolin-5-on; "freier Radikalfänger“; einstündige Infusionstherapie) [1]
- signifikante Reduktion der Progression der Erkrankung, gemessen an der Änderung des ALS-FRS-R-Score [2].
- In einer Kohortenstudie wurden möglichst ähnliche Patienten mit und ohne Edaravon-Zusatztherapie verglichen, dabei fanden sich weder beim Funktionsscore ALSFRS-R noch bei der Zeit bis zur Beatmung oder der Mortalität (Sterberate) Vorteile gegenüber einer alleinigen Behandlung mit dem Therapiestandard Riluzol [5].
- Wirkstoffkombination aus Phenylbutyrat und Taurursodiol (AMX0035): Verfall der motorischen Fähigkeiten soll verlangsamt werden (Ergebnis der Phoenix-Studie ist abzuwarten) [Zulassung nur in den USA und Kanada]
- Bei Infektionen werden Antibiotika verabreicht.
Therapien in der Erprobungsphase
- Antisense-Oligonukleotid (Tofersen)
- Bei ALS, das durch Mutationen im Gen für die Superoxid-Dismutase 1 (SOD1) ausgelöst wird, hat eine Phase-I/II-Studie durch die Behandlung mit einem Antisense-Oligonukleotid (Tofersen; intrathekale Injektion; monatlich), das die Produktion eines für die Erkrankung verantwortlichen Proteins verhindert, ein vielversprechendes Ergebnis erzielt. Ob dies Auswirkungen auf den Verlauf der Erkrankung hat, wird derzeit in einer Phase-III-Studie untersucht [3].
- Die Injektion des Antisensemedikaments Tofersen (BIIB067) hat in einer Phase-III-Studie die Bildung des Proteins Superoxid-Dismutase 1 bei Patienten mit ALS und Mutationen im SOD1-Gen vermindert und möglicherweise auch den weiteren Untergang von Motoneuronen gestoppt. Eine eindeutige klinische Verbesserung konnte jedoch nicht nachgewiesen werden [4].
- Nebenwirkungen: Schmerzen, Müdigkeit, Pyrexie (Fieber), Arthralgie (Gelenkschmerzen), Myalgie (Muskelschmerzen) und ein Anstieg von Leukozyten (weiße Blutkörperchen) und Proteinen (Eiweiß) im Liquor.
- 2024: Europäische Arzneimittelagentur (EMA) hat die Zulassung des Antisense-Oligonukleotids Tofersen (Qalsody) empfohlen.
- Ultrahochdosiertes Methylcobalamin (eine Form von Vitamin B12) verlangsamt die klinische Progression (Fortschreiten) einer amyotrophen Lateralsklerose. Die Progression wurde dabei über 16 Wochen signifikant verlangsamt (Phase-III-Studie) [6].
Literatur
- FDA approves drug to treat ALS. U.S. FOOD & DRUG, May 5, 2017
- The Writing Group (Abe K et al.) on behalf of the Edaravone (MCI-186) ALS 19 Study Group (2017): Safety and efficacy of edaravone in well defined patients with amyotrophic lateral sclerosis: a randomised, double-blind, placebo-controlled trial. Lancet Neurol 2017; 16: 505-12 doi: https://doi.org/10.1016/S1474-4422(17)30115-1
- Miller T et al.: Phase 1-2 Trial of Antisense Oligonucleotide Tofersen for SOD1 ALS N Engl J Med 2020; 383:109-119 doi: 10.1056/NEJMoa2003715
- Biogen Announces Topline Results from the Tofersen Phase 3 Study and its Open-Label Extension in SOD1-ALS October 17, 2021 • Investor Relations
- Witzel S et al.: Safety and Effectiveness of Long-term Intravenous Administration of Edaravone for Treatment of Patients With Amyotrophic Lateral Sclerosis. JAMA Neurol 2022; https://doi.org/10.1001/jamaneurol.2021.4893
- Oki, R et al.: Efficacy and Safety of Ultrahigh-Dose Methylcobalamin in Early-Stage Amyotrophic Lateral Sclerosis A Randomized Clinical Trial JAMA Neurol. Published online May 9, 2022. doi:10.1001/jamaneurol.2022.0901