Alkoholabhängigkeit – Ursachen
Pathogenese (Krankheitsentstehung)
Die Pathogenese der Alkoholabhängigkeit ist komplex und umfasst sowohl psychosoziale als auch neurobiologische Faktoren. Die Erkrankung kann in eine primäre und eine sekundäre Form unterteilt werden, je nach den zugrunde liegenden Ursachen.
Primäre Alkoholabhängigkeit
- Bei der primären Form der Alkoholabhängigkeit stehen psychosoziale Faktoren im Vordergrund. Stress, emotionale Belastungen und soziale Umstände spielen eine wichtige Rolle in der Entstehung der Sucht. Insbesondere Personen mit bestimmten Persönlichkeitsstrukturen sind anfälliger für die Entwicklung einer Alkoholabhängigkeit. Dazu zählen Menschen mit Impulsivität, geringer Frustrationstoleranz, oder verminderter Stressbewältigung.
- Stress gilt als ein zentraler Auslöser für die Alkoholabhängigkeit, da Alkohol kurzfristig eine beruhigende und entlastende Wirkung hat. Dies verstärkt den Wunsch, Alkohol als Bewältigungsmechanismus bei Stress oder emotionaler Belastung einzusetzen, was langfristig zur Abhängigkeit führen kann.
Sekundäre Alkoholabhängigkeit
- Die sekundäre Form der Alkoholabhängigkeit tritt häufig im Zusammenhang mit bereits bestehenden psychiatrischen Erkrankungen auf. Dazu gehören Depressionen, Angststörungen, Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) oder Schizophrenie. In diesen Fällen nutzen Betroffene den Alkohol oft als eine Art Selbstmedikation, um die Symptome ihrer Grunderkrankung zu lindern.
- Alkohol kann bei diesen Menschen als Mittel zur Stimmungsregulation eingesetzt werden, verschlechtert jedoch im Verlauf die psychiatrische Erkrankung und führt zu einem Teufelskreis aus psychischen Symptomen und Alkoholmissbrauch.
Neurobiologische Faktoren
- Auf neurobiologischer Ebene spielt eine Dysregulation des Dopaminsystems im Gehirn eine zentrale Rolle bei der Entstehung der Alkoholabhängigkeit. Alkohol beeinflusst das Belohnungssystem, insbesondere den Neurotransmitter Dopamin, der für das Gefühl von Belohnung und Vergnügen verantwortlich ist. Wiederholter Alkoholkonsum führt zu einer vermehrten Freisetzung von Dopamin, was das Verlangen nach Alkohol verstärkt.
- Es wird angenommen, dass Menschen mit Alkoholabhängigkeit eine verminderte Anzahl an Dopaminrezeptoren im Gehirn haben. Dieser Mangel an Dopaminrezeptoren bewirkt, dass Betroffene weniger stark auf natürliche Belohnungen reagieren und somit Alkohol als eine Möglichkeit sehen, das Belohnungssystem zu stimulieren. Dies führt zu einer erhöhten Anfälligkeit für Abhängigkeit.
- Alkohol wirkt zudem auf andere Neurotransmittersysteme, wie das GABA-System (Gamma-Aminobuttersäure), das eine beruhigende Wirkung hat, und das Glutamat-System, das für erregende Signale im Gehirn verantwortlich ist. Eine chronische Stimulation dieser Systeme durch Alkohol führt zu einer Toleranzentwicklung und damit zur Notwendigkeit, größere Mengen Alkohol zu konsumieren, um die gleiche Wirkung zu erzielen.
Genetische Prädisposition
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Es gibt Hinweise darauf, dass auch genetische Faktoren eine Rolle bei der Entstehung der Alkoholabhängigkeit spielen. Menschen mit einer familiären Vorbelastung für Alkoholabhängigkeit haben ein höheres Risiko, selbst eine Abhängigkeit zu entwickeln. Dies deutet darauf hin, dass bestimmte Genvarianten, die die Dopaminregulation oder andere Neurotransmittersysteme betreffen, das Risiko für eine Alkoholabhängigkeit erhöhen könnten.
Zusammenfassung
Die Pathogenese der Alkoholabhängigkeit basiert auf einer multifaktoriellen Genese, bei der psychosoziale und neurobiologische Faktoren eine Rolle spielen. Bei der primären Form sind vor allem Stress, Persönlichkeitsmerkmale und soziale Umstände entscheidend. Die sekundäre Form der Alkoholabhängigkeit entwickelt sich häufig im Zusammenhang mit psychiatrischen Erkrankungen, bei denen Alkohol als Selbstmedikation genutzt wird. Neurobiologisch spielt eine Dysregulation des Dopaminsystems mit einem Mangel an Dopaminrezeptoren im Gehirn eine zentrale Rolle.
Ätiologie (Ursachen)
Biographische Ursachen
- Genetische Belastung durch Eltern, Großeltern mit hoher Alkoholtoleranz
- Genetisches Risiko abhängig von Genpolymorphismen:
- Gene/SNPs (Einzelnukleotid-Polymorphismus; engl.: single nucleotide polymorphism):
- Gene: OPRM1
- SNP: rs1799971 im Gen OPRM1
- Allel-Konstellation: AG (stärkeres Alkoholverlangen)
- Allel-Konstellation: GG (stärkeres Alkoholverlangen)
- Gene/SNPs (Einzelnukleotid-Polymorphismus; engl.: single nucleotide polymorphism):
- Genetisches Risiko abhängig von Genpolymorphismen:
- Nahrungsmittelpräferenz in der Kindheit: hoher Konsum von zucker- und fettreichen Nahrungsmittel [3]
- Berufe
- Mitarbeiter im Gastronomiegewerbe
- Mitarbeiter in Handwerksberufen (z. B. Bau- und Fertigungsberufe)
- Mitarbeiter des Seefahrtgewerbes und Hafenpersonal
- Mitarbeiter im Dienstleistungsgewerbe
- Politiker
- Impulsivität in der Familie
- Gewalterfahrung in der Familie
- Ehescheidung [2]:
- Männer: 6-fach erhöhtes Risiko
- Frauen: 7,3-fach erhöhtes Risiko
- Todesfall des Partners [2]:
- Männer: 3,9-fach erhöhtes Risiko
- Frauen: 4,1-fach erhöhtes Risiko
Verhaltensbedingte Ursachen
- Drogenkonsum
- Cannabis (Haschisch und Marihuana) – Cannabis-Konsumenten hatten gemäß einer Studie ein 5,43-fach erhöhtes Risiko, ein Alkoholproblem zu entwickeln [1]
- Psycho-soziale Situation
- Aktuelle Konflikte
- Arbeitslosigkeit
- Lockdown wg. Corona-Pandemie
- Soziale Isolation
- Stress
Krankheitsbedingte Ursachen
- Antisoziale Persönlichkeitsstörung
- Angststörungen
- Depressionen
- Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS)
- Psychische Störungen wie Schizophrenie oder Manie
- Schwere nicht-therapierbare Erkrankungen (z. B. progressive Tumorerkrankung)
Literatur
- Weinberger AH et al.: Is cannabis use associated with an increased risk of onset and persistence of alcohol use disorders? A three-year prospective study among adults in the United States. DOI: http://dx.doi.org/10.1016/j.drugalcdep.2016.01.014
- Kendler KS et al.: Divorce and the Onset of Alcohol Use Disorder: A Swedish Population-Based Longitudinal Cohort and Co-Relative Study.AJP 2017, epub 20.1.17, doi: 10.1176/appi.ajp.2016.16050589.
- Mehlig K, Bogl LH, Hunsberger M, Ahrens W, De Henauw S, Iguacel I et al.: Children’s propensity to consume sugar and fat predicts regular alcohol consumption in adolescence. Public Health Nutr. 2018 Aug 24:1-8. doi: 10.1017/S1368980018001829.