Vulvovaginale Atrophie/Genitales Menopausensyndrom – Ursachen
Pathogenese (Krankheitsentstehung)
Die vulvovaginale Atrophie bzw. das genitale Menopausensyndrom entsteht aufgrund eines Östrogenmangels, der besonders in der Menopause auftritt. Östrogen ist entscheidend für die Aufrechterhaltung der Struktur und Funktion des weiblichen Genitaltrakts, der Blase und der Harnröhre. Der Mangel an Östrogen führt zu einer signifikanten Reduktion von Östrogenrezeptoren, was zu atrophischen Veränderungen und Funktionsverlusten in diesen Bereichen führt. Diese Veränderungen sind am stärksten ausgeprägt in der Menopause, können aber auch in geringerem Ausmaß im Wochenbett (nach der Geburt), bei hormonellen Imbalancen oder unter der Einnahme von Ovulationshemmern (Antibabypille) auftreten.
Vagina (Scheide)
- Atrophische Kolpitis (Scheidenentzündung): Östrogenmangel führt zum Abbau des Vaginalepithels (Schleimhautschicht), das nur noch aus wenigen Zelllagen besteht und kein Glykogen mehr bildet. Dies beeinträchtigt die vaginale Feuchtigkeit und begünstigt Entzündungen.
- Lamina propria (Schicht unter dem Epithel): Es kommt zum Verlust der elastischen und kollagenen Fasern, die die Festigkeit und Elastizität des Gewebes gewährleisten. Die Fähigkeit, Gewebeflüssigkeit zu bilden, nimmt ab, und die Anzahl der Kapillaren (kleine Blutgefäße) reduziert sich.
- Muskulatur: Die vaginale Muskulatur wird reduziert, und die vaginalen Falten (Rugae vaginales) verschwinden, was die Elastizität und Dehnbarkeit der Scheide einschränkt.
- Scheidenwand: Die Vaginalwand wird blass, dünn, trocken und ist unelastisch. Sie wird leicht verletzlich und zeigt oft Petechien (kleine Blutungen).
Vulva (äußere Geschlechtsorgane)
- Atrophische Vulvitis (Entzündung des äußeren Genitalbereichs): Der Volumenverlust der großen und kleinen Schamlippen sowie der Klitoris (Verkleinerung der Fettdepots und des Bindegewebes) führt zu einer verringerten Schutzfunktion und Empfindlichkeit der äußeren Genitalien.
Blase (Harnblase)
- Atrophische Zystitis (Blasenentzündung): Die Schleimhäute der Blase und die Blasenmuskulatur bilden sich zurück, was zu einem Funktionsverlust führt. Es kommt zu sensorischen Störungen bei der Blasenentleerung, was das Risiko für rezidivierende Harnwegsinfektionen (wiederkehrende Blaseninfektionen), Pollakisurie (häufiger Harndrang), Drangsymptomatik (plötzlicher Harndrang) und Harninkontinenz (Blasenschwäche) erhöht.
Harnröhre (Urethra)
- Atrophische Urethritis (Harnröhrenentzündung): Der Mangel an Östrogen führt zur Rückbildung der Mucosa (Schleimhaut), einer Reduktion der Gewebeflüssigkeit, Elastizität und der Kapillarversorgung. Die Muskulatur der Harnröhre reduziert sich ebenfalls, was die anatomische und funktionelle Länge der Harnröhre verkürzt. Dadurch wird der Harnröhrenverschlussdruck verringert, was aufsteigende Infektionen und Harninkontinenz begünstigt.
Beckenboden
- Beckenbodeninsuffizienz: Die reduzierte Durchblutung, der Abbau von Bindegewebe und Muskulatur führen zu einer Schwäche des Beckenbodens, was eine unzureichende Unterstützung der Beckenorgane zur Folge hat. Dies kann zu einer Beckenbodeninsuffizienz führen, die Inkontinenz und Prolaps (Vorfall von Organen) begünstigen kann.
Zusammenfassung
Das genitale Menopausensyndrom resultiert aus dem Östrogenmangel, der zu einer Atrophie (Gewebeschwund) der Vagina, Vulva, Blase, Harnröhre und des Beckenbodens führt. Dies äußert sich durch eine Verdünnung der Schleimhäute, Verlust der Elastizität, verminderte Feuchtigkeitsproduktion und verminderte Kapillarversorgung. Diese Veränderungen verursachen Symptome wie Trockenheit, Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, wiederkehrende Infektionen und Harninkontinenz.
Ätiologie (Ursachen)
Biographische Ursachen
- Genetische Erkrankungen
- Turner-Syndrom (Synonyme: Ullrich-Turner-Syndrom, UTS) – genetische Erkrankung, die meist sporadisch auftritt; Mädchen/Frauen mit dieser Besonderheit haben lediglich ein funktionsfähiges X-Chromosom statt der üblichen zwei (Monosomie X); u. a. mit Anlagestörung der Aortenklappe (33 % dieser Patienten haben ein Aneurysma/krankhafte Aussackung einer Arterie); sie ist die einzige lebensfähige Monosomie beim Menschen und kommt ungefähr einmal bei 2.500 weiblichen Neugeborenen vor.
- Lebensalter – Klimakterium, Postmenopause (Zeitabschnitt, der dann beginnt, wenn die Menstruation für mindestens ein Jahr ausgeblieben ist), Senium (Greisenalter)
- Hormonelle Faktoren – Östrogenmangelsituationen
Verhaltensbedingte Ursachen
Genussmittelkonsum
- Tabak (Rauchen) – eine vorzeitige Menopause (vor dem 40. Lebensjahr; ca. 5-10 % der Frauen) ist bei Raucherinnen hinsichtlich des Nikotinabusus dosisabhängig [1]
Urethra/Blase
- Unzureichende Flüssigkeitsaufnahme
- Geringe Trinkmengen fördern eine Konzentration des Urins, was die Blasenschleimhaut reizt und das Risiko für Infektionen erhöht.
- Benutzung von Scheidendiaphragmen und Spermiziden
- Mechanische Verhütungsmittel und spermizide Substanzen können die Vaginalflora stören und das Wachstum pathogener Keime wie Escherichia coli fördern.
- Sexuelle Aktivität
- Koitus (Geschlechtsverkehr) – Kann das Risiko für Blasenentzündungen erhöhen, insbesondere bei unzureichender postkoitaler Miktion.
- Häufige sexuelle Aktivität („Honeymoon-Zystitis“) – Fördert die Migration von Bakterien in die Blase, was Dysurie und Pollakisurie verursachen kann.
- Hygiene
- Unzureichende Hygiene – Begünstigt die Ansiedlung pathogener Keime.
- Übertriebene Hygiene – Entfernt die natürliche Schutzschicht der Vaginalflora und erhöht das Infektionsrisiko.
- Exposition gegenüber Feuchtigkeit und Kälte
- Feuchte Badebekleidung – Fördert lokale Irritationen und Infektionen durch Mazeration der Haut.
- Zugluft und Kälteexposition – Beeinträchtigen die lokale Durchblutung und die Immunabwehr.
Vulva/Vagina
- Geschlechtsverkehr
- Wechsel zwischen vaginalem, analem und oralem Verkehr – Erhöht die Wahrscheinlichkeit einer Keimverschleppung und Infektion.
- Orogenitale Kontakte – Begünstigen spezifische virale Infektionen, wie z. B. durch Herpesviren.
- Übertriebene Intimhygiene
- Verwendung von Vaginalduschen, Intimsprays oder aggressiven Waschlotionen – Schädigt die Vaginalflora und erhöht das Risiko für Infektionen und Irritationen.
- Intrauterinspirale (IUP, Spirale)
- Kann lokale Entzündungen oder Irritationen fördern, besonders bei unsachgemäßer Hygiene.
- Promiskuität
- Häufig wechselnde Sexualpartner erhöhen die Exposition gegenüber sexuell übertragbaren Infektionen (STIs).
Medikamente
- Ovulationshemmer (Antibabypille)
Operationen
- Ovarektomie (Eierstockentfernung)
Röntgenstrahlen
- Radiatio (Strahlentherapie) der Ovarien im Rahmen von malignen Erkrankungen
Medikamente
- Insbesondere bei Chemotherapien gynäkologischer Karzinome z. B. Endometriumkarzinom (Gebärmutterkrebs), Mammakarzinom (Brustkrebs), Ovarialkarzinom (Eierstockkrebs), Vaginalkarzinom (Scheidenkrebs), Vulvakarzinom (Vulvakrebs)
Umweltfaktoren
- Chemische Irritationen
- Reizende Stoffe in Waschmitteln, parfümierten Intimhygieneprodukten oder Slipeinlagen können die Vaginalschleimhaut schädigen.
- Nicht atmungsaktive Kleidung
- Synthetische Stoffe fördern Wärme- und Feuchtigkeitsansammlungen, die lokale Irritationen und Infektionen begünstigen.
Autoren: Prof. Dr. med. G. Grospietsch, Dr. med. W. G. Gehring
Literatur
- Whitcomb BW et al.: Cigarette smoking and risk of early natural menopause. Am J Epidemiol 2018;187:696-704 https://doi.org/10.1093/aje/kwx292