Schwangerschaftserbrechen (Hyperemesis gravidarum) – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Hyperemesis gravidarum (HG), das übermäßige Erbrechen in der Schwangerschaft, ist eine schwere Form von Schwangerschaftsübelkeit und stellt eine multifaktorielle Erkrankung dar, deren genaue Pathogenese bislang nicht vollständig geklärt ist. Es wird vermutet, dass genetische, endokrine und gastrointestinale Faktoren sowie psychologische Einflüsse eine Rolle spielen. Im Gegensatz zur normalen Übelkeit in der Schwangerschaft ist die Hyperemesis gravidarum durch starkes Erbrechen, Elektrolytstörungen, Gewichtsverlust und Dehydratation gekennzeichnet.

Endokrine Faktoren

  • HCG (humanes Choriongonadotropin): Ein zentraler endokriner Faktor, der mit der Pathogenese der Hyperemesis gravidarum in Verbindung gebracht wird, ist das Hormon HCG. HCG wird in großen Mengen während der Schwangerschaft produziert, insbesondere im ersten Trimester. Die höchsten HCG-Spiegel treten um die 9.–12. Schwangerschaftswoche auf, einer Zeit, in der auch die meisten Symptome der Hyperemesis gravidarum ihren Höhepunkt erreichen. Es wird angenommen, dass hohe HCG-Spiegel das Erbrechen begünstigen könnten.

Allerdings entwickeln nicht alle Frauen mit hohen HCG-Spiegeln Hyperemesis gravidarum. So haben Frauen mit Chorionkarzinomen, die extrem hohe HCG-Werte aufweisen, oft keine Übelkeit oder Erbrechen. Diese Beobachtungen deuten darauf hin, dass individuelle Empfindlichkeit gegenüber HCG eine Rolle spielt, möglicherweise durch genetische Unterschiede oder die Interaktion mit anderen hormonellen Faktoren.

  • Östrogen: Ein weiterer endokriner Faktor, der eine Rolle spielen könnte, ist Östrogen. Hyperemesis gravidarum tritt häufiger bei Frauen mit einem weiblichen Fetus auf, was auf eine Rolle von erhöhten Östrogenspiegeln während der Schwangerschaft hinweisen könnte. Frauen mit Hyperemesis gravidarum könnten eine erhöhte Sensitivität gegenüber Östrogen aufweisen, was zur Verstärkung der Symptome führt. Die genaue Mechanik dieser Reaktion ist jedoch bislang nicht vollständig verstanden.

Genetische Faktoren

  • GDF15 (growth differentiation factor 15): Neue genetische Studien weisen darauf hin, dass das Hormon GDF15 eine Schlüsselrolle bei der Entstehung von Übelkeit und Erbrechen in der Schwangerschaft sowie der Hyperemesis gravidarum spielt. GDF15 wird von der Plazenta freigesetzt und ist dafür bekannt, in verschiedenen Prozessen wie Zellwachstum und Appetitregulation eine Rolle zu spielen. Hohe GDF15-Spiegel wurden mit einem Anstieg der Übelkeit und Appetitlosigkeit in Verbindung gebracht. Genetische Variationen, insbesondere Einzelnukleotidpolymorphismen (SNPs), die mit höheren GDF15-Spiegeln verbunden sind, wurden in HG-Familien gefunden und können das Wiederauftreten der Erkrankung beeinflussen. Der SNP rs16982345, ein Risiko-Allel für GDF15, war mit einem 8-fach höheren Risiko für ein Wiederauftreten von HG assoziiert [1].

Gastrointestinale Faktoren

  • Helicobacter pylori (H. pylori): Eine Infektion mit Helicobacter pylori, einem Bakterium, das die Magenschleimhaut besiedelt und für die chronische Gastritis verantwortlich ist, wird zunehmend als ein möglicher Faktor in der Pathogenese von Hyperemesis gravidarum betrachtet. H. pylori ist in 80–90 % der Fälle die häufigste Ursache einer chronischen Gastritis (Magenschleimhautentzündung). Es wird vermutet, dass die chronische Entzündung, die durch H. pylori ausgelöst wird, die Magenschleimhaut empfindlicher macht und dadurch Übelkeit und Erbrechen in der Schwangerschaft verstärkt.

Neurologische und zentrale Mechanismen

  • Übelkeit und Erbrechen werden durch neurophysiologische Prozesse im zentralen Nervensystem gesteuert, insbesondere durch das Brechzentrum im Hirnstamm und die Aktivierung von Rezeptoren für Serotonin und Dopamin. GDF15 könnte direkt auf das Brechzentrum einwirken und Übelkeit auslösen, indem es Appetitlosigkeit und Geschmacksveränderungen im Gehirn signalisiert. Die genauen Mechanismen, wie GDF15 das zentrale Nervensystem beeinflusst, sind noch Gegenstand aktueller Forschung.

Psychologische Faktoren

  • Früher wurde angenommen, dass psychologische Faktoren eine zentrale Rolle in der Entstehung von Hyperemesis gravidarum spielen. Auch heute wird diskutiert, dass Stress, Ängste und emotionale Belastungen die Symptome verstärken können. Frauen mit Hyperemesis gravidarum leiden häufig unter sozialer Isolation und Depression, was das klinische Bild verschlimmern kann. Die Rolle psychologischer Faktoren in der Entstehung bleibt jedoch sekundär und wird als Verstärker der Symptome anstelle einer primären Ursache angesehen.

Zusammenfassung

Die Pathogenese der Hyperemesis gravidarum ist multifaktoriell und umfasst eine Kombination aus endokrinen, genetischen, gastrointestinalen und psychologischen Faktoren. Das Hormon HCG sowie Östrogen spielen wahrscheinlich eine zentrale Rolle, wobei individuelle Unterschiede in der Sensitivität gegenüber diesen Hormonen bestehen. Neuere Daten weisen auf GDF15 als wichtigen Faktor hin, der Übelkeit und Erbrechen in der Schwangerschaft steuert. Genetische Varianten, insbesondere der SNP rs16982345, sind stark mit einem erhöhten Risiko für Hyperemesis gravidarum assoziiert [1]. Eine Helicobacter-pylori-Infektion kann ebenfalls zu den Symptomen beitragen, indem sie die Magenschleimhaut chronisch reizt. Psychologische Faktoren können eine Rolle spielen, jedoch mehr als Verstärker der Symptomatik.

Ätiologie (Ursachen)

Biographische Ursachen

  • Genetische Belastung (Hyperemesis gravidarum ist hoch vererbbare und tritt bei 80 % der Frauen erneut auf)
    • Genetisches Risiko abhängig von Genpolymorphismen:
      • Gene/SNPs (Einzelnukleotid-Polymorphismus; engl.: single nucleotide polymorphism):
        • Gene: GDF15
        • SNP: rs16982345 im Gen 
          • Allel-Konstellation: AA (leicht protektiv)
          • Allel-Konstellation: GG (1,5-fach) (8-fach höheres Risiko des Wiederauftretens einer Hyperemesis gravidarum [1])
  • Mehrlingsgravidität (Mehrlingsschwangerschaften)
  • Migrationshintergrund

Verhaltensbedingte Ursachen

  • Ernährung
    • Fettarme, kohlenhydratreiche Ernährung – Reduziert die Magenbelastung und stabilisiert den Blutzuckerspiegel.
    • Häufige kleine Mahlzeiten – Verhindert eine Überlastung des Magens und mindert Übelkeit.
    • Morgenmahlzeit im Bett – Ein leichter Snack vor dem Aufstehen kann die Symptome lindern.
    • Meiden von säurehaltigen Speisen und unangenehmen Gerüchen – Verhindert eine zusätzliche Reizung des Magens.
  • Körperliche Belastung
    • Schonung und regelmäßige Pausen – Verhindert eine Verschlimmerung der Symptome durch Überanstrengung.
  • Psycho-soziale Situation
    • Stressmanagement – Stressabbau durch Entspannungstechniken wie progressive Muskelentspannung oder Meditation.
    • Psychologische Unterstützung – Förderung eines positiven emotionalen Umfelds.
  • Übergewicht (BMI ≥ 25, Adipositas)
    • Übergewicht kann das Risiko für schwerere Symptome erhöhen und sollte durch präkonzeptionelle Gewichtsreduktion reduziert werden.

Krankheitsbedingte Ursachen

  • Depression/depressive Verstimmung
  • Essstörungen wie Anorexia nervosa (Magersucht) oder Bulimia nervosa (Essbrechsucht)
  • Helicobacter-pylori-Infektion, chronische 
  • Hyperparathyreoidismus (Nebenschilddrüsenüberfunktion)
  • Hyperthyreose (Schilddrüsenüberfunktion)
  • Leberfunktionsstörungen, nicht näher bezeichnet
  • Persönlichkeitsstörungen
  • Psychosomatische Störungen
  • Störungen im Fettstoffwechsel, nicht näher bezeichnet
  • Trophoblastenerkrankungen (komplette, partielle und invasive Blasenmole) – Störungen in der Entwicklung der Frucht

Literatur

  1. Fejzo MS et al.: Evidence GDF15 Plays a Role in Familial and Recurrent Hyperemesis Gravidarum. Geburtshilfe Frauenheilkd. 2018;78(9): 866-870. Published online 2018 Sep 14. doi: 10.1055/a-0661-0287