Schmerzen beim Geschlechtsverkehr (Dyspareunie) – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Dyspareunie, also Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, ist ein häufiges Problem, das sowohl körperliche als auch psychische Ursachen haben kann. Die Schmerzen können oberflächlich (äußere Dyspareunie) oder tief (innere Dyspareunie) lokalisiert sein und werden oft durch unterschiedliche anatomische Strukturen und Mechanismen beeinflusst. Die Pathogenese der Dyspareunie ist komplex und multifaktoriell, wobei sowohl somatische (körperliche) als auch psychische Faktoren eine Rolle spielen.

Somatische Ursachen

Dyspareunie kann durch verschiedene körperliche Erkrankungen und Störungen verursacht werden, die die Schmerzempfindung während des Geschlechtsverkehrs beeinflussen.

A. Äußere Dyspareunie

  • Vulvovaginale Entzündungen und Infektionen: Infektionen wie Vulvovaginitis (Entzündung von Vulva/äußerer Scheidenbereich und Vagina)durch Candida, bakterielle Vaginose oder sexuell übertragbare Infektionen (z. B. Herpes genitalis) können die vulvovaginale Schleimhaut reizen und zu Schmerzen führen. Eine entzündete Schleimhaut ist empfindlicher und schmerzhaft bei Berührung.
  • Atrophische Vaginitis: Besonders postmenopausale Frauen (Frauen 12 Monate nach der letzten Menstruationsblutung) leiden häufig unter vaginaler Trockenheit (Scheidentrockenheit) und Atrophie aufgrund von Östrogenmangel. Die dünner werdende Vaginalschleimhaut wird anfälliger für Verletzungen und schmerzhaft bei Penetration.
  • Dermatologische Erkrankungen: Erkrankungen wie Lichen sclerosus oder Ekzeme im Genitalbereich führen zu Entzündungen, Juckreiz und Schmerz, insbesondere bei Berührung.

B. Innere Dyspareunie

  • Endometriose: Eine häufige Ursache für tiefe Dyspareunie ist die Endometriose, bei der Endometriumgewebe außerhalb der Gebärmutter wächst, beispielsweise im Beckenraum. Während des Geschlechtsverkehrs kann es zu einem Zug an diesen Endometrioseherden kommen, was starke Schmerzen verursacht.
  • Zysten und Tumoren: Ovarialzysten (Eierstockzysten), Myome (gutartige Muskelgeschwülste der Gebärmutter) oder andere pelvine Tumoren (Beckentumoren) können Druck auf die umliegenden Organe und Nerven ausüben, was während des Geschlechtsverkehrs zu tiefen Schmerzen führt.
  • Beckenentzündliche Erkrankungen: Chronische Entzündungen im Becken, wie Pelvic Inflammatory Disease (PID), können zu Verklebungen und Narbenbildung führen, die die Bewegung von Organen wie dem Uterus oder den Eierstöcken einschränken und Schmerzen beim Geschlechtsverkehr auslösen.

Neuropathische Schmerzen und neurogene Entzündungen

  • Neuropathische Mechanismen: Schmerzen bei Dyspareunie können durch eine Überempfindlichkeit der Nervenfasern in der Vulva, Vagina oder im Becken ausgelöst werden. Diese neuropathischen Schmerzen resultieren häufig aus einer Sensibilisierung des Nervensystems nach wiederholten Entzündungen oder Verletzungen. Frauen mit Vulvodynie beispielsweise leiden unter chronischen Schmerzen, die durch eine Fehlfunktion der Nervenbahnen bedingt sind.
  • Neurogene Entzündungen: Neurogene Entzündungen können durch die Freisetzung von Substanzen wie Substanz P und anderen Neuropeptiden aus den sensorischen Nervenfasern ausgelöst werden. Diese verstärken die Entzündungsreaktionen und führen zu einer Sensibilisierung der Nerven, was bei jeder Berührung oder Bewegung Schmerz auslösen kann.

Beckenboden- und Organempfindlichkeit

  • Beckenbodenmuskulatur: Eine Überaktivität der Beckenbodenmuskulatur (Beckenbodendysfunktion) ist eine häufige Ursache für Dyspareunie. Ein erhöhter Muskeltonus im Beckenboden führt zu Verspannungen und Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, insbesondere beim Eindringen. Diese muskuläre Dysfunktion kann auch durch Trauma, Geburt oder Operationen verursacht werden.
  • Überempfindlichkeit der Organe: Die Harnblase, der Uterus (Gebärmutter) und die Cervix (Gebärmutterhals) können bei chronischen Entzündungen oder Erkrankungen wie interstitieller Zystitis (Form der Blasenentzündung) oder Adenomyose (Gewebe aus Drüsen in der Gebärmutterschleimhaut (Endometrium) wächst in das Muskelgewebe der Gebärmutter ein) schmerzhaft und überempfindlich sein. Diese Überempfindlichkeit führt dazu, dass der Kontakt während des Geschlechtsverkehrs als schmerzhaft empfunden wird, insbesondere bei tiefem Eindringen.

Psychische Ursachen

  • Angst und sexuelle Traumata: Psychische Faktoren wie Angst, frühere sexuelle Traumata oder Missbrauch können zu einer psychogenen Dyspareunie führen. Bei betroffenen Frauen kann es zu einer reflexartigen Anspannung der Beckenbodenmuskulatur (ähnlich dem Mechanismus beim Vaginismus) kommen, die Schmerzen auslöst oder verstärkt. Die Angst vor Schmerzen oder die Erwartung von Schmerz kann die Schmerzwahrnehmung weiter verstärken.
  • Beziehungsprobleme: Emotionale Spannungen oder Beziehungsprobleme können zu einer verminderten sexuellen Erregung und einer unzureichenden Vaginallubrikation führen, was den Geschlechtsverkehr schmerzhaft macht.

Schmerzphysiologische Mechanismen

  • Zentrale Sensibilisierung: Bei chronischen Schmerzen, einschließlich Dyspareunie, kann es zu einer zentralen Sensibilisierung kommen, bei der das zentrale Nervensystem übermäßig empfindlich auf Schmerzsignale reagiert. Dies führt dazu, dass Schmerzen intensiver wahrgenommen werden, selbst bei milden Reizen. Eine solche Sensibilisierung kann sich nach wiederholten Episoden von schmerzhaftem Geschlechtsverkehr entwickeln.
  • Allodynie und Hyperalgesie: In einigen Fällen kann die Berührung der Genitalregion, die normalerweise nicht schmerzhaft ist, als schmerzhaft empfunden werden (Allodynie). Auch verstärkte Schmerzreaktionen auf normale Reize (Hyperalgesie) sind häufige Schmerzphänomene bei Dyspareunie und weisen auf eine Fehlfunktion in der Schmerzverarbeitung hin.

Lokalisation der Schmerzen

  • Äußere Dyspareunie: Dieser Schmerz tritt meist an der Vaginalöffnung oder den äußeren Genitalien auf. Häufige Ursachen sind Vulvovaginitis, Vulvodynie oder Lichen sclerosus. Oberflächliche Schmerzen sind oft mit direktem Kontakt der Schleimhaut verbunden.
  • Innere Dyspareunie: Tiefer gelegene Schmerzen im Beckenbereich können auf Endometriose, Ovarialzysten, Myome oder entzündliche Prozesse hindeuten. Diese Schmerzen sind oft mit dem tiefen Eindringen während des Geschlechtsverkehrs verbunden.

Zusammenfassung

Die Pathogenese der Dyspareunie ist ein komplexes Zusammenspiel aus somatischen, neuropathischen und psychischen Faktoren. Körperliche Ursachen wie Infektionen, entzündliche Erkrankungen, Endometriose oder Beckenbodendysfunktionen führen zu direkten Schmerzen bei der Penetration oder Bewegung im Beckenbereich. Neuropathische Mechanismen, einschließlich der zentralen Sensibilisierung und neurogener Entzündungen, verstärken die Schmerzwahrnehmung und tragen zur Chronifizierung bei. Psychische Faktoren wie Angst, sexuelle Traumata und Beziehungskonflikte verstärken den Teufelskreis von Schmerz und Muskelverspannung. Die Lokalisation der Schmerzen, sei es oberflächlich oder tief, gibt oft Hinweise auf die zugrunde liegende Ursache.

Ätiologie (Ursachen)

Biographische Ursachen

  • Teenager und Frauen nach den Wechseljahren (Lokalisation: "äußere" Dyspareunie)
  • Frauen im mittleren Lebensalter (Lokalisation: "innere" Dyspareunie)
  • Hormonelle Faktoren – Östrogenmangel im Klimakterium/Wechseljahre

Verhaltensbedingte Ursachen

  • Psycho-soziale Situation
    • Ablehnung des Partners
    • Beziehungsprobleme
    • Psychische Konflikte
  • Fehlende sexuelle Erregung

Krankheitsbedingte Ursachen (organische Ursachen bzw. Differentialdiagnosen, d. h. eine Ausschlussdiagnostik ist erforderlich)

Angeborene Fehlbildungen, Deformitäten und Chromosomenanomalien (Q00-Q99)

  • Gartner-Zysten (Synonym: Gartner-Gang-Zyste; Zysten der Vaginalwand, die sich aus dem Gewebe des Gartner-Gangs, einem Relikt des Ductus mesonephricus, bilden) – Lokalisation: meist im anterolateralen ("vorne und seitlich") Bereich der oberen 2/3 der Vagina (Scheide); Symptomatik: in der Regel unspezifisch und abhängig von der Größe der Zyste; Häufigkeit: 1-2 % aller Frauen 

Haut und Unterhaut (L00-L99) 

  • Lichen sclerosus (LS) (et atrophicus) (Synonyme: Lichen albus; Lichen atrophicus; Lichen sclerosus; Lichen sclerosus et atrophicans; Lichen sclerosus et atrophicus; Morphoeid scleroderma; Weißfleckenkrankheit; White spot diseas) – eine chronisch, entzündliche, vernarbende Hauterkrankung, die durch eine lymphatische Reaktion gekennzeichnet ist und beide Geschlechter bevorzugt im Genitalbereich betrifft.

Herzkreislaufsystem (I00-I99)

  • Beckenvenensyndrom (Pelvic Congestion Syndrome, PCS) – chronische Unterleibsschmerzen bei Frauen
  • Thrombosierte Hämorrhoide

Infektiöse und parasitäre Krankheiten (A00-B99)

  • Gonorrhoe (Tripper) – sexuell-übertragbare Infektionserkrankung
  • Trichomonadenkolpitis – Scheidenentzündung durch Trichomonaden (Protozoen – Einzeller)

Mund, Ösophagus (Speiseröhre), Magen und Darm (K00-K67; K90-K93)

  • Analfissur schmerzhafter Einriss der Haut- oder Schleimhaut des Afters
  • Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED): Colitis ulcerosa, Morbus Crohn
  • Perianalabszess – eitrige Entzündung im Gewebe um den Anus (After)
  • Reizdarmsyndrom (RDS)

Neubildungen – Tumorerkrankungen (C00-D48)

  • Cervixkarzinom (Gebärmutterhalskrebs)
  • Ovarialzysten und gutartigen Neubildungen des Ovars (Eierstock)

Psyche – Nervensystem (F00-F99; G00-G99)

  • Neurome nach Episiotomie (Nervenknäuelbildungen am Ende eines verletzten Nervs; hier: nach einer Episiotomie (Dammschnitt))

Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett (O00-O99)

  • Geburten – wg. Narben (Dammschnitt/Dammriss)

Urogenitalsystem (Nieren, Harnwege – Geschlechtsorgane) (N00-N99)

  • Adenomyose (Adenomyosis uteri) – Endometriuminseln (Gebärmutterschleimhautinseln) innerhalb des Myometriums/Gebärmuttermuskulatur (Endometriosis uteri)
  • Adnexitis (Eierstockentzündung), chronische
  • Atrophische Kolpitis (Kolpitis senilis; Östrogenmangel-Kolpitis; Scheidentrockenheit) – Scheidenentzündung bei Frauen in und nach den Wechseljahren
  • Bartholinitis – Entzündung der Ausführungsgänge der Bartholinischen Drüse
  • Cervicitis (Gebärmutterhalsentzündung)
  • Endometriose – Auftreten von Endometrium (Gebärmutterschleimhaut) außerhalb der Gebärmutterhöhle (Cavum uteri)
  • Genitalprolaps – teilweise oder vollständige Vorfallen der Scheide (Descensus vaginae) und/oder Gebärmutter (Descensus uteri) aus der Schamspalte (Rima pudendi)
  • Pelvipathie – Unterbauchschmerzen der Frau aufgrund sehr unterschiedlicher Ursachen, die somatischer (körperlicher) als auch psychischer Natur sein können
  • Prämenstruelles Syndrom (PMS) – tritt bei Frauen etwa vier bis vierzehn Tage vor der nächsten Periode auf und beinhaltet ein komplexes Bild unterschiedlicher Symptome und Beschwerden 
  • Überaktive Blase (OAB-Symptomatik) 
  • Uterusmyome – gutartige Wucherungen der Gebärmutter
  • Urethritis (Harnröhrenentzündung)
  • Urethralkarunkel – Schleimhautvorstülpung der weiblichen Harnröhre
  • Vaginalmykosen (Pilzinfektionen der Scheide)
  • Vaginismus – spastischer Verschluss der Vagina (Scheide), meist durch psychische Probleme bedingt
  • Vaginitis/Kolpitis (Scheidenentzündung; bakteriell, Mykose, Trichomonaden)  
  • Vulväre Vestibulitis (Vestibulitis-Vulvae-Syndrom; lokalisierte vulväre Dysästhesie) – häufigste Form der oberflächlichen (introitalen) Dyspareunie
  • Vulvitis – Entzündung der äußeren Geschlechtsorgane
  • Zystitis (Blasenentzündung)

Medikamente

  • Antihormonelle Therapie (Ovarablation mit GnRH-Analoga bis hin zum Einsatz von Aromatasehemmern) → therapiebedingter Östrogenentzug bei hormonrezeptorpositiven Mammakarzinompatientinnen → ausgeprägte vaginale Atrophie und Verschiebung des pH-Werts mit Veränderungen der Vaginalflora → Dyspareunie, ggf. auch Kohabitationsunfähigkeit

Operationen

  • Adhäsionen (Verwachsungen) nach Bauchoperationen
  • Geburtshilfliche Operationen: Patienten mit Zustand nach Sectio caesarea (Kaiserschnitt) oder Vakuumextraktion (Saugglockenentbindung) haben ein höheres Risiko für eine postpartale ("nach der Entbindung auftretende") Dyspareunie, im Vergleich zu Patienten die spontan entbunden haben und deren Perineum (Damm) nicht verletzt wurde [1].
  • Operationen am Rektum (Mastdarm)
  • Weibliche Genitalverstümmelung (engl. Female Genital Mutilation (FGM)): Klitoridektomie; Beschneidung der großen Schamlippen (Exzision); Beschneidung der großen Schamlippen und Entfernung des äußerlich sichtbaren Teils der Klitoris (Infibulation)

Weiteres

  • Intaktes Hymen

Autoren: Prof. Dr. med. G. Grospietsch, Dr. med. W. G. Gehring

Literatur

  1. McDonald E, Gartland D, Small R, Brown S: Dyspareunia and childbirth: a prospective cohort study. BJOG. 2015 Jan 21. doi: 10.1111/1471-0528.13263.