Scheidenjuckreiz (Pruritus vulvae) – Ursachen
Pathogenese (Krankheitsentstehung)
Die Pathogenese des Pruritus vulvae (Scheidenjuckreiz) ist komplex und multifaktoriell, da der Juckreiz als Warnsignal des Körpers auf potenziell schädliche Reize (Noxen) oder zugrunde liegende Erkrankungen hinweist. Der Mechanismus des Pruritus basiert auf der Aktivierung freier Nervenendigungen in der Dermis (Korium) und Epidermis, die durch chemische oder mechanische Reize stimuliert werden. Verschiedene Mediatoren, wie Histamin und Zytokine, sind an der Signalweiterleitung beteiligt.
Pathophysiologie des Juckreizes
- Der Juckreizmechanismus wird durch die Aktivierung von spezialisierten Nervenfasern (C-Fasern) in der Haut ausgelöst, die auf mechanische, thermische oder chemische Reize reagieren. Diese Fasern projizieren über das Rückenmark in das zentrale Nervensystem und vermitteln dort die Juckempfindung.
- Die wichtigsten Botenstoffe, die den Juckreiz initiieren, sind Histamin, Substanz P, Zytokine (z. B. Interleukine), Proteasen und Neuropeptide. Diese Stoffe werden von verschiedenen Zellen freigesetzt, darunter Mastzellen, Keratinozyten und Immunzellen.
- Histamin, das bei allergischen und entzündlichen Reaktionen von Mastzellen freigesetzt wird, ist ein bedeutender Mediator des Juckreizes. Es bindet an Histaminrezeptoren (insbesondere H1- und H4-Rezeptoren) und aktiviert die freien Nervenendigungen.
- Zytokine und Neuropeptide wie Interleukin-31 und Substanz P fördern zusätzlich die Entzündung und Sensibilisierung der Nervenfasern. Dies führt zu einer Senkung der Juckreizschwelle und verstärkter Empfindlichkeit auf Reize.
Ätiologie (Ursachen)
Biographische Ursachen
- Lebensalter – Senium
- Hormonelle Faktoren
- Laktationsphase (Stillphase)
- Menopause (Wechseljahre)/Senium
Verhaltensbedingte Ursachen
- Ernährung
- Mikronährstoffmangel (Vitalstoffe) – siehe Mikronährstofftherapie
- Körperliche Aktivität
- Mechanische Belastungen z. B. enge Kleidung, Fahrradfahren, Reiten u. a.
- Psycho-soziale Situation
- Stress
- Übergewicht (BMI ≥ 25; Adipositas)
- Enge Kleidung, Intimrasur → Mikrotraumata (geringfügige, unterschwellige Verletzungen)
- Intimhygiene
- falsche (Abwischen nach dem Stuhlgang von hinten nach vorne)
- übertriebene (Deodorantien, Desinfektionsmittel, Spülungen, Waschungen etc.)
- Unsauberkeit
- Sexualpraktiken
- Geschlechtsverkehr (z. B. Wechsel von vaginalem zu analem oder oralem Koitus)
- Promiskuität (sexueller Kontakte mit relativ häufig wechselnden verschiedenen Partnern)
Krankheitsbedingte Ursachen
Blut, blutbildende Organe – Immunsystem (D50-D90)
- Eisenmangelanämie (Blutarmut durch Eisenmangel)
- Perniziöse Anämie
Endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten (E00-E90)
- Adipositas
- Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit)
- Lebererkrankungen
- Östrogenmangel (Menopause, Stillphase)
- Schilddrüsenerkrankungen (Hyper-, Hypothyreose/Schilddrüsenüber- bzw. -unterfunktion)
Haut und Unterhaut (L00-L99)
- Allergische Reaktionen – wg. z. B. Arzneimittel, Detergenzien,Farbstoffe auf bedruckten Toilettenpapier, Feuchttücher mit Duftstoffen und Konservierungsmitteln,Insektizide, Intimspray, Kleidung, Kosmetika, Medikamente, Öle, Seifen,Spülungen, Wäsche, Waschmitteln etc.
- Behçet-Krankheit (Synonym: Morbus Adamantiades-Behçet) – schubweise verlaufende Immundefekt-Erkrankung aus dem rheumatischen Formenkreis; tritt auf in der Mundhöhle und der Genitalregion
- Dermatitis (entzündliche Reaktion der Haut)
- Ekzeme
- Epidermalzyste ‒ prall-elastischer Knoten, der mit Hornmassen gefüllt ist
- Hidradenitis (Entzündung apokriner Schweißdrüsen)
- Hyperhidrose (übermäßige Schweißdrüsensekretion)
- Idiopathischer Pruritus vulvae (mit nicht bekannter Ursache)
- Kraurosis vulvae (Synonyme: Craurosis vulvae, Vulvadystrophie), d. h. degenerative Veränderung der Haut, einhergehend mit Atrophie und Hyperplasie ("übermäßige Zellbildung"). Dieses führt zu einer Schrumpfung der Vulva mit anschließender Sklerosierung (Gewebeverhärtung) des subkutanen Fettgewebes.
- Lichen ruber/planus (Knötchenflechte)
- Lichen sclerosus (LS) (et atrophicus) (Synonyme: Lichen albus; Lichen atrophicus; Lichen sclerosus; Lichen sclerosus et atrophicans; Lichen sclerosus et atrophicus; Morphoeid scleroderma; Weißfleckenkrankheit; White spot diseas) – eine chronisch, entzündliche, vernarbende Hauterkrankung, die durch eine lymphatische Reaktion gekennzeichnet ist und beide Geschlechter bevorzugt im Genitalbereich betrifft.
- Leukoplakie ‒ Verhornungsstörung der Schleimhäute sowie Genitalien
- Psoriasis (Schuppenflechte)
- Urtikaria (Nesselsucht)
Infektiöse und parasitäre Krankheiten (A00-B99)
- Chlamydien – häufigsten bakteriellen Erreger von urogenitalen Infektionen (Infektionserkrankungen, die die Harnwege und/oder die Geschlechtsorgane betreffen)
- Gonorrhoe (Tripper)
- Herpes genitalis
- Herpes zoster
- Milben
- Mykosen (Pilzerkrankungen) – speziell Dermatophytosen (Candia albicans)/Candidosen; besonders häufig bei Diabetiker sowie nach systemischer Therapie mit Antibiotika oder Steroiden; Erscheinungsbild: rötliche und weißliche Plaques (flächenhafte oder plattenartige Substanzvermehrung der Haut), Erosionen (oberflächliche, das Epithel betreffende Hornhautdefekt) bzw. Ulzera (Geschwüre)
- Molluscum cotagiosum
- Pemphigus vulgaris
- Phthiriasis (Filzläuse)
- Scabies (Krätze)
- Streptokokken Gruppe A
- Syphilis (Lues; Geschlechtskrankheit)
- Trichomonaden
- Varizellen (Windpocken)
- Vulvitis plasmacellularis
- Warzen (Condylomata acuminata; Synonyme: Feigwarzen, Feuchtwarzen und Genitalwarzen)
- Wurmbefall
- Nematoden (Fadenwürmer)
- Oxyuren (Madenwürmer, Oxyuriasis); meist zu diagnostizieren bei Kindern
Muskel-Skelett-System und Bindegewebe (M00-M99)
- Morbus Behçet (Synonym: Morbus Adamantiades-Behçet; Behçet-Krankheit; Behçet-Aphthen) – Multisystemerkrankung aus dem rheumatischen Formenkreis, die mit einer rezidivierenden, chronischen Vaskulitis (Gefäßentzündung) der kleinen und großen Arterien sowie mit Schleimhautentzündungen einhergeht; als typisch für die Erkrankung wird in der Literatur die Trias (das Auftreten von drei Symptomen) aus Aphthen (schmerzhafte, erosive Schleimhautveränderungen) im Mund und aphthösen Genitalulzera (Geschwüre in der Genitalregion) sowie einer Uveitis (Entzündung der mittleren Augenhaut, die aus der Aderhaut (Choroidea), dem Strahlenkörper (Corpus ciliare) und der Regenbogenhaut (Iris) besteht) angegeben; man vermutet einen Defekt der zellulären Immunität
Neubildungen – Tumorerkrankungen (C00-D48)
- Leukämie (Blutkrebs)
- Klitoriskarzinom ‒ bösartige Neubildung der Klitoris (Kitzler)
- Morbus Bowen – Hauterkrankung, die zu den Präkanzerosen (Krebsvorstufen) gehört
- Morbus Hodgkin – maligne Neoplasie (bösartige Neubildung) des lymphatischen Systems
- Vulväre intraepitheliale Neoplasie (VIN I, II, III) (Vorstufe eines Vulvakarzinoms)
- Vulvakarzinom ‒ Vulvakrebs/Krebs der äußeren Genitalorgane der Frau; mediane Erkrankungsalter für Vulvakarzinome liegt bei ca. 70 Jahren
Psyche – Nervensystem (F00-F99; G00-G99)
- Depression
- Partnerkonflikt
- Psychosomatische Störungen – vor allem bei sexuellen Konflikten (Sexualstörung)
- Vulvodynie – Missempfindungen und Schmerzen der äußeren primären Geschlechtsorgane, die länger als drei Monaten ohne identifizierbare Ursache andauern; Beschwerden sind lokalisiert bzw. generalisiert über den gesamten Perinealbereich (Gewebebezirk zwischen dem Anus und den äußeren Geschlechtsorganen); ggf auch als gemischte Form vorliegend); Prävalenz (Krankheitshäufigkeit) der essenziellen Vulvodynie: 1-3 %
Symptome und abnorme klinische und Laborbefunde, die anderenorts nicht klassifiziert sind (R00-R99)
- Stuhlinkontinenz – Unfähigkeit, den Stuhlgang zurückzuhalten
- Urämie (Auftreten harnpflichtiger Substanzen im Blut oberhalb der Normwerte)
Urogenitalsystem (Nieren, Harnwege – Geschlechtsorgane) (N00-N99)
- Chronische Nierenerkrankungen
- Harninkontinenz (Blasenschwäche)
Verletzungen, Vergiftungen und andere Folgen äußerer Ursachen (S00-T98)
- Traumata (Verletzungen) durch Fremdkörper, Sexualpraktiken etc.
- Vulvahämatom ‒ Bluterguss im Bereich der Vulva
Labordiagnosen – Laborparameter, die als unabhängige Risikofaktoren gelten
- Eisenmangel
Medikamente
- Arzneimittelunverträglichkeiten
Autoren: Prof. Dr. med. G. Grospietsch, Dr. med. W. G. Gehring