Gebärmutterhalsschwäche (Cervixinsuffizienz) – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Die Cervixinsuffizienz ist eine wichtige Ursache für Frühgeburten und zeichnet sich durch eine schmerzlose Verkürzung und Eröffnung des Gebärmutterhalses (Cervix) während der Schwangerschaft aus, meist im zweiten Trimester. Die Pathogenese ist komplex und multifaktoriell, wobei verschiedene mechanische, biochemische, immunologische und genetische Faktoren eine Rolle spielen.

Anatomische und strukturelle Faktoren

  • Bindegewebszusammensetzung der Cervix: Die Cervix besteht überwiegend aus Bindegewebe (ca. 90 %), das aus Kollagenfasern, Elastin, Proteoglykanen und Wasser besteht. Nur etwa 10 % entfallen auf Muskelgewebe. Die Festigkeit der Cervix wird durch die Organisation dieser Komponenten gewährleistet.
  • Umbau des Bindegewebes: Während der Schwangerschaft kommt es zu einem natürlichen Umbauprozess des Cervixgewebes, bei dem die Kollagenfasern reorganisiert und die Wasserbindungskapazität erhöht wird. Bei Cervixinsuffizienz laufen diese Umbauprozesse vorzeitig oder beschleunigt ab, was zu einer frühzeitigen Erweichung und Verkürzung der Cervix führt.

Biochemische Prozesse und Mediatoren

  • Matrix-Metalloproteinasen (MMPs): Diese Enzyme spielen eine Schlüsselrolle beim Abbau der extrazellulären Matrix. Eine erhöhte Expression von MMPs kann zu einem übermäßigen Abbau von Kollagen und Elastin führen, was die strukturelle Integrität der Cervix beeinträchtigt.
  • Zytokine und Entzündungsmediatoren: Proinflammatorische Zytokine wie Interleukine (z. B. IL-1, IL-6) und Tumornekrosefaktor-alpha (TNF-α) können die Aktivität von MMPs steigern und Entzündungsprozesse fördern, die den Umbau des Cervixgewebes beschleunigen.
  • Prostaglandine: Diese Lipidmediatoren fördern die Cervixreifung und Wehentätigkeit. Eine erhöhte Produktion von Prostaglandinen kann zu einer vorzeitigen Cervixreifung führen.
  • Stickstoffmonoxid (NO): NO wirkt als vasodilatatorischer Faktor und kann die Relaxation der glatten Muskulatur fördern. Es spielt auch eine Rolle bei der Regulation der Cervixreifung durch Beeinflussung von Kollagenabbau und Zellproliferation.

Hormonelle Einflüsse

  • Progesteron: Dieses Hormon ist essentiell für die Aufrechterhaltung der Schwangerschaft und hemmt Uteruskontraktionen. Ein relativer Progesteronmangel oder eine Progesteronresistenz kann die Cervixreifung vorantreiben und die Gefahr einer Cervixinsuffizienz erhöhen.
  • Östrogene: Sie fördern die Kollagensynthese und beeinflussen die Wasserbindung im Cervixgewebe. Ein Ungleichgewicht zwischen Östrogen und Progesteron kann den Reifungsprozess der Cervix beeinflussen.

Immunologische Faktoren

  • Entzündungsreaktionen: Eine vorzeitige Aktivierung des Immunsystems mit Infiltration von Leukozyten, insbesondere Neutrophilen und Makrophagen (Fresszellen), kann den Umbau des Cervixgewebes fördern. Diese Zellen setzen Enzyme und Zytokine frei, die den Kollagenabbau beschleunigen.
  • Infektionen: Aszendierende (aufsteigende) Infektionen des Genitaltrakts können lokale Entzündungsreaktionen auslösen, die zur vorzeitigen Cervixreifung beitragen.

Mechanische Faktoren

  • Anatomische Anomalien: Angeborene Fehlbildungen oder erworbene Veränderungen der Cervix, beispielsweise durch vorherige chirurgische Eingriffe wie Konisation oder Dilatation, können die strukturelle Integrität beeinträchtigen.
  • Mehrlingsschwangerschaften: Die erhöhte mechanische Belastung durch ein größeres Uterusvolumen kann die Cervix belasten und eine Insuffizienz begünstigen.

Genetische Prädisposition

  • Bindegewebserkrankungen: Genetische Störungen wie das Ehlers-Danlos-Syndrom beeinflussen die Kollagenstruktur und -synthese, was zu einer erhöhten Anfälligkeit für Cervixinsuffizienz führt.
  • Genetische Variationen: Polymorphismen in Genen, die für Kollagen, MMPs oder Zytokine kodieren, können das Risiko einer vorzeitigen Cervixreifung erhöhen.

Mikrobiom und vaginale Flora

  • Veränderungen des vaginalen Mikrobioms: Dysbiosen können Entzündungsreaktionen fördern und die Integrität der Cervix beeinträchtigen.
  • Bakterielle Vaginosen: Sie sind mit einem erhöhten Risiko für Frühgeburten und möglicherweise auch für Cervixinsuffizienz assoziiert.

Umwelteinflüsse und Lifestyle-Faktoren

  • Rauchen: Nikotin und andere Schadstoffe können die Kollagensynthese beeinträchtigen und entzündliche Prozesse fördern.
  • Stress: Chronischer Stress kann hormonelle Ungleichgewichte verursachen, die die Cervixreifung beeinflussen.

Zusammenfassung

Die Pathogenese der Cervixinsuffizienz ist multifaktoriell und beinhaltet ein komplexes Zusammenspiel von strukturellen Veränderungen, biochemischen Prozessen, hormonellen Einflüssen, immunologischen Reaktionen und genetischen Prädispositionen. Eine vorzeitige oder übermäßige Erweichung und Verkürzung des Gebärmutterhalses resultiert aus der beschleunigten Umstrukturierung des Bindegewebes, gesteigerten enzymatischen Aktivitäten und entzündlichen Prozessen. Diese Veränderungen können unabhängig von Uteruskontraktionen oder Wehen auftreten und führen dazu, dass die Haltefunktion der Cervix nicht mehr gewährleistet ist, was das Risiko für vorzeitige Wehen und Frühgeburten erhöht.

Ätiologie (Ursachen)

Biographische Ursachen 

  • Genetische Belastung
    • Genetische Erkrankungen
      • Ehlers-Danlos-Syndrom (EDS) ‒ genetische Erkrankungen, die sowohl autosomal-dominant als auch autosomal-rezessiv sind; heterogene Gruppe, die durch eine Störung der Kollagensynthese bedingt sind; gekennzeichnet durch eine erhöhte Elastizität der Haut und ungewöhnliche Zerreißbarkeit derselbigen (Habitus des "Kautschukmenschen"); Organe mit bindegewebsreichen Strukturen z. B. auch die Cervix uteri sind mangelhaft ausgebildet, die Funktion beeinträchtigt.

Krankheitsbedingte Ursachen

Häufig ist die Ursache der Cervixinsuffizienz nicht feststellbar. Bekannte Ursachen sind:

  • Angeborene Erkrankungen:
    • Fehlbildungen der Müllerschen Gänge ( z. B. Uterusfehlbildungen/Fehlbildungen der Gebärmutter) 
    • Mangel an:
      • elastischen Fasern
      • Kollagenen
  • Infektionen:
    • Aszendierende (aufsteigende) Infektionen
    • Chorioamnionitis (Entzündung der inneren Eihaut und der äußeren Schicht der Fruchthüllen um den Embryo bzw. Fetus/ungeborene Kind)
    • Harnwegsinfektionen (HWI)
    • Systemische Infektionen
  • Traumatisierung der Cervix durch:  
    • Riss (Geburtsverletzungen, Emmet-Riss)
    • Konisation (Operation am Muttermund, bei der ein Gewebekegel (Konus) aus dem Gebärmutterhals (Cervix) ausgeschnitten und anschließend mikroskopisch untersucht wird) (das Risiko einer insuffizienten Cervix ist bei einem Konusdurchmesser > 10 mm erhöht) 
    • Überdehnung bei:
      • Instrumentellen Schwangerschaftsabbrüchen
      • Intrauterinen ("innerhalb der Gebärmutter") Operationen