Drohende Frühgeburt – Anamnese

Die Anamnese (Krankengeschichte) stellt einen wichtigen Baustein zur Überprüfung einer potentiellen Gefährdung und damit in der Diagnostik der drohenden Frühgeburt dar.

Familienanamnese 

  • Gibt es in Ihrer Familie (mütterlicher oder väterlicherseits) Fälle von Frühgeburten?
    • Wenn ja: In welcher Schwangerschaftswoche und aus welchen bekannten Ursachen?
  • Gab es bei Ihrer Mutter oder Großmutter vorzeitige Wehen oder Komplikationen während der Schwangerschaft?
    • Z. B. vorzeitige Wehentätigkeit, Zervixinsuffizienz, Plazentainsuffizienz?
  • Sind Fehlbildungen der Gebärmutter (z. B. Uterus septus, Uterus bicornis) oder andere gynäkologische Auffälligkeiten in Ihrer Familie bekannt?
  • Gab es in Ihrer Familie Mehrlingsgeburten (Zwillinge, Drillinge etc.)?
  • Treten genetische oder hereditäre Erkrankungen in Ihrer Familie auf, die mit einem erhöhten Frühgeburtsrisiko assoziiert sein könnten?
    • Z. B. Bindegewebserkrankungen (wie Ehlers-Danlos-Syndrom), Gerinnungsstörungen, Autoimmunerkrankungen?
  • Gibt es familiäre Häufungen von chronischen Erkrankungen, die das Schwangerschaftsrisiko erhöhen könnten?
    • Z. B. Diabetes mellitus, arterielle Hypertonie, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen?
  • Bestehen in Ihrer Familie bekannte thrombophile Diathesen (erhöhte Thromboseneigung), wie z. B. Faktor-V-Leiden-Mutation oder Prothrombinmutation?
  • Gab es in Ihrer Familie wiederholte Fehlgeburten oder Totgeburten?
    • Falls ja: In welchem Schwangerschaftsalter und mit bekannten Ursachen?

Sozialanamnese

  • Wie alt sind Sie? Sind Sie jünger als 18 oder älter als 35 Jahre?
  • Leben Sie derzeit als alleinerziehende Mutter?
  • Bestehen körperlich belastende Tätigkeiten im Alltag oder Beruf (z. B. häufiges Stehen, Heben schwerer Lasten)?
  • Wie würden Sie Ihre finanzielle und soziale Situation beschreiben?
  • Arbeiten Sie im Schichtdienst oder haben Sie einen unregelmäßigen Schlafrhythmus?
  • Haben Sie aktuell psychosoziale Belastungen (z. B. familiäre Konflikte, finanzielle Sorgen, fehlende Unterstützung)?

Aktuelle Anamnese/Systemanamnese (somatische und psychische Beschwerden)

  • Unterbauchbeschwerden und Wehenaktivität
    • Spüren Sie ziehende oder krampfartige Schmerzen im Unterbauch?
    • Treten diese rhythmisch auf (z. B. alle 10–15 Minuten)?
    • Haben Sie regelmäßig auftretende Kontraktionen, insbesondere vor der 37. Schwangerschaftswoche?*
  • Druckgefühl oder Tiefertreten des Kindes
    • Besteht ein Druck nach unten im Becken oder das Gefühl, das Kind sei „tiefer gerutscht“?
    • Haben Sie das Gefühl eines baldigen Pressdrangs oder starken Drucks im Beckenbereich?*
  • Veränderter oder vermehrter Ausfluss
    • Ist der Ausfluss ungewöhnlich wässrig, schleimig oder blutig?
    • Besteht ein plötzlicher Abgang von Flüssigkeit (Hinweis auf vorzeitigen Blasensprung)?*
  • Vaginale Blutungen
    • Haben Sie eine leichte oder stärkere Blutung bemerkt?
    • Tritt hellrotes Blut auf – auch ohne Schmerzen – insbesondere im zweiten oder dritten Trimenon (Schwangerschaftsdrittel)?*
  • Harn- oder Darmentleerung
    • Bestehen Schmerzen beim Wasserlassen, häufiger Harndrang oder krampfartige Blasenbeschwerden?
    • Gab es eine Veränderung der Stuhlgewohnheiten, z. B. Durchfall oder Verstopfung?
  • Fieberhafte Infekte oder Infektionszeichen
    • Besteht Fieber, Schüttelfrost oder allgemeines Krankheitsgefühl?
    • Haben Sie Halsschmerzen, Husten, Ausfluss oder Schmerzen beim Wasserlassen bemerkt?
    • Fieberhafte Infektionen (z. B. bakterielle Vaginosen, Harnwegsinfekte) können Frühgeburten auslösen – bitte sofort ärztlich abklären lassen!*
  • Allgemeinzustand und Belastbarkeit
    • Fühlen Sie sich müde, abgeschlagen oder haben Sie Kreislaufprobleme?
    • Gibt es Hinweise auf Appetitverlust, Gewichtsveränderung oder Schlafstörungen?
  • Psychische Verfassung und Stressbelastung
    • Bestehen Ängste, depressive Verstimmungen oder anhaltende emotionale Belastungen?
    • Gibt es belastende familiäre, berufliche oder partnerschaftliche Konflikte?
    • Starke psychische Belastung kann mit einem erhöhten Frühgeburtsrisiko assoziiert sein – psychosomatische Betreuung sinnvoll.*
  • Körperliche Aktivität und Belastungssituationen
    • Haben Sie sich körperlich stark belastet (z. B. Tragen schwerer Lasten, langes Stehen)?
    • Gab es in den letzten Tagen Unfälle, Stürze oder Prellungen im Bauchbereich?

Vegetative Anamnese inkl. Ernährungsanamnese

  • Haben Sie seit Beginn der Schwangerschaft deutlich an Gewicht zu- oder abgenommen? Geben Sie bitte uns Ihr Körpergewicht (in kg) und Ihre Körpergröße (in cm) an.
  • Ernähren Sie sich ausgewogen?
  • Achten Sie auf die Zufuhr wichtiger Mikronährstoffe wie Folsäure, Eisen, Vitamin D oder Omega-3-Fettsäuren?
  • Wie viel trinken Sie durchschnittlich pro Tag (bitte in Litern angeben)?
  • Trinken Sie gerne Kaffee, schwarzen oder grünen Tee? Wenn ja, wie viele Tassen pro Tag
  • Trinken Sie andere bzw. weitere koffeinhaltige Getränke? Wenn ja, wie viel jeweils davon?
  • Rauchen Sie? Wenn ja, wie viele Zigaretten, Zigarren oder Pfeifen pro Tag?
  • Trinken Sie Alkohol? Wenn ja, welches Getränk bzw. welche Getränke und wie viele Gläser pro Tag?
  • Nehmen Sie Drogen? Wenn ja, welche Drogen und wie häufig pro Tag bzw. pro Woche?

Eigenanamnese

  • Vorerkrankungen:
    • Diabetes mellitus?
    • Hypertonie (Bluthochdruck)?
    • Gerinnungsstörungen?
    • Nierenerkrankungen?
    • Schilddrüsenerkrankungen?
    • Hatten Sie in der Vergangenheit wiederholt Infektionen, z. B. Harnwegsinfekte oder vaginale Infektionen?
    • Wurde bei Ihnen eine Uterusfehlbildung oder Myome festgestellt?
    • Haben Sie bereits eine Sterilitätsbehandlung erhalten (z. B. IVF, ICSI)?
  • Operationen:
    • Wurden bei Ihnen Operationen an der Gebärmutter durchgeführt (z. B. Myomentfernung, Gebärmutteroperation bei Fehlbildung)?
    • Wurde bei Ihnen eine Konisation (Entnahme eines Gewebekegels am Gebärmutterhals) durchgeführt?
    • Haben Sie bereits einen instrumentellen Schwangerschaftsabbruch erlebt?
    • Gab es während der Schwangerschaft operative Eingriffe?
  • Aktuelle Schwangerschaft:
    • Wurde bei Ihnen eine Cervixinsuffizienz (Muttermundschwäche) diagnostiziert?
    • Haben Sie derzeit oder hatten Sie in dieser Schwangerschaft Infektionen?
    • Kam es zu vaginalen Blutungen?
    • Handelt es sich um eine Mehrlingsschwangerschaft?
    • Wurde bei Ihnen ein zu viel Fruchtwasser festgestellt?
    • Besteht eine Plazentainsuffizienz (Mutterkuchenschwäche)?
    • Liegt der Mutterkuchen tief oder wurde eine Plazenta praevia diagnostiziert (teilweise oder vollständig den Muttermund bedeckend)?
    • Kam es zu einem vorzeitigen Blasensprung?
    • Hatten Sie vorzeitig einsetzende Wehen?

Umweltanamnese

  • Sind Sie in Ihrem Alltag oder Beruf regelmäßig Chemikalien, Reinigungsmitteln, Kosmetika oder Kunststoffen (Phthalate [1]) ausgesetzt?
  • Haben Sie beruflich Kontakt mit Substanzen wie Lösungsmitteln, Pestiziden oder Schwermetallen?
  • Leben Sie in einem Gebiet mit hoher Umweltbelastung (z. B. Industriegebiet, stark befahrene Straßen)?

* Falls diese Frage mit "Ja" beantwortet worden ist, ist ein sofortiger Arztbesuch erforderlich! (Angaben ohne Gewähr)

Unsere Empfehlung: Drucken Sie die Anamnese aus, markieren Sie alle mit „Ja“ beantworteten Fragen und nehmen Sie das Dokument mit zu Ihrem behandelnden Arzt.

Literatur

  1. Welch BM et al.: Associations Between Prenatal Urinary Biomarkers of Phthalate Exposure and Preterm Birth A Pooled Study of 16 US Cohorts JAMA Pediatr. Published online July 11, 2022. doi:10.1001/jamapediatrics.2022.2252