Brustkrebs (Mammakarzinom) – Strahlentherapie

Die Radiotherapie (Radiatio; Strahlentherapie) wird adjuvant zur operativen und medikamentösen Therapie angewandt.
Es werden ionisierende Strahlen eingesetzt, um bei gleichzeitiger Schonung des gesunden Gewebes das Tumorgewebe maximal zu schädigen. Durch die Strahlentherapie werden eventuell nach einer Operation im Körper verbliebene Tumorzellen zerstört.
Somit senkt die Radiatio das Rezidivrisiko (Risiko des Wiederauftretens des Tumors) und die Tumormortalität (Tumorsterblichkeit) (nach den Daten der EBCTCG wird die Rezidivrate um die Hälfte und die Rate an brustkrebsassoziierten Todesfällen um ein Sechstel gesenkt).

Die adjuvante ("unterstützende") Strahlentherapie wird empfohlen [1, 2]:

Nach brusterhaltender Operation (BET)

  • Standard: Radiatio der gesamten Brust mit einer Dosis von 40-50 Gy Option: Hypofraktionierung mit einer Gesamtdosis von 40 Gy. (Höhere Einzeldosen haben eine höhere biologische Wirkung und erfordern die Absenkung von Gesamtdosis und Anzahl der Bestrahlungen. (Vorteil: geringerer Zeitaufwand (3-5 Wochen), gleiche Effektivität, gute Verträglichkeit). Standardtherapie in Kanada und England; inzwischen auch Standard in Deutschland:
    • Bestrahlungsdauer abhängig von der Art der Strahlentherapie:
      • normofraktionierte Strahlentherapie: Einzeldosis von 1,8-2 Gy bis zu einer Gesamtzielvolumendosis von 50,4 oder 50 Gy, entsprechend 25-28 Bestrahlungen,
      • hypofraktionierten Strahlentherapie: Einzeldosis wird erhöht; moderate Hypofraktionierung erhöht nicht das Auftreten von Grad 2- bis 3-Brustindurationen
    Hinweis: Die neue Multikatheter-Brachytherapie, eine "akzelerierte" Teilbrustbestrahlung, reduziert die Strahlentherapie auf 5 Tage.
    Derzeitige (Leitlinie 2012): Empfehlung wegen gefürchteter kardialer Spättoxizität (nach > 10 Jahren) derzeit nur für ältere Patientinnen:
    • ohne Chemotherapie
    • mit kleinen Tumoren
    • ohne Lymphknoten
  • + zusätzlich umschriebene, lokale Dosisaufsättigung des Tumorbettes, sog. Boost-Bestrahlung mit 10-16 Gy (sie senkt die Lokalrezidivrate in allen Altersgruppen).

Weitere Hinweise

  • Die adjuvante Strahlentherapie verringert das Lokalrezidivrisiko (Wiederauftreten einer Erkrankung (Rezidiv) am gleichen Ort) nach brusterhaltender Therapie des DCIS (duktales Carcinoma in situ) um bis zu 50 %.
  • Die Gesamtüberlebensrate war in einer rando­misierten Studie in den ersten Jahren nur leicht erhöht; nach allerdings insgesamt 30 Jahren war kein Unterschied mehr erkennbar [8]. 
  • Ganzbrustbestrahlung versus partielle Radiotherapie/postoperative Teilbrustbestrahlung (APBI) [10]: Die kumulative Inzidenz von
    • regionalen (Lymphknoten-)Metastasen nach zehn Jahren betrug 0,39 % in der Gruppe mit Ganzbrustbestrahlung und 1,19 % in der APBI-Gruppe,
    • die von Fernmetastasen 2,17 % bzw. 2,60 %
    Unerwünschte Nebenwirkungen traten wie folgt auf: Bei 60 % der Teilnehmerinnen in der Gruppe mit Ganzbrustbestrahlung und bei 67 % in der APBI-Gruppe nach 7,5 bzw. zehn Jahren Nachbeobachtung.
    Differenzen bei krankheitsfreien und Gesamtüberlebensraten verfehlten die statistische Signifikanz.
    Fazit: Die Ganzbrustbestrahlung mit Boost im Tumorbett muss nach heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen als Überbehandlung angesehen werden.
  • Bei Patientinnen ab einem Alter von 55 Jahren mit T1N0-Brustkrebs vom Luminal-A-Typ und vom Grad 1 oder 2 nach brusterhaltender Operation birgt der Verzicht auf die adjuvante Radiatio für Frauen, die an Brustkrebs mit diesen Merkmalen erkrankt sind, ein geringes Risiko für Lokalrezidive [11].
  • Scottish Breast Conservation Trial (SCT): Eine Strahlentherapie nach einer brusterhaltenden Operation kann Frauen mit frühem Mammakarzinom vor Rezidiven bewahren. Diese Effekte sind allerdings auf die ersten 10 Jahre beschränkt [13].

Nach Ablatio mammae (Brustamputation),

  • Gesicherter Benefit bei hohem Risiko: T3, T4 Tumoren, > 3 Lymphknoten
    • Senkung der Lokalrezidivrate (erneutes Auftreten eines Tumors an einer bereits vorher behandelten Stelle)
    • Überlebensverlängerung
  • Fraglicher Benefit bei intermediärem Risiko (Leitlinien 2012 [2]: Benefit Early Breast Cancer Trialists' Collaborative Group, Metaanalyse 2014 [3]
    • T1, T2 Tumoren, 1-3 Lymphknoten und Vorliegen sonstiger Risikofaktoren wie Blut-, Lymphgefäßinvasion, Grading G3
    • ≥ pT2 Tumor ohne Lymphknotenbefall
  • Nach Operation präinvasiver Läsionen
    • Duktales Carcinoma in situ (DCIS): Indikation zur postoperativen adjuvanten Radiatio nach brusterhaltender Operation (BEO)
      • Es senkt die Rate an invasiven und nichtinvasiven Lokalrezidiven.
      • Eine Boost-Bestrahlung bringt keinen zusätzlichen Effekt.
      • Die Einnahme von Tamoxifen kann die Rate nichtinvasiver Lokalrezidive senken. Die Rate invasiver Karzinome bleibt unbeeinflusst
      • Verzicht nach individueller Nutzen-Risiko-Abwägung bei:
        • Älteren Patientinnen  (≥ 70 Jahre)
        • DCIS mit niedrigem Grading
    • Duktales Carcinoma in situ (DCIS): Es kann auf eine Radiotherapie verzichtet werden, wenn ein Genexpressionstest ein niedriges Risiko auf die Entwicklung eines Mammakarzinoms anzeigt [12].
    • Lobuläres Carcinoma in situ (LCIS) (Lobuläre Neoplasie (LIN)): Keine Indikation zur postoperativen adjuvanten Radiatio
    • Intraduktale atypische Hyperplasie (ADH): Keine Indikation zur postoperativen adjuvanten Radiatio (unterstützende Strahlentherapie nach der Operation)
  • Teilbrustbestrahlung (partial breast irradiation (PBI) oder accelerated partial breast irradiation (APBI)): Radiotherapie unter Beschränkung auf Teilbereiche der Brust als PBI oder APBI als alleinige Bestrahlungsform stellt keinen Therapiestandard dar. Sie ist:
    • Evtl. eine Option für Patientinnen, bei denen eine homogene Bestrahlung der gesamten Brust nicht durchführbar ist.
    • Nach der heutigen Lehrmeinung kann eine Teilbrustbestrahlung bei geringem In-Brust-Rezidivrisiko angeboten werden.
  • Intraoperative Radiotherapie (IORT): IORT als alleinige intraoperative Radiotherapie (Strahlentherapie während der Operation) stellt keinen Therapiestandard dar. Sie erfolgt unmittelbar nach der chirurgischen Tumorexstirpation als einzeitige Bestrahlungsbehandlung unter Beschränkung auf die Tumorresektionshöhle mit Applikation einer als kurativ angesehenen Gesamtdosis durch:
    • Elektronen eines Linearbeschleunigers (= IOERT)
    • Orthovolttherapie mit 50 kV-Röntgenstrahlen eines konventionellen Röntgengerätes
    • Ballon-Brachytherapie-Technik
    Intraoperative Radiotherapie (IORT) versus klassische Bestrahlung der Brust von außen (EBRT, engl. external beam radiotherapy, external body radiation therapy): Die intraoperative Radiotherapie, die für ausgewählte Patientinnen mit einzelnen Tumorherden in frühen Stadien infrage kommt, wurde der klassischen Bestrahlung der Brust von außen gegenübergestellt; Patientinnen wurden dabei im Median 8,6 Jahre lang beobachtet. Im Ergebnis waren die Rückfallquote und die Mortalitätsrate aufgrund von Mammakarzinomen in beiden Gruppen nahezu gleich [6]. 
  • Radiotherapie (Strahlentherapie) des fortgeschrittenen bzw. inoperablenTumors (LABC: locally advanced breast cancer): Radiatio nur, wenn durch Systemtherapie keine Operabilität erreicht werden kann (Standardtherapie: Primäre neoadjuvante Systemtherapie, gefolgt von Operation und postoperativer Radiatio)
  • Strahlentherapie der infra- und supraklavikulären Lymphknoten wird empfohlen bei
    • > 3 befallenen axillären Lymphknoten
    • Befall des Levels III der Achselhöhle
    • Indikation zur Bestrahlung der Achselhöhle (Resttumor in der Axilla) 
  • Axillabestrahlung wird empfohlen
    • bei der Resttumor in der Axilla (Achsel)
    • bei eindeutigem klinischen Befall und nicht erfolgter Axilladissektion (Entfernung von Lymphknoten aus der Achselhöhle)

Hinweis: Verzicht auf eine Radiotherapie bei Patienten im Alter von über 65 Jahren nach einer brusterhaltenden Operation (BET) eines Hormonrezeptor-positiven Mammafrühkarzinoms (kleiner 3 cm), die eine adjuvante Hormontherapie erhielten, ist möglich [9]:

  • Lokalrezidive: 9,5 % versus 0,9 % (nach Strahlentherapie)
  • 10-Jahres-Inzidenz von Fernmetastasen: 1,6 % versus 3,0 %
  • Brustkrebs-spezifischen Überleben: 97,4 % versus 97,9 %; Gesamtüberleben: 80,8 % versus 80,7 % (keine Unterschiede)

Strahlentherapie der parasternalen Lymphknoten 

Der Nutzen der elektiven Bestrahlung parasternaler Lymphknoten (Internal Mammary Node Irradiation, IMNI) wird kontrovers beurteilt und ihre Anwendung wird weltweit recht uneinheitlich gehandhabt.

Eine randomisierte klinische Studie ergab, dass die Aufnahme von IMNI in die regionale Lymphknotenbestrahlung das erkrankungsfreie Überleben („disease free survival“, DFS) bei Patientinnen mit Lymphknoten-positivem Brustkrebs nicht signifikant verbesserte. Patienten mit medial oder zentral gelegenen Tumoren können jedoch von der Verwendung von IMNI profitieren [7].

Weitere Hinweise

  • Europäische Langzeitstudie EORTC: Eine Boost-Bestrahlung im ehemaligen Tumorbereich nach einer brusterhaltenden Operation (BET) kann verhindern, dass es an der operierten Brust zu einem Lokalrezidiv (erneutes Auftreten eines Tumors an einer bereits vorher behandelten Stelle) kommt; davon profitierten insb. Patientinnen unter 50 und Frauen mit duktalem Carcinoma in situ (DCIS), die eine höhere Dosis erhielten (Reduktion der Rate von Lokalrezidiven von 31 auf 15 %); des Weiteren hatte Frauen mit einem High-grade-Tumor den größten Nutzen [4].
  • Radiatio nach brusterhaltender Operation: eine verminderte Dosis und eine partielle Brustbestrahlung erzielte eine vergleichbare Tumorkontrolle in Bezug auf Rate von Lokalrezidiven (erneutes Auftreten eines Tumors an einer bereits vorher behandelten Stelle) und Gesamtmortalität (Gesamtsterblichkeit) [5].

Solitäre Hirnmetastasen

Bei Vorliegen von maximal vier solitären Hirnmetastasen (Läsion < 3 cm) werden diese mit der sogenannten Single-shot-Technik bestrahlt.

Knochenmetastasen

Am Skelett sind in absteigender Häufigkeit Wirbelkörper, Oberschenkelknochen, Becken, Rippen, Brustbein, Schädelkalotte und Oberarmknochen betroffen. 

Indikationen zur Radiatio (Strahlentherapie) sind:

  • lokale Schmerzen
  • Bruchgefahr
  • Mobilitäts- und Funktionseinschränkungen
  • neurologische Symptome (Notfall: Rückenmarkskompression)
  • pathologische Frakturen (sofern nicht operativ versorgbar)
  • postoperativ nach chirurgischer Behandlung von Knochenmetastasen, wenn keine RO-Resektion (Entfernung des Tumors im Gesunden) erreicht werden konnte

Literatur

  1. Empfehlungen gynäkologische Onkologie Kommission Mamma: Diagnostik und Therapie von Patientinnen mit primären und metastatischem Brustkrebs. Version 2017, AGO-Online-Mamma
  2. S3-Leitlinie: Interdisziplinäre S3-Leitlinie für die Früherkennung, Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Mammakarzinoms. (AWMF-Registernummer: 032-045OL), Juni 2021 Kurzfassung Langfassung
  3. Ebctcg Early Breast Cancer Trialists' Collaborative Group. Effect of radiotherapy after mastectomy and axillary surgery on 10-year recurrence and 20-year breast cancer mortality: meta-analysis of individual patient data for 8135 women in 22 randomised trials. Lancet. 2014 Mar 19. pii: S0140-6736(14)60488-8. doi: 10.1016/S0140-6736(14)60488-8
  4. Vrieling C et al.: Prognostic Factors for Local Control in Breast Cancer After Long-term Follow-up in the EORTC Boost vs No Boost Trial A Randomized Clinical Trial. JAMA Oncol. 2017;3(1):42-48. doi:10.1001/jamaoncol.2016.3031
  5. Coles CE et al.: Partial-breast radiotherapy after breast conservation surgery for patients with early breast cancer (UK IMPORT LOW trial): 5-year results from a multicentre, randomised, controlled, phase 3, non-inferiority trial. Lancet Published Online August 2, 2017 http://dx.doi.org/10.1016/ S0140-6736(17)31145-5
  6. Vaidya JS et al.: Long term survival and local control outcomes from single dose targeted intraoperative radiotherapy during lumpectomy (TARGIT-IORT) for early breast cancer: TARGIT-A randomised clinical trial. BMJ 2020; 370 doi: https://doi.org/10.1136/bmj.m2836
  7. Kim YB et al.: Effect of Elective Internal Mammary Node Irradiation on Disease-Free Survival in Women With Node-Positive Breast Cancer A Randomized Phase 3 Clinical Trial JAMA Oncol. 2022;8(1):96-105. doi:10.1001/jamaoncol.2021.6036
  8. Williams L et al.: Randomised controlled trial of breast conserving therapy: 30 year analysis of the Scottish breast conservation trial 13th European Breast Cancer Confernce November 2022 Barcelon, Span Presentation number: PTT-140
  9. Kunkler IH et al.: Breast-Conserving Surgery with or without Irradiation in Early Breast Cancer N Engl J Med 2023; 388:585-594 doi: 10.1056/NEJMoa2207586
  10. Strnad V et al.: Accelerated partial breast irradiation using sole interstitial multicatheter brachytherapy compared with whole-breast irradiation with boost for early breast cancer: 10-year results of a GEC-ESTRO randomised, phase 3, non-inferiority trial Lancet Oncology February 01, 2023 doi:https://doi.org/10.1016/S1470-2045(23)00018-9
  11. Whelan TJ et al.: Omitting Radiotherapy after Breast-Conserving Surgery in Luminal A Breast Cancer. New Engl J Med 2023; 389:612–619; https://doi.org/10.1056/NEJMoa2302344
  12. Khan SA et al.: Skipping Adjuvant Radiotherapy May Not Impact Risk of Recurrence or Progression in Patients with Low-risk DCIS American Assoziation for Cancer Research Pressemitteilung der American Association of Cancer Research 2023
  13. Williams LJ et al.: Postoperative radiotherapy in women with early operable breast cancer (Scottish Breast Conservation Trial): 30-year update of a randomised, controlled, phase 3 trial The Lancet Oncology 2024;25(9):1213-1221

Leitlinien

  1. S3-Leitlinie: Interdisziplinäre S3-Leitlinie für die Früherkennung, Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Mammakarzinoms. (AWMF-Registernummer: 032-045OL), Juni 2021 Kurzfassung Langfassung