Brustkrebs (Mammakarzinom) – Anamnese

Die Anamnese stellt einen wichtigen Baustein in der Diagnostik des Mammakarzinoms (Brustkrebs) dar.

Familienanamnese

  • Gibt es in Ihrer Familie Tumorerkrankungen, die häufig vorkommen (z. B. Brust-, Eierstock-, Bauchspeicheldrüsen- oder Prostatakrebs)?
  • Haben nahe Verwandte wie Ihre Mutter, Großmutter oder Schwestern Brustkrebs diagnostiziert bekommen?
  • Gab es in Ihrer Familie Erkrankungen, die möglicherweise mit einem genetischen Risiko verbunden sind (z. B. BRCA1-/BRCA2-Mutationen)?

Für eine genetische Belastung sprechen, wenn in einer Linie der Familie:

  • mindestens 3 Frauen an Brustkrebs erkrankt sind
  • mindestens 2 Frauen an Brustkrebs erkrankt sind, davon 1 vor dem 51. Lebensjahr
  • mindestens 1 Frau an Brustkrebs und 1 Frau an Eierstockkrebs erkrankt sind
  • mindestens 2 Frauen an Eierstockkrebs erkrankt sind
  • mindestens 1 Frau an Brust- und Eierstockkrebs erkrankt ist
  • mindestens 1 Frau mit 35 Jahren oder jünger an Brustkrebs erkrankt ist
  • mindestens 1 Frau mit 50 Jahren oder jünger an bilateralem Brustkrebs erkrankt ist
  • mindestens 1 Mann an Brustkrebs und eine Frau an Brust- oder Eierstockkrebs erkrankt sind

Diesen Frauen sollte eine multidisziplinäre Beratung und genetische Testung in speziellen Zentren angeboten werden (6).

Soziale Anamnese

  • Beruf:
    • Welchen Beruf üben Sie aus?
    • Arbeiten Sie im Schichtdienst oder unter erhöhtem Stress?
  • Expositionen:
    • Sind Sie in Ihrem Beruf schädigenden Substanzen ausgesetzt (z. B. Chemikalien, Lösungsmittel)?
    • Gibt es Hinweise auf Passivrauchbelastung oder Exposition gegenüber Luftverschmutzung?

Aktuelle Anamnese/Systemanamnese (somatische und psychische Beschwerden)

  • Haben Sie Veränderungen der Brust bemerkt, wie:
    • Knotenbildung?
    • Rötungen oder Hautveränderungen (z. B. Einziehungen, Orangenhaut)?
    • Veränderungen der Brustwarze (z. B. Einziehung, Absonderungen wie Blut oder klare Flüssigkeit)?
    • Sind die Beschwerden einseitig oder beidseitig?
  • Haben Sie geschwollene oder vergrößerte Lymphknoten bemerkt (z. B. in der Achselhöhle oder am Hals)?
  • Haben Sie ungewollt Gewicht verloren?
  • Fühlen Sie sich häufig müde oder abgeschlagen?
  • Wann haben die Beschwerden begonnen?
  • Haben sich die Symptome in letzter Zeit verschlechtert?

Vegetative Anamnese inkl. Ernährungsanamnese

  • Wann hatten Sie Ihre Menarche (erste Regelblutung)?
  • Wann hatten Sie Ihre Menopause (letzte Regelblutung)?
  • Haben Sie Kinder geboren? Wenn ja, wie alt waren Sie bei der ersten Geburt?
  • Haben Sie gestillt? Wenn ja, wie lange?
  • Sind Sie übergewichtig oder untergewichtig? Bitte geben Sie Ihr Körpergewicht und Ihre Körpergröße an.
  • Ernähren Sie sich fleisch- oder fettreich?
  • Konsumieren Sie häufig stark verarbeitete Lebensmittel?
  • Rauchen Sie? Wenn ja, wie viele Zigaretten, Zigarren oder Pfeifen pro Tag?
  • Trinken Sie Alkohol? Wenn ja, welches Getränk und wie viele Gläser pro Tag?
  • Nehmen Sie Drogen? Wenn ja, welche und wie häufig?

Eigenanamnese

  • Vorerkrankungen:
    • Hatten Sie bereits Brusterkrankungen, wie Mastopathie oder zystische Veränderungen?
      Hinweis: Die Mastopathie ist dei häufigste Brusterkrankung zwischen dem 35. und 50. Lebensjahr und geht mit zystischen beziehungsweise fein- oder grobknotigen Veränderungen des Brustgewebes einher.
    • Haben Sie hormonelle Erkrankungen, z. B. Schilddrüsenfunktionsstörungen?
  • Operationen:
    • Haben Sie sich Brustoperationen oder Brustverkleinerungen/-vergrößerungen unterzogen?
    • Gab es in der Vergangenheit Strahlentherapien im Thoraxbereich?

Medikamentenanamnese

  • Antipsychotika 
    • Prolaktin-steigernde Antipsychotika bei Frauen mit Schizophrenie: Brustkrebsrisiko war unter Prolaktin-steigernden, nicht aber Prolaktin-neutralen Antipsychotika erhöht [14].
      Einschränkung: Der Anteil der Frauen mit Prolaktin-neutralen Antipsychotika war recht gering.
  • Calciumantagonisten: Eine Langzeittherapie > 10 Jahre erhöht das Risiko für duktale und lobuläre Mammakarzinome [5]
  • Ovulationshemmer:
    • Die Einnahme hormoneller Kontrazeptiva erhöht, im Gegensatz zum protektiven Effekt auf das Entstehen zum protektiven (schützenden) Effekt auf das Entstehen eines Endometrium- und Ovarialkarzinom (Gebärmutterschleimhaut- und Eierstockkrebs) das Risiko an einem Mammakarzinom zu erkranken um den Faktor 1,2 bis 1,5 bei einer Einnahme von mehr als fünf Jahren [1, 2]. 5-10 Jahre nach Absetzen der Ovulationshemmer ist dieser Effekt nicht mehr nachweisbar [2].
    • Das Mammakarzinomrisiko nimmt laut einer bevölkerungs­basierten Studie mit der Dauer der Anwendung zu, normalisiert sich nach dem Ende der hormonellen Kontra­zep­tion innerhalb von 5 Jahren: Das relative Risiko betrug 1,20 und war mit einem 95-Prozent-Konfidenzintervall von 1,14 bis 1,26 statistisch signifikant; das relative Risiko stieg bei einer Anwendungsdauer von weniger als einem Jahr von 1,09 (0,96-1,23) auf 1,38 (1,26-1,51) bei einer Anwendungsdauer von mehr als 10 Jahren [8].
    • Weiteres zu diesem Thema s. u. "Hormonelle Kontrazeptiva/hormonelle Kontrazeptiva und Karzinomrisiko"
  • Ovarielle Stimulation im Rahmen der assistierten Reproduktion (ART) – führt im Vergleich zu Frauen aus der Normalbevölkerung zu einem leicht erhöhten Brustkrebsrisiko (14 %) [15]
  • Hormonersatztherapie (HET, HT; engl. hormone replacement therapy / HRT):
    • Nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft (2013) [3, 4] besteht unter Hormonersatztherapie eine leichte Steigerung der Brustkrebsrate. Nach einer Einnahmezeit von mehr als fünf Jahren nimmt das Brustkrebsrisiko um weniger als 0, 1 % pro Jahr (< 1,0 pro 1.000 Frauen pro Einnahmejahr) zu. Allerdings gilt dies nur für die Kombinationstherapie (Östrogen-Gestagen-Therapie), nicht für die isolierte Östrogentherapie. Bei einer reinen Östrogentherapie war das mittlere Risiko nach einer mittleren Anwendungszeit von 5,9 Jahren sogar erniedrigt. Außerdem ist bei der Diskussion um das Mammakarzinomrisiko ist zu berücksichtigen, dass die Hormonapplikation nicht für die Entstehung des Mammakarzinoms verantwortlich ist, d. h. nicht onkogen wirkt, sondern lediglich das Wachstum hormonrezeptorpositiver Karzinome beschleunigt.
      Beachte: Die Risikozunahme ist allerdings niedriger als die durch regelmäßigen Alkoholgenuss und Übergewicht [4].
    • Metaanalyse bestätigt Brustkrebsrisiken. Dabei sind Art der Therapie, Behandlungsdauer und Body-Mass-Index (BMI) wichtige Einflussfaktoren. Nachfolgend die wichtigsten Erkenntnisse dazu [11]:
      • Häufiger an Brustkrebs erkrankten Frauen, die nach der Menopause eine Hormontherapie begannen; das Risiko war auch für Monopräparate nachweisbar, wenngleich das Risiko für Anwenderinnen von Kombinationspräparaten deutlich höher war.
        • Art der Therapie
          • In erster Linie wird die Häufigkeit von Östrogenrezeptor-positivem Mammakarzinom erhöht. Das Brustkrebsrisiko steigt mit dem BMI, da Östrogene bekanntermaßen im Fettgewebe gebildet werden. Unabhängig davon war das Zusatzrisiko durch Östrogene bei schlanken Frauen stärker als bei adipösen Frauen.
          • Die Einnahme von kombinierten Hormonpräparaten führte bei Frauen ab dem 50. Lebensjahr nach über 5-jähriger Einnahme zu 8,3 Fällen eines Mammakarzinoms pro 100 Frauen (Frauen, die niemals Hormone einnahmen und zwischen 50 und 69 Lebensjahre alt sind, haben in 6,3 Fällen ein Mammakarzinom pro 100 Frauen), d. h. die Einnahme kombinierter Hormonpräparate führt zu einer zusätzlichen Brustkrebserkrankung bei 50 Anwenderinnen.
            • Bei Einnahme von Östrogenen kombiniert mit intermittierendem Gestagen erkranken 7,7 auf 100 Anwenderinnen an Brustkrebs, d. h. die Einnahme führt zu einer zusätzlichen Brustkrebserkrankung bei 70 Anwenderinnen.
          • Die Einnahme von Östrogen-Monopräparaten führte bei Frauen ab dem 50. Lebensjahr nach über 5-jähriger Einnahme in 6, 8 Fällen zu einem Mammakarzinom pro 100 Frauen (Frauen, die niemals Hormone einnahmen und zwischen 50 und 69 Lebensjahre alt sind, haben in 6,3 Fällen ein Mammakarzinom pro 100 Frauen), was einer zusätzlichen Krebserkrankung auf 200 Anwenderinnen bedeutet.
        • Behandlungsdauer
          • 1-4 Jahre: relatives Risiko von
            • 1,60 bei Östrogen-Gestagen-Kombinationen
            • 1,17 bei Östrogen-Monopräparaten
          • 5 -14 Jahre: relatives Risiko von
            • 2,08 bei Östrogen-Gestagen-Kombinationen 
            • 1,33 bei Östrogen-Monopräparaten
        • Alter der Anwenderinnen zum Zeitpunkt des Behandlungsbeginns
          • 45.-49. Lebensjahr: relatives Risiko von
            • 1,39 bei Östrogen-Monoprä­paraten
            • 2,14 bei Östrogen-Gestagen-Kombinationen
          • 60-69. Lebensjahr: relatives Risiko von
            • 1,08 bei Östrogen-Monopräpara­ten
            • 1,75 bei Östrogen-Gestagen-Kombinationen
        • Östrogenrezeptor-positive Tumoren (Häufigkeit in Beziehung zur Einnahmedauer)
        • Einnahme 5 bis 14 Jahre: relatives Risiko von
          • 1,45 bei Östrogen-Mono­präparaten
          • 1,42 bei Östrogen-Gestagen-Kombinationen
        • Östrogenrezeptor-negative Tumoren
          • Einnahme 5 bis 14 Jahre: relatives Risiko von
            • 1,25 bei Östrogen-Mono­präparaten
            • 2,44 bei Östrogen-Gestagen-Kombinationen
          • Varia: Bei reinen Östrogenpräparaten bestand keine Heterogenität des Risikos zwischen Pferdeöstrogen und Östradiol oder zwischen oraler Verabreichung und transdermaler Verabreichung.
      • Fazit: Bei einer Hormonersatztherapie muss eine sorgfältige Nutzen-Risikoabwägung erfolgen.

Umweltanamnese

  • Aluminium [7]
  • Dichlordiphenyltrichlorethan (DDT) – Insektizid, das Anfang der 1970er-Jahre verboten wurde
    • Bereits eine pränatale Exposition ist mit einem erhöhten Mammakarzinomrisiko verbunden: Frauen im obersten Drittel der Belastung zeigten eine Odds Ratio von 5,42, mit einem allerdings weiten 95-%-Konfidenzintervall von 1, 1 bis 17,19. Frauen, die erst nach der Menopause (Wechseljahren) im Alter von 50 bis 54 Jahren an einem Mammakarzinom erkrankten, zeigten einen dosisabhängigen Anstieg des Mammakarzinomrisikos; im obersten Drittel der Exposition betrug die Odds Ratio 2,17 (1,13 bis 4,19) [10].
  • Haarefärbemittel
    • Permanente Haarfärbemittel und chemische Haarglättungsmittel → Risikoerhöhung für afroamerikanische Frauen:
      • 45 %, wenn mindestens einmal innerhalb der vorausgegangenen zwölf Monate solche Produkte genutzt wurden
      • 60 %, wenn alle fünf bis acht Wochen gefärbt wurde
      • Risikosteigerung bei weißen Teilnehmerinnen betrug dagegen nur 7 % bzw. 8 %) [12]
    • Kumulativ erhöhtes Risiko für Östrogenrezeptor-negativem Brustkrebs, Progesteron­rezeptor-negativem Brustkrebs [13]
  • Hohe nächtliche Exposition mit LED-Licht sowohl in der Wohnung als auch im Außenbereich – höchste Lichtbelastung war mit einer knapp 1,5-fach erhöhten Rate von Mammakarzinom assoziiert [9]
  • Luftschadstoffe: Feinstaub (PM2,5 und PM10) und Stickstoffdioxid (NO2): Zusammenhang zwischen mammographischer Brustdichte und Feinstaub bei postmenopausalen Frauen [16]
  • Polychlorierte Biphenyle* (PCB)
  • Polychloriniertes Dioxin*

* Gehört zu den endokrinen Disruptoren (Synonym: Xenohormone), die bereits in geringsten Mengen durch Veränderung des Hormonsystems die Gesundheit schädigen können.

Unsere Empfehlung: Drucken Sie die Anamnese aus, markieren Sie alle mit „Ja“ beantworteten Fragen und nehmen Sie das Dokument mit zu Ihrem behandelnden Arzt.

Literatur

  1. Stauber und Weyerstahl: Gynäkologie und Geburtshilfe. Thieme/MLP Verlag 2005
  2. Cibula D, Gompel A, Mueck AO, La Vecchia C, Hannaford PC, Skouby SO, Zikan M, Dusek L.: Hormonal contraception and risk of cancer. Hum Reprod Update. 2010 Nov-Dec;16(6):631-50. doi: 10.1093/humupd/dmq022. Epub 2010 Jun 12.
  3. Deutsche Menopause Gesellschaft: Anwendungsempfehlung für die Frau in der Beratung zur Hormonsubstitution im Klimakterium und in der Postmenopause. Patientenempfehlungen, November 2012
  4. Birkhauser M et al.: Züricher Gesprächskreis, 10 Jahre Women's Health Initiative (WHI) – was haben wir gelernt? Frauenarzt 54 (2013) 346-357
  5. Li CL, et al.: Use of antihypertensive medications and breast cancer risk among women aged 55 to 74 years. JAMA Intern Med. 2013: 173: 1629-37
  6. S3-Leitlinie: Interdisziplinäre S3-Leitlinie für die Früherkennung, Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Mammakarzinoms. (AWMF-Registernummer: 032-045OL), Juni 2021 Kurzfassung Langfassung
  7. Klotz K et al.: Gesundheitliche Auswirkungen einer Aluminiumexposition The health effects of aluminum exposure Dtsch Arztebl Int 2017; 114(39): 653-9; doi: 10.3238/arztebl.2017.0653 
  8. Mørch LS et al.: Contemporary Hormonal Contraception and the Risk of Breast Cancer. N Engl J Med 2017; 377:2228-2239 December 7, 2017 doi: 10.1056/NEJMoa1700732
  9. Garcia-Saenz A et al.: Evaluating the Association between Artificial Light-at-Night Exposure and Breast and Prostate Cancer Risk in Spain (MCC-Spain Study). Environ Health Perspect April 2018, volume 126, issue 4 doi:10.1289/EHP1837
  10. Cohn BA et al.: DDT and Breast Cancer: Prospective Study of Induction Time and Susceptibility Windows. J Natl Cancer Inst. 2019 Feb 13. doi: 10.1093/jnci/djy198.
  11. Collaborative Group on Hormonal Factors in Breast Cancer: Type and timing of menopausal hormone therapy and breast cancer risk: individual participant meta-analysis of the worldwide epidemiological evidence. Lancet August 29, 2019 doi:https://doi.org/10.1016/S0140-6736(19)31709-X
  12. Eberle CE et al.: Hair dye and chemical straightener use and breast cancer risk in a large US population of black and white women. Int J Cancer 2019; https://doi.org/10.1002/ijc.32738
  13. Zhang Y et al.: Personal use of permanent hair dyes and cancer risk and mortality in US women: prospective cohort study BMJ 2020;370:m2942
  14. Taipale H et al.: Antipsychotic use and risk of breast cancer in women with schizophrenia: a nationwide nested case-control study in Finland. Lancet Psychiatry 2021; https://doi.org/10.1016/S2215-0366(21)00241-8
  15. Vassard D et al.: Assisted reproductive technology treatment and risk of breast cancer: a population-based cohort study. Hum Reprod 2021 Sep 28;deab219. doi: 10.1093/humrep/deab219
  16. Kotake R et al.: An association between mammographic breast density and fine particulate matter among postmenopausal women Environ Sci Pollut Res 30, 25953–25958 (2023). https://doi.org/10.1007/s11356-022-23529-0

Leitlinien

  1. S3-Leitlinie: Interdisziplinäre S3-Leitlinie für die Früherkennung, Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Mammakarzinoms. (AWMF-Registernummer: 032-045OL), Juni 2021 Kurzfassung Langfassung