Bluthochdruck in der Schwangerschaft (hypertensive Schwangerschaftserkrankungen) – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Die genauen pathophysiologischen Mechanismen der hypertensiven Erkrankungen in der Schwangerschaft, einschließlich der Präeklampsie, sind trotz intensiver Forschung bislang nicht vollständig geklärt. Es gibt jedoch mehrere Hypothesen, die auf der Grundlage von klinischen Beobachtungen und experimentellen Befunden entwickelt wurden. Diese Hypothesen beinhalten drei zentrale Mechanismen:
  • Vasospasmen (Gefäßverkrampfungen): Ein charakteristisches Merkmal der Gestose ist eine erhöhte Neigung der Blutgefäße zu Vasospasmen. Diese Gefäßverkrampfungen führen zu einer verminderten Durchblutung und tragen zur Entstehung von Bluthochdruck sowie zur Minderdurchblutung von Organen wie den Nieren und der Plazenta bei.
  • Immunologische Komponente: Es wird angenommen, dass eine immunologische Dysregulation eine wichtige Rolle bei der Entstehung von hypertensiven Schwangerschaftserkrankungen spielt. Diese Hypothese wird durch die Beobachtung gestützt, dass Präeklampsie besonders häufig bei Erstgebärenden auftritt. Die Störung der Immunantwort zwischen Mutter und Fötus könnte zu einer Fehlanpassung an die Schwangerschaft führen, was letztlich zu einer Endothelschädigung und den klinischen Manifestationen führt.
  • Gestörtes Verhältnis von Prostaglandinen und Thromboxanen: Ein ungleiches Verhältnis zwischen Prostaglandinen (vasodilatierende und gerinnungshemmende Eigenschaften) und Thromboxanen (vasokonstriktive und gerinnungsfördernde Eigenschaften) scheint ebenfalls eine zentrale Rolle zu spielen. Bei Präeklampsie wird eine erhöhte Produktion von Thromboxanen beobachtet, was zu Vasokonstriktion, Thrombozytenaggregation und einer verstärkten Gefäßpermeabilität führt, wodurch das Risiko für Bluthochdruck und andere Komplikationen steigt.

Präeklampsie-spezifische Mechanismen

Bei der Präeklampsie wurde eine verminderte Expression des Immunproteins CD74 in der Plazenta nachgewiesen. CD74 spielt eine wichtige Rolle in der Makrophagen-Trophoblasten-Interaktion, die für den Aufbau der Plazenta (Mutterkuchen) entscheidend ist. Eine verminderte Interaktion dieser Zellen führt zu einer fehlerhaften Entwicklung der Plazenta, was zu einer Unterversorgung des Fötus führt. Zudem sind bei betroffenen Frauen entzündliche Zytokine erhöht, was auf eine entzündliche Komponente in der Krankheitsentwicklung hinweist. Diese Störung der Immunregulation und Entzündungsprozesse beeinflusst die Endothelzellfunktion und trägt zur generalisierten Endothelfunktionsstörung bei, die für die Präeklampsie charakteristisch ist [3].

Ätiologie (Ursachen)

Biographische Ursachen

  • Genetische Belastung durch Eltern, Großeltern (familiäre Präeklampsie; vor allem das Angiotensinogen-Gen-T235)
    Die Heritabilität (Vererbbarkeit) betrifft nicht nur die Mutter, sondern auch den Vater und somit auch den Fetus, der die Hälfte seiner Gene erhält: 
    • Genvarianten „rs476963“ und  "rs2050029" (auf dem Chromosom 13 in der Nähe des FLT1-Gens)  vermehrte Freisetzung von sFlt-1 führt zu Schäden an den Blutgefäßen und Nieren [4]
    • Trisomien (überzähliges Vorhandensein eines Chromosoms)
  • Ethnische Herkunft – Farbige Frauen (afroamerikanisch) und Frauen indischer Herkunft
  • Lebensalter – > 35 Jahre oder < 15 Jahre
  • Aktuelle Schwangerschaft: Erstparität, Mehrlingsschwangerschaft
  • Sozioökonomische Faktoren [1, 2]
    • niedriger sozioökonomischer Status
    • unverheiratete Schwangere
    • berufstätige Schwangere

Verhaltensbedingte Ursachen

  • Ernährung
    • Mikronährstoffmangel (Vitalstoffe) – siehe Prävention mit Mikronährstoffen
  • Übergewicht (BMI ≥ 25; Adipositas) – bei Fettleibigkeit ab einem BMI von 35 vervierfacht sich das Risiko

Krankheitsbedingte Ursachen

  • Antiphospholipid-Syndrom – durch mehrere gleichzeitig auftretende Thrombosen gekennzeichnete Erkrankung; die Thrombosen treten schon in jungen Jahren auf
  • Blasenmole – Fehlbildung der Plazenta (Mutterkuchen), die als Präkanzerose (Krebsvorstufe) gilt
  • Chronische Hypertonie (Bluthochdruck)
  • Diabetes mellitus
  • Faktor V-Mutation – genetisch bedingte Blutgerinnungsstörung, die zu einer erhöhten Thromboseneigung führt
  • Gestationsdiabetes (Schwangerschaftsdiabetes)
  • Hydrops fetalis – schwerste Form der Blutgruppenunverträglichkeit zwischen Mutter und Kind, die beim Kind zum Tode führt
  • Hypertonie (Bluthochdruck), chronische
  • Systemischer Lupus erythematodes (SLE) – Systemerkrankung, die die Haut und das Bindegewebe der Gefäße betrifft und so zu Vaskulitiden (Gefäßentzündungen) zahlreicher Organe wie Herz, Nieren oder Gehirn führt
  • Thrombophilie – erhöhte Neigung zu Thrombosen aufgrund Veränderungen des Blutes und/oder den Gefäßen
  • Trisomie – numerische Chromosomenaberration, bei der ein um eins erhöhter Chromosomensatz vorliegt
  • Vorbestehende Nierenerkrankung

Medikamente

  • Orale Kontrazeptiva (OC): Die perikonzeptionelle Anwendung der Pille (null bis drei Monate vor der Schwangerschaft bzw. am Anfang der Schwangerschaft) erhöht das Risiko für eine Präeklampsie um 38 % [6].

Umweltbelastung – Intoxikationen (Vergiftungen)

  • Luftschadstoffe: Feinstaub (PM2,5) und Stickoxide [6]

Weitere Ursachen

  • Erneute Schwangerschaft mit neuem Partner
  • Erste Schwangerschaft
  • Mehrlingsschwangerschaft
  • Zustand nach hypertensiver Schwangerschaftserkrankung (HES) – Zust. n. Bluthochdruck in einer vorherigen Schwangerschaft
  • Zustand nach durchgemachter Präeklampsie in einer vorherigen Schwangerschaft
  • Zustand nach künstlicher Befruchtung

Literatur

  1. Gehring WG: Die Bedeutung sozioökonomischer Faktoren für den Schwangerschaftsausgang. Dissertation, Medizinische Hochschule Hannover 1978
  2. Gehring WG, Riedel H: Coincidence of poor intrauterine fetal growth and EPH-Gestosis. Some socioeconomic aspects. In. Poor Intrauterine Growth. Parma (Italy) 13-16.91977. Editors: B. Salvadori & A. Bachi Modena, Edizioni – Centro Minerva Meidca (1977) 143
  3. Przybl L et al.: CD74-Downregulation of Placental Macrophage-Trophoblastic Interactions in Preeclampsia. CIRCRESAHA.116.308304 Published online before print May 19, 2016, doi: 10.1161/CIRCRESAHA.116.308304
  4. McGinnis R et al.: Variants in the fetal genome near FLT1 are associated with risk of preeclampsia. Nature Genetics (2017) doi:10.1038/ng.3895
  5. NTP Monograph on the Systematic Review of Traffic-related Air Pollution and Hypertensive Disorders of Pregnancy NTP Monograph 7 December 2019
  6. Schreuder A et al.: Associations of periconceptional oral contraceptive use with pregnancy complications and adverse birth outcomes f periconceptional oral contraceptive use with pregnancy complications and adverse birth outcomes, International Journal of Epidemiology, 2023;, dyad045, https://doi.org/10.1093/ije/dyad045