Harninkontinenz (Blasenschwäche) – Operative Therapie

Beachte: Vor jeder Operation ist auszuschließen, dass Drangsymptome vorliegen, da sich diese nach der Operation verschlechtern können. Bei einer Mischinkontinenz muss zunächst die Drangkomponente behandelt werden.

Operative Therapie der Stress- bzw. Belastungsinkontinenz

Kolposuspension (Anhebung der vorderen Scheidenwand)

  • Burch-Operation – Über einen Unterbauchschnitt wird die Scheide mit Haltefäden nahe der Schambeinäste fixiert, wodurch der Blasenhals angehoben wird.
  • Laparoskopische Kolposuspension – Besonders wirksam bei Verwendung von zwei paravaginalen Nähten. Nach einer Nachbeobachtung von zwei Jahren zeigte sich eine vergleichbare Effektivität zur offenen Kolposuspension [4].

Tension-free Vaginal Tape (TVT)

  • Kunststoffband, das spannungsfrei über die Scheide unter die Harnröhre gelegt wird, um diese bei erhöhtem Bauchdruck zu stabilisieren.
  • Beachte: Der Erfolg einer TVT-Implantation kann eingeschränkt sein bei:
    • Hohem Alter
    • Adipositas
    • Intrinsischer Sphinkterinsuffizienz (Schließmuskelschwäche)
    • Multiplen Voroperationen

Trans-Obturator-Technik (TOT)

  • Kunststoffband wird spannungsfrei unter die Harnröhre gelegt und über die Schenkelbeugen ausgeleitet.
  • Hinweis: Diese Technik wird derzeit kaum noch eingesetzt, während die retropubische TVT wieder favorisiert wird.

Implacement-Therapie

  • Einspritzen eines Gels (z. B. Silikon, Polyacrylamid, Teflon, Kollagen oder Hyaluronsäure-Derivat) über die Harnröhre zur Stabilisierung des Harnröhrenschließmuskels.

Artifizieller Sphinkter (künstlicher Schließmuskel)

  • Implantation einer Kunststoffmanschette um die Harnröhre.
  • Verbindung mit einer Pumpe und einem Wasserreservoir im Bauchraum.
  • Die Flüssigkeit gewährleistet den Harnröhrenverschluss; zum Wasserlassen wird die Pumpe betätigt, die Flüssigkeit fließt ins Reservoir.

Vergleich der Operationsmethoden

Methode Technik Vorteile Nachteile
Burch-Operation Fixierung der Scheide nahe der Schambeinäste mittels Haltefäden Hohe Erfolgsrate, langfristige Stabilität Invasiver Eingriff, längere Erholungszeit
Laparoskopische Kolposuspension Paravaginale Nähte zur Anhebung des Blasenhalses Minimalinvasiv, vergleichbar mit offener Methode Technisch anspruchsvoller, längere OP-Dauer
TVT (Tension-free Vaginal Tape) Kunststoffband unter die Harnröhre gelegt Minimalinvasiv, schnelle Erholung Risiko für Erosionen, nicht ideal bei Adipositas oder multiplen Voroperationen
TOT (Trans-Obturator-Technik) Kunststoffband unter die Harnröhre, durch die Schenkelbeugen ausgeleitet Weniger Risiko für Blasenverletzungen Geringere Erfolgsrate, nicht mehr häufig verwendet
Implacement-Therapie Injektion von Gel zur Stabilisierung des Schließmuskels Minimalinvasiv, keine Implantate erforderlich Mögliche Resorption des Materials, wiederholte Anwendungen nötig
Artifizieller Sphinkter Kunststoffmanschette um die Harnröhre, Pumpe zur Steuerung Sehr wirksam bei schwerer Inkontinenz Hohe Komplikationsrate, aufwendige Handhabung

Weitere Hinweise

  • Sowohl das TVT-Verfahren als auch die transobturatorische Technik (TOT) sind gemäß einer Auswertung des Cochrane-Instituts sehr effektiv. Bei der TOT kommt es allerdings zu deutlich weniger Komplikationen [1].
    Zur Beurteilung der langfristigen Effektivität der minimalinvasiven Schlingenverfahren bedarf es weiterer Studien.
  • In einer Studie mit über 95.000 Frauen mit Belastungsinkontinenz-Operation (minimalinvasiv mittels Schlingeninsertion) wurde die langfristige Effektivität der implantierten Bänder nachverfolgt; es kam zu einer Schlingenentfernung [3]:
    • nach einem Jahr: 1,4 % aller Frauen
    • nach fünf bzw. neun Jahren: 2,7 % bzw. 3,3 % aller Frauen (retropubische Schlingen: 3,6 % bzw. 2,7 %)
    Erneute inkontinenzbedingte Operation:
    • nach einem Jahr: 1,3 % aller Frauen
    • nach fünf und neun Jahren: 3,5 % bzw. 4,5 % aller Frauen (Frauen mit transobturatorischer Schlingeneinlage waren im Nachteil: 9-Jahres-Risiko von 5,3 % gegenüber 4,1 % mit retropubischer Technik
    Betrachtung beider Eingriffe gemeinsam; Ergebnisraten:
    • nach einem Jahr 2,6 % aller Frauen
    • nach fünf und neun Jahren: 5,5 % bzw. 6,9 % aller Frauen
    Die Art der verwendeten Technik machte keinen statistisch signifikanten Unterschied!

Operative Therapie der männlichen Harninkontinenz

Die operative Therapieoptionen bei männlicher Harninkontinenz richten sich nach der Ursache und dem Schweregrad der Inkontinenz. Die Belastungsinkontinenz nach radikaler Prostatektomie zeigt in den meisten Fällen einen günstigen Spontanverlauf. Daher sollte zunächst eine konservative Therapie (Beckenbodentraining, Biofeedback, Elektrostimulation, Magnetfeldstimulation) über einen ausreichend langen Zeitraum erfolgen, bevor eine operative Intervention in Betracht gezogen wird.

Indikationen (Anwendungsgebiete)

  • Persistierende Belastungsinkontinenz nach radikaler Prostatektomie
  • Harninkontinenz infolge eines Sphinkterversagens
  • Unzureichende Besserung durch konservative Therapie

Kontraindikationen (Gegenanzeigen)

  • Schwere neurologische Grunderkrankungen mit Kontrollverlust über den Harnblasenreflex
  • Infektionen oder Entzündungen im Urogenitaltrakt
  • Starke Strikturen oder Narbenbildungen der Harnröhre

Operationsverfahren

  • Paraurethrale Injektionstherapie (Sphinkterunterspritzung) – Einspritzen von „bulking agents“ zur Verdickung der Urethrawand und Verbesserung des Verschlussmechanismus.
  • Paraurethrale Ballonkompression – Implantation von Ballons neben der Urethra zur Erhöhung des Widerstands gegen unwillkürlichen Urinverlust.
  • Suburethrale Schlingen („male sling“) und autologer Faszienstreifen – Anhebung der Harnröhre mittels Bandimplantaten oder autologen Gewebestreifen zur Verbesserung der Kontinenz.
  • Knochenfixiertes Schlingensystem – Fixierung eines Bands am Schambein zur Rekonstruktion des Sphinkterapparates.
  • Transobturatorische Bänder (wie bei der Frau) – Schlingenimplantation zur Stabilisierung der Harnröhre.
  • Artifizieller Sphinkter (künstlicher Harnblasenschließmuskel) – Implantation eines hydraulischen Systems mit Pumpe, Cuff und Reservoir zur kontrollierten Blasenkontinenz (Goldstandard bei männlicher Belastungsinkontinenz).

Postoperative Nachsorge

  • Katheterisierung zur initialen Entlastung der Blase
  • Beckenbodentraining zur muskulären Unterstützung der operativen Ergebnisse
  • Regelmäßige Verlaufskontrollen mittels Urodynamik und Uroflowmetrie
  • Bei artifiziellem Sphinkter: Schulung zur Handhabung des Systems

Mögliche Komplikationen

  • Infektionen und Wundheilungsstörungen
  • Erosion oder Dislokation der Implantate
  • Persistierende oder erneute Inkontinenz
  • Harnverhalt durch übermäßige Kompression der Urethra

Vergleich der Operationsmethoden

Methode Technik Vorteile Nachteile
Paraurethrale Injektionstherapie Einspritzen von Volumenfüllern in die Urethra Minimalinvasiv, ambulant durchführbar Effekt oft begrenzt, erfordert Nachbehandlung
Paraurethrale Ballonkompression Implantation von Ballons zur Urethraverengung Geringer Eingriff, reversibel Mögliche Dislokation, Fremdkörpergefühl
Suburethrale Schlinge Implantation einer Schlinge zur Urethrastabilisierung Keine mechanischen Implantate, schnelle Heilung Weniger effektiv bei schwerer Inkontinenz
Artifizieller Sphinkter Implantation eines hydraulischen Systems zur Blasenkontrolle Goldstandard bei schwerer Belastungsinkontinenz Erfordert manuelle Steuerung, Infektionsrisiko

Fazit

Die Wahl der operativen Therapie hängt vom Schweregrad der Harninkontinenz sowie von individuellen Patientenfaktoren ab. Während paraurethrale Injektionen und Schlingenverfahren für leichtere Formen der Belastungsinkontinenz geeignet sind, bleibt der artifizielle Sphinkter die effektivste Option für Patienten mit schwerer Sphinkterinsuffizienz. Eine sorgfältige Abwägung der Vor- und Nachteile ist essenziell, um die bestmögliche Therapieentscheidung zu treffen.

Dranginkontinenz 

Die Dranginkontinenz (imperativer Harndrang mit plötzlichem, nicht unterdrückbarem Urinverlust) ist primär die Domäne konservativer Behandlungsmethoden, darunter:

  • Medikamentöse Therapie: Anticholinergika oder Beta-3-Adrenozeptor-Agonisten zur Blasenentspannung
  • Physiotherapie: Blasentraining und Beckenbodentherapie
  • Neuromodulation: Elektrostimulation zur Regulierung der Blasenaktivität

In schweren Fällen mit therapierefraktärer Dranginkontinenz kann eine Sakralnervenstimulation (elektrische Stimulation der Beckennerven zur Blasenkontrolle) oder eine Blasenaugmentation (operative Blasenvergrößerung, meist mittels Ileumaugmentation) erwogen werden.

Kombinierte Stress-Dranginkontinenz (Mischinkontinenz aus Belastungs- und Dranginkontinenz)

Nach unzureichender Besserung durch Beckenbodentraining, Reizstromtherapie, Biofeedback und medikamentöse Therapie kann bei einer deutlich überwiegenden Stresskomponente (Harnverlust bei körperlicher Belastung) zusätzlich eine Operation erfolgen:

  • Mann: Implantation einer suburethralen Schlinge (male sling), artifizieller Sphinkter (künstlicher Blasenschließmuskel)
  • Frau: TVT- oder TOT-Band (spannungsfreies vaginales Band zur Stabilisierung der Harnröhre)

Reflexinkontinenz 

Die Reflexinkontinenz (Harnverlust durch unkontrollierte Blasenkontraktionen infolge neurologischer Erkrankungen) erfordert in erster Linie eine Sakralnervenstimulation (elektrische Impulse zur Reaktivierung der Blasenkontrolle).

  • Funktionsweise: Ein implantierter Generator sendet elektrische Signale an die Nerven, die den Beckenboden, die Harnröhre und den Schließmuskel der Blase steuern.
  • Indikationen: Patienten mit multipler Sklerose (MS), Rückenmarksverletzungen oder Parkinson-Krankheit.
  • Ultima Ratio (letzte Behandlungsoption): Blasenaugmentation (operative Blasenvergrößerung durch Dünndarmsegment, meistens Ileumaugmentation) zur Druckentlastung.

Überaktive Blase (ÜAB, engl. „overactive bladder“, OAB)

Die überaktive Blase (ÜAB, pathologisch gesteigerte Blasenaktivität mit häufigem Harndrang) wird zunächst konservativ behandelt.

  • Medikamentöse Therapie: Anticholinergika, Beta-3-Agonisten
  • Botulinumtoxin-Injektionen: Zur Dämpfung der Blasenmuskulatur

Falls konservative Maßnahmen versagen, kann als Ultima Ratio (letzte Therapieoption) eine Blasenaugmentation (operative Blasenvergrößerung, meistens Ileumaugmentation) durchgeführt werden.

  • Anwendung: Zur Kapazitätserhöhung der Blase bei Patienten mit schwerer Überaktivität und Versagen aller konservativen Maßnahmen
  • Einschränkung: Die Zahl dieser Eingriffe nimmt aufgrund besserer konservativer Optionen ab.

Überlaufinkontinenz 

Die Überlaufinkontinenz (Harnverlust durch eine übervolle Blase aufgrund einer Harnabflussstörung) erfordert primär eine operative Beseitigung der Ursache:

  • Harnröhrenverengung (Urethrastriktur): Urethrotomie (operative Erweiterung der Harnröhre), Harnröhrenplastik
  • Harnsteine (Urolithiasis): Steinentfernung mittels Ureterorenoskopie (URS) oder perkutane Nephrolithotomie (PCNL)
  • Blasenentleerungsstörung durch Prostatavergrößerung: Transurethrale Resektion der Prostata (TUR-P), Holmium-Laser-Enukleation der Prostata (HoLEP)

Extraurethrale Inkontinenz 

  • Fisteln (krankhafte Verbindung zwischen Blase und anderen Organen oder der Haut) verursachen einen kontinuierlichen Harnverlust.
  • Therapie: Operative Beseitigung der Fistel, oft in Kombination mit Rekonstruktion der Blasenwand oder Harnleiterumleitung.

Chronische Harnretention mit Harninkontinenz [S2k-Leitlinie]

Die chronische Harnretention (langfristige unvollständige Blasenentleerung mit Überlaufinkontinenz) erfordert eine operative Beseitigung des subvesikalen Abflusshindernisses (Blockade im Bereich unterhalb der Blase).

  • Mann:
    • Häufigste Ursache ist die benigne Prostatahyperplasie (BPH, gutartige Prostatavergrößerung) oder das Prostatakarzinom (bösartiger Tumor der Prostata).
    • Therapie: Transurethrale Resektion der Prostata (TUR-P), HoLEP, offene Adenomenukleation oder radikale Prostatektomie je nach Grunderkrankung.
  • Frau:
    • Seltene Ursache: Meatusenge (Verengung der Harnröhrenöffnung).
    • Therapie: Meatusplastik (operative Erweiterung der Harnröhrenöffnung).

Fazit

Die operative Therapie der Harninkontinenz ist von der zugrunde liegenden Ursache abhängig. Während die Dranginkontinenz (imperativer Harndrang mit unkontrollierbarem Urinverlust) meist konservativ behandelt wird, sind bei der Belastungsinkontinenz (Harnverlust bei körperlicher Anstrengung) operative Verfahren wie suburethrale Schlingen (male sling, TVT, TOT) oder der artifizielle Sphinkter (künstlicher Blasenschließmuskel) etabliert. Reflexinkontinenz (neurologisch bedingte Blasenentleerungsstörung) kann durch Sakralnervenstimulation behandelt werden. Bei strukturellen Harnabflussstörungen (Harnröhrenverengung, Prostatahyperplasie, Harnsteine) ist eine kausale chirurgische Therapie (z. B. TUR-P, Urethrotomie, Fistelverschluss) erforderlich.

Operative Maßnahmen siehe unter der jeweiligen Krankheit.

Autoren: Prof. Dr. med. G. Grospietsch, Dr. med. W. G. Gehring

Literatur

  1. Ford AA et al.: Mid-urethral sling operations for stress urinary incontinence in women. Cochrane Database Syst Rev. 2015 Jul 1;(7):CD006375. doi: 10.1002/14651858.CD006375.pub3.
  2. S2k-Leitlinie: Harninkontinenz bei geriatrischen Patienten - Diagnostik und Therapie. (AWMF-Registernummer: 084-001), Januar 2024 Langfassung
  3. Gurol-Urganci I et al.: Long-term Rate of Mesh Sling Removal Following Midurethral Mesh Sling Insertion AmongWomen With Stress Urinary Incontinence. JAMA. 2018;320(16):1659-1669. doi:10.1001/jama.2018.14997
  4. Moehrer B, Ellis G, Carey M, Wilson PD: Laparoscopic colposuspension for urinary incontinence in women. Cochrane Database Syst Rev. 2002;(1):CD002239.

Leitlinien

  1. S2k-Leitlinie: Harninkontinenz der Frau. (AWMF-Registernummer: 015 - 091), Januar 2022 Langfassung
  2. S2k-Leitlinie: Harninkontinenz bei geriatrischen Patienten - Diagnostik und Therapie. (AWMF-Registernummer: 084-001), Januar 2024 Langfassung