Willebrand-Jürgens-Syndrom – Einleitung

Das Willebrand-Jürgens-Syndrom bezeichnet die häufigste angeborene Blutgerinnungsstörung des Menschen. Es handelt sich um einen Defekt oder Mangel des von-Willebrand-Faktors (vWF), einem Protein, das eine entscheidende Rolle in der Blutgerinnung spielt, indem es eine Verbindung zwischen den Thrombozyten (Blutplättchen) und der verletzten Gefäßwand schafft. Diese Störung führt zu einer erhöhten Blutungsneigung (hämorrhagische Diathese), da sowohl die plasmatische Gerinnung als auch die Thrombozytenfunktion beeinträchtigt sind.

Synonyme und ICD-10: Angiohämophilie; Angiohämophilie A; Angiohämophilie B; Angiohämophilie-Syndrom; Bernuth-Pseudohämophilie; Faktor-VIII-Mangel mit Gefäßendothelfunktionsstörung; Faktor-VIII-Mangel mit vaskulärer Dysfunktion; hereditäre Pseudohämophilie; konstitutionelle Thrombopathie; Pseudohämophilie; Pseudohämophilie vom Typ B; vaskuläre Hämophilie; Von-Bernuth-Syndrom; von-Willebrand-Jürgens-Syndrom (vWS); von-Willebrand-Krankheit; von-Willebrand-Syndrom; Willebrand-Jürgens-Thrombopathie; ICD-10-GM D68.0: Willebrand-Jürgens-Syndrom

Das von-Willebrand-Jürgens-Syndrom kann angeboren oder erworben sein.

Pathophysiologie

Ein Mangel oder Defekt des von-Willebrand-Faktors führt zu einer hämorrhagischen Diathese. Der vWF ist entscheidend für die Adhäsion der Thrombozyten an die Gefäßwand bei Verletzungen und für die Stabilisierung des Faktor VIII im Blut.

Charakteristische Laborbefunde

  • Verminderter von-Willebrand-Faktor-Antigen (vWF)
  • Verminderte Ristocetin-Kofaktor-Aktivität (vWF)
  • Verlängerte Blutungszeit
  • Normal oder vermindert: Faktor VIII-Aktivität (FVIII)

Formen des Willebrand-Jürgens-Syndroms

  • Typ 1: Quantitativer Mangel des von-Willebrand-Faktors; milde Symptomatik, 80-90 % der Fälle.
  • Typ 2: Qualitative Defekte des vWF; der vWF liegt im Blut vor, ist aber nicht funktionsfähig, 10-20 % der Fälle.
    • Typ 2A: Gestörte plättchenabhängige Struktur; Fehler großer Multimere.
    • Typ 2B: Erhöhte Affinität zum GpIB-Rezeptor der Thrombozyten.
    • Typ 2M: Normale Multimerstruktur, aber Bindungsfähigkeit an Thrombozyten oder Kollagen vermindert.
    • Typ 2N: Reduzierte Bindungsfähigkeit des Faktor VIII (FVIII reduziert).
  • Typ 3: Seltenste und schwerste Form; nahezu völliges Fehlen oder starke Verringerung des vWF (< 5 %); homozygot oder compound-heterozygote Mutationen des VWF-Gens, < 1 % der Fälle.

Die Erkrankung wird überwiegend autosomal-dominant mit variabler Penetranz übertragen, Typ 2 C und Typ 3 werden autosomal-rezessiv vererbt.

Epidemiologie

Geschlechterverhältnis: Männer und Frauen sind etwa gleich häufig betroffen.

Prävalenz (Krankheitshäufigkeit): Asymptomatische Fälle ca. 1 %, symptomatische Verläufe ca. 0,1 %. Die Häufigkeit in der Bevölkerung liegt bei etwa 1:100-200.

 Verlauf und Prognose

Verlauf

  • Der Verlauf des Willebrand-Jürgens-Syndroms ist stark abhängig vom Grad des Mangels an von-Willebrand-Faktor (vWF) und der Effektivität der therapeutischen Maßnahmen.
  • Bei milder Symptomatik und adäquater Behandlung können die Patienten ein weitgehend normales Leben führen.
  • In schweren Fällen, insbesondere bei Typ 3, können häufige und schwere Blutungsepisoden auftreten, die eine engmaschige medizinische Betreuung erfordern.

Prognose

  • Die Prognose hängt wesentlich von der Schwere des vWF-Defekts und der konsequenten Durchführung der Therapie ab.
    • Leichte Blutungen: Desmopressin kann effektiv die Blutungszeit verkürzen und die Blutungsneigung vermindern.
    • Schwere Blutungen: Regelmäßige Infusionen von von-Willebrand-Faktor-Konzentraten sind erforderlich, um Blutungen zu kontrollieren und zu verhindern.
  • Bei guter Therapie und regelmäßiger Überwachung ist die Prognose für die meisten Patienten günstig.

Komplikationen

  • Blutungskomplikationen sind die Hauptsorge bei Patienten mit Willebrand-Jürgens-Syndrom.
    • Muskelbeteiligung: Blutungen in die Muskulatur können zu Schmerzen und Funktionseinschränkungen führen.
    • Gelenkbeteiligung: Wiederholte Blutungen in die Gelenke können zu chronischen Schmerzen und Arthropathien (Gelenkerkrankungen) führen, die die Beweglichkeit einschränken.
    • Knochenbeteiligung: Schwerwiegende und wiederholte Blutungen können langfristig zu Knochenschäden und -veränderungen führen.
  • Ohne adäquate Therapie können diese Komplikationen bis zur Invalidisierung reichen.