Sichelzellenkrankheit (Sichelzellenanämie) – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Die Sichelzellenanämie ist eine erblich bedingte Form der Anämie, die hauptsächlich bei Menschen afrikanischer Abstammung auftritt.

  • Genetische Ursache: Die Erkrankung wird autosomal-rezessiv vererbt und entsteht durch eine Punktmutation im HBB-Gen auf Chromosom 11, das für die β-Kette des Hämoglobins kodiert. Bei dieser Mutation wird Glutamat durch Valin an Position 6 der β-Globinkette ersetzt, was zur Bildung des Sichelzell-Hämoglobins (HbS) führt.
  • Pathophysiologischer Mechanismus:
    • Das veränderte HbS neigt unter Bedingungen geringer Sauerstoffsättigung zur Polymerisation. Dies bewirkt, dass die Erythrozyten (rote Blutkörperchen) ihre typische runde und flexible Form verlieren und eine sichelförmige Gestalt annehmen.
    • Die sichelförmigen Erythrozyten sind weniger verformbar und neigen dazu, in kleinen Blutgefäßen zu verklumpen, was zu Vasookklusionen (Gefäßverschlüssen) führt.
  • Vasookklusionen und Infarkte: Die Gefäßverschlüsse behindern die Blutzirkulation und führen zu Ischämien (Minderdurchblutungen) in den betroffenen Geweben. Diese Ischämien verursachen Organschäden und Infarkte in verschiedenen Organen, wie Lunge, Niere, Gehirn und Milz. Wiederholte Gefäßverschlüsse führen langfristig zu chronischen Organschäden.
  • Hämolyse: Zusätzlich zur Vasookklusion kommt es zu einer verkürzten Lebensdauer der sichelförmigen Erythrozyten, was zu einer hämolytischen Anämie führt. Die Erythrozyten werden vorzeitig in Milz und Leber abgebaut, was die Erythropoese (Neubildung von roten Blutkörperchen) im Knochenmark überfordert.

Die Kombination aus Vasookklusionen, Infarkten und chronischer Hämolyse führt zu den typischen klinischen Symptomen der Sichelzellenanämie, einschließlich Schmerzen, Anämie und Organschäden.

Ätiologie (Ursachen)

Biographische Ursachen

  • Genetische Belastung
    • durch Eltern, Großeltern – Punktmutation auf dem Chromosom 11
    • Personen aus dem Mittelmeerraum sind meist homozygot für den Haplotyp Benin, Personen aus Zentralafrika meist für den Typ Bantu
  • Ethnische Herkunft 
    • Drei Viertel der Sichelzellenanämie-Fälle treten in Afrika auf (Trägerfrequenz (heterozygote Merkmalsträger): 10-40% im äquatorialen Afrika; nordafrikanischen Küste 1-2 %; Südafrika
    • östlicher Mittelmeerraum
    • Vorderasien
    • Afroamerikaner: Sichelzellenanämie ist in den USA die häufigste Erbkrankheit der Afroamerikaner (Trägerfrequenz: 5-10 %).

Medikamente

Anämie 

  • Antiprotozoika
    • Analogon des Azofarbstoffs Trypanblau (Suramin)
    • Pentamidin
  • Alpha-Methyldopa (Antihypertensivum) 
  • Antimalariamittel wie Primaquin oder Dapson
  • Chelatbildner (D-Penicillamin, Trieethylentetramin-Dihydrochlorid (Trien), Tetrathiomolybdan)
  • Chinidin
  • Direkter Faktor Xa-Inhibitor (Rivaroxaban)
  • Immunsuppressiva (Thalidomid)
  • Januskinase-Inhibitoren (Ruxolitinib)
  • Monoklonale Antikörper – Pertuzumab
  • mTOR-Inhibitoren (Everolimus, Temsirolimus)
  • Neomycin
  • P-Aminosalicylsäure (Mesalazin)
  • Phenytoin [megaoblastäre Anämie]
  • Thrombininhibitor (Dabigatran)
  • Tuberkulostatika (Isoniazid, INH; Rifampicin, RMF)
  • Virostatika
    • Nukleosid-Analoga (Ribavirin) [hämolytische Anämie]
    • NS5A-Inhibitoren (Daclatasvir)
    • Protease-Inhibitoren (Boceprevir, Telaprevir)

Aplastische Anämie

  • Allopurinol*
  • Alpha-Methyldopa*
  • Antibiotika – Medikamente wie Streptomycin*, Tetracyclin* oder Methicillin*
  • Antidiabetika – Tolbutamid und Chlorpropamid
  • Antihistaminika – Cimetidin
  • Antikonvulsiva – Carbomazepin
  • Carboanhydrasehemmer (CAH, CAI)Acetazolamid, Dichlorphenamid, Methazolamid
  • Chinidin*
  • Chloramphenicol
  • Colchicin
  • D-Penicillamin – Medikament, welches bei der Therapie der rheumatoiden Arthritis eingesetzt wird
  • Lithium*
  • Medikamente gegen Protozoen-Infektionen wie Chloroquin oder Mepacrin
  • Nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR) – Phenylbutazon, Ibuprofen oder Acetylsalicylsäure (ASS)
  • Östrogene
  • Sedativa – wie Chlorpromazin* oder Meprobamat*
  • Sulfonamide
  • Tuberkulostatika (Isoniazid, INH)
  • Thyreostatika – wie Methylthiouracil oder Carbimazol
  • Zytostatika
    • Alkylanzien wie Chlorambucil oder Cyclophosphamid
    • Antimetaboliten wie Mercaptopurin, Fluorouracil oder Methotrexat
    • Mitosehemmer wie Vincristin oder Paclitaxel

Anmerkung: Bei den Stern (*) gekennzeichneten Medikamenten ist der Zusammenhang mit der aplastischen Anämie nur gering belegt.