Sichelzellenkrankheit (Sichelzellenanämie) – Einleitung

Die Sichelzellenkrankheit (engl.: sickle cell disease, SCD) ist eine genetisch bedingte Erkrankung der Erythrozyten (rote Blutkörperchen), die zu einer Anämie (Blutarmut) führt. Es handelt sich um die häufigste Hämoglobinopathie und eine Multisystemerkrankung, die zahlreiche Komplikationen und Folgeerkrankungen mit sich bringen kann.

Synonyme und ICD-10: Afrikanische Anämie; Anämie durch Sichelzellenkrankheit; Drepanozytenanämie; Drepanozytische Anämie; Drepanozytose; Elliptozytose durch Sichelzellenkrankheit; Hämoglobin vom AS-Genotyp; Hb-AS-Erbanlage; HbS [Sichelzellenhämoglobin]-Krankheit; Hb-SC-Krankheit; Hb-SD-Krankheit; Hb-SE-Krankheit; Hb-S-Erbanlage; Hb-SS-Krankheit mit Krisen; Herrick-Syndrom; Meniskozytenanämie; Sichelzellanämie; Sichelzellenhämoglobinopathie; Sichelzellanämie; engl.: sickle cell anemia; ICD-10-GM D57.-: Sichelzellenkrankheiten

Pathophysiologie

Sichelzellenanämie betrifft die Struktur und Funktion des Hämoglobins in den Erythrozyten. Aufgrund eines genetischen Defekts wird abnormales Hämoglobin (HbS) produziert, das bei niedrigen Sauerstoffkonzentrationen polymerisiert und die Erythrozyten in eine sichelförmige Form zwingt. Diese veränderten Zellen sind weniger flexibel und neigen dazu, die Blutgefäße zu verstopfen, was zu einer Vielzahl von Komplikationen führt.

Charakteristische Laborbefunde

  • Hämoglobin: Erniedrigter Wert (Hb)
  • Haptoglobin: Erniedrigter Wert
  • Retikulozyten: Erhöhter Wert aufgrund kompensatorisch gesteigerter Erythropoese (Bildung von reifen Erythrozyten aus hämatopoetischen Stammzellen des blutbildenden Knochenmarks)
  • Lactatdehydrogenase (LDH): Erhöhter Wert
  • Bilirubin: Erhöhter Wert aufgrund des gesteigerten Abbaus der Erythrozyten

Formen der Sichelzellenanämie

Man kann nach dem ICD-10 -GM die folgenden Formen unterscheiden:

  • Sichelzellenanämie mit Krisen (ICD-10-GM D57.0)
  • Sichelzellenanämie ohne Krisen (ICD-10-GM D57.1)
  • Doppelt heterozygote Sichelzellenkrankheiten (ICD-10-GM D57.2)
  • Sichelzellen-Erbanlage (ICD-10-GM D57.3)
  • Sonstige Sichelzellenkrankheiten (ICD-10-GM D57.8)

Die Sichelzellenkrankheit (Sichelzellenanämie) ist eine genetisch bedingte Erkrankung, die autosomal-rezessiv vererbt wird.

Epidemiologie

Geschlechterverhältnis: ausgeglichen

Häufigkeitsgipfel: Bei homozygoten Erkrankten treten die Beschwerden häufig schon im Säuglingsalter auf.

Prävalenz (Krankheitshäufigkeit): Hohe Prävalenz im gesamten "Malaria-Gürtel", besonders in Westafrika, dem Mittelmeerraum bis nach Südostasien und Teilen Nord- und Südamerikas. Dies erklärt sich daraus, dass sie gegen Malaria eine Resistenz verleiht. Bis zu 40 % der Bevölkerung im tropischen Afrika sind heterozygote Anlagenträger. In den USA sind es bis zu 10 % der schwarzen Bevölkerung. In Deutschland erkranken jährlich ca. 300 Personen, meist Einwanderer.

Weltweite Prävalenz: Ca. 5-7 % der Weltbevölkerung sind Träger einer Sichelzellkrankheit- oder Thalassämiemutation [1].

Verlauf und Prognose

Verlauf

  • Akute Krisen: Plötzlich auftretende Schmerzepisoden (vasookklusive Krisen), oft ausgelöst durch Infektionen, Dehydration (Austrocknung) oder Stress.
  • Chronischer Verlauf: Anämie, Milz- und Lebervergrößerung, Wachstumsverzögerungen, chronische Schmerzen und Organschäden.
  • Komplikationen: Schlaganfälle, akutes Thoraxsyndrom, Infektionen, Nierenversagen, Augenprobleme.

Prognose

  • Lebenserwartung: Bei guter Therapie erreichen bis zu 90 % der homozygoten Betroffenen eine Lebenserwartung bis 60 Jahre.
  • Heterozygote Träger: Klinisch und hämatologisch in der Regel nicht beeinträchtigt.
  • Prognostische Faktoren:
    • Daktylitis: Häufig ungünstiger Verlauf.
    • Hämoglobinwert < 7 g/dl: Schlechtere Prognose.
    • Leukozytose: Erhöhtes Risiko für Komplikationen und schlechte Prognose.

Hinweis: Das Screening auf Sichelzellenkrankheit (Sichelzellenanämie) ist seit 2020 Bestandteil der Früherkennungsuntersuchungen bei Neugeborenen.

Literatur

  1. Martinez Aguilar P et al.: Hemoglobinopathies in Europe: health and migration policy perspectives. Orphanet J Rare Dis 2014;9:97-103

Leitlinien

  1. S2k-Leitlinie: Sichelzellkrankheit. (AWMF-Registernummer: 025-016), Juli 2020 Langfassung