Polyzythämie – Einleitung
Bei der Polyzythämie handelt es sich um eine Erythrozytose (Vermehrung der Erythrozyten, d. h. der roten Blutkörperchen im Blut), die entweder primär (aufgrund einer Störung der Stammzellen) oder sekundär (aufgrund einer Reaktion auf andere Erkrankungen oder Umweltfaktoren) auftreten kann.
Thesaurussynonyma und ICD-10: Emotionale Polyglobulie; erworbene Polyglobulie; erworbene Polyzythämie; Erythrozytose; Forssell-Syndrom; Hochgebirgspolyglobulie; Höhenflugpolyglobulie; Höhenpolyglobulie; Hypertensive Polyglobulie; Hypoxämische Polyglobulie; Nephrogene Polyglobulie; Plethora sanguinea; Plethora vera; Polycythaemia; Polycythaemia primaria; Polycythaemia rubra; Polycythaemia vera; Polyglobulie; Polyglobulie durch Aufenthalt in großer Höhe; Polyglobulie durch Erythropoetin; Polyglobulie durch Hämokonzentration; Polyzythämie durch Aufenthalt in großer Höhe; Polyzythämie durch Stress; Pseudopolyglobulie; Pseudopolyzythämie; relative Polyglobulie; Renale Polyglobulie; sekundäre Erythrämie; sekundäre Polyglobulie; Sekundäre Polyzythämie; Stresspolyglobulie; symptomatische Polyglobulie; Vaquez-Osler-Krankheit; Vaquez-Osler-Syndrom; ICD-10-GM D45: Polycythaemia vera; ICD-10-GM D75.1: Sekundäre Polyglobulie
Charakteristische Laborbefunde
Typisch für eine Polyzythämie sind erhöhte Werte von Erythrozyten, Hämoglobin und Hämatokrit. Zusätzliche Untersuchungen umfassen:
- Erythrozytenzahl: Erhöht
- Hämoglobin: Erhöht
- Hämatokrit: Erhöht
- Erythropoetin-Spiegel: Normal oder niedrig bei Polycythaemia vera; erhöht bei sekundären Formen
- JAK2-Mutation: Häufig positiv bei Polycythaemia vera
Polyzythämien können angeboren oder erworben sein.
Formen der Polyzythämie
- Primäre Polyzythämie ‒ Polycythaemia vera (PV), benigne familiäre Polyzythämie; Störung der erythropoetischen Stammzelle; autonome Proliferation der drei Zellreihen
- Sekundäre Polyzythämie (Polyglobulie) ‒ isoliert erhöhte Erythrozytenanzahl bei normalem Plasmavolumen, z. B.:
- reaktive Stimulierung der Erythropoese (Blutbildung) bei Hypoxie (Sauerstoffmangel; z. B. Herzfehler mit Rechts-Links-Shunt, chronische Lungenerkrankungen, Aufenthalt in großen Höhen)
- renale (nierenbedingte) Polyglobulie
- hypertensive (bluthochdruckbedingte) Polyglobulie
- Relative Polyzythämie (Pseudopolyglobulie) – durch Verminderung des Plasmavolumens mit isolierter grenzwertiger oder mäßiger Erhöhung der Erythrozytenzahl (Stresserythrozytose)
Polycythaemia vera (PV)
Die Polycythaemia vera (PV) zählt zu den myeloproliferativen Neoplasien (MPN) (früher: chronische myeloproliferative Erkrankungen (CMPE)). Dieses sind Erkrankungen, bei denen es zu einer Vermehrung aller drei Blutzellreihen (insbesondere Erythrozyten, jedoch auch Thrombozyten (Blutplättchen) und Leukozyten/weiße Blutkörperchen) im Blut kommt.
Die PV ist die häufigste der myeloproliferativen Neoplasien. Folgende weitere Erkrankungen zählen zu den myeloproliferativen Neoplasien:
- Chronische myeloische Leukämie (CML)
- Essentielle Thrombozythämie (ET) – chronische myeloproliferative Erkrankung (CMPE, CMPN), die durch eine chronische Erhöhung der Thrombozyten (Blutplättchen) charakterisiert ist
- Osteomyelofibrose (OMF; Synonym: Osteomyelosklerose, PMS) – myeloproliferatives Syndrom; stellt eine fortschreitende Erkrankung des Knochenmarks dar.
Formen der Polycythaemia vera
Es werden zwei klinische Stadien der Polycythaemia vera unterschieden:
- Chronische Phase:
- erhöhter Erythrozytenproduktion und Erythrozytose (Erhöhung der Zahl der Erythrozyten), die bis zu 20 Jahren bestehen kann und
- Progrediente Spätphase (früher als "spent phase" bezeichnet):
- sekundäre Markfibrose mit extramedullärer Hämatopoese (Blutbildung außerhalb des Knochenmarks) und zunehmender Splenomegalie (Vergrößerung der Milz; bis zu 25 % der Patienten) und/oder durch den Übergang in:
- eine Myelodysplasie (Gruppe von Erkrankungen des Knochenmarks, bei denen die Blutbildung nicht von gesunden, sondern von genetisch veränderten Ursprungszellen (Stammzellen) ausgeht) oder akute myeloische Leukämie (ca. 10 % der Patienten)
- sekundäre Markfibrose mit extramedullärer Hämatopoese (Blutbildung außerhalb des Knochenmarks) und zunehmender Splenomegalie (Vergrößerung der Milz; bis zu 25 % der Patienten) und/oder durch den Übergang in:
Epidemiologie
Geschlechterverhältnis: Männer zu Frauen beträgt 2 : 1 (Polycythaemia vera).
Häufigkeitsgipfel: Das Maximum des Auftretens der Polycythaemia vera liegt um das 60. Lebensjahr.
Das mediane Alter der Patienten bei Diagnosestellung liegt bei 60 bis 65 Jahre.
Inzidenz (Häufigkeit von Neuerkrankungen) der Polycythaemia vera (PV): Diese liegt bei ca. 0,7-2,6 Erkrankungen pro 100.000 Einwohnern pro Jahr.
Verlauf und Prognose
Verlauf
- Ohne adäquate Therapie beträgt die Überlebenszeit nur wenige Jahre.
- Mit adäquater Therapie kann die Progression der Erkrankung verlangsamt werden.
Prognose
- Die Lebenserwartung ist unter Therapie nicht wesentlich eingeschränkt.
- Patienten haben ein stark erhöhtes Risiko für thromboembolische Komplikationen, was zu erhöhter Morbidität (Erkrankungshäufigkeit und Mortalität (Sterblichkeit) führt.
Leitlinien
- Lengfelder E et al.: Polycythaemia Vera (PV). Onkopedia August 2021
- Barbui T et al.: Philadelphia chromosome-negative classical myeloproliferative neoplasms: revised management recommendations from European LeukemiaNet. Leukemia 2018 May;32(5):1057-1069. doi: 10.1038/s41375-018-0077-1.