Hämolytische Anämie – Ursachen

Pathogenese  (Krankheitsentstehung)

Die hämolytische Anämie ist gekennzeichnet durch einen vorzeitigen und verstärkten Abbau von Erythrozyten (rote Blutkörperchen). Der physiologische Abbau der Erythrozyten, der normalerweise in der Milz erfolgt, ist beschleunigt und verstärkt, was zu einer Anämie führt. In fortgeschrittenen Stadien kann der Erythrozytenabbau auch in der Leber und im Knochenmark stattfinden. Bei extremen Belastungen kommt es zusätzlich zu einer intravasalen Hämolyse – also einer Auflösung der roten Blutkörperchen innerhalb der Blutgefäße.

Mechanismen der Hämolyse

  • Extravaskuläre Hämolyse: Die meisten Erythrozyten werden in der Milz und, in geringerer Anzahl, in der Leber und im Knochenmark abgebaut. Die verstärkte Zerstörung dieser Zellen führt zur Überlastung dieser Organe, was die Hämolyse weiter beschleunigt.
  • Intravasale Hämolyse: Bei besonders schweren Formen der hämolytischen Anämie kann die Zerstörung der Erythrozyten direkt im Blutkreislauf erfolgen, was zu einer massiven Freisetzung von Hämoglobin führt.

Kompensatorische Reaktion

In Reaktion auf den erhöhten Erythrozytenverlust versucht der Körper, die Blutbildung im Knochenmark zu stimulieren, um den Verlust auszugleichen. Dies geschieht durch eine gesteigerte Hämatopoese (Blutbildung). In einigen Fällen kann es zu einer Markhyperplasie kommen, bei der das Knochenmark vermehrt Blutkörperchen produziert, um die erhöhte Zerstörung zu kompensieren.

Thalassämien

Bei den Thalassämien handelt es sich um eine genetisch bedingte Störung der Hämoglobinproduktion, die durch eine quantitative Störung der Globinkettensynthese gekennzeichnet ist. Das Hämoglobin besteht aus verschiedenen Globinketten (α, β, γ, δ), und die Art der Thalassämie hängt davon ab, welche Kette betroffen ist:

  • α-Thalassämie: Verminderte Produktion der α-Globinketten
  • β-Thalassämie: Verminderte Produktion der β-Globinketten
  • γ- und δ-Thalassämie: Betreffen seltenere Formen der Thalassämie, bei denen die Synthese dieser Globinketten gestört ist.

Diese quantitativen Störungen führen zu einer unausgeglichenen Produktion der Globinketten, was die Stabilität der Erythrozyten beeinträchtigt und deren Abbau beschleunigt.

Ätiologie (Ursachen)

Biographische Ursachen

  • Genetische Belastung
    • Genetische Erkrankungen 
      • Angeborene Enzymdefekte der Erythrozyten wie beim Pyruvatkinasemangel oder dem Glucose-6-Phosphat-Dehydrogenasemangel
      • Angeborene Membrandefekte der Erythrozyten (rote Blutkörperchen) wie Sphärozytose (Kugelzellanämie)
      • Rhesus-Inkompatibilität des Neugeborenen – Blutgruppenunverträglichkeit zwischen Mutter und Kind, wobei die Mutter Rhesus negativ und das Kind Rhesus-positiv ist
      • Sichelzellenanämie (med.: Drepanozytose; auch Sichelzellanämie, engl.: sickle cell anemia) – genetische Erkrankung mit autosomal-rezessivem Erbgang, die die Erythrozyten (rote Blutkörperchen) betrifft; sie gehört zur Gruppe der Hämoglobinopathien (Störungen des Hämoglobins; Bildung eines irregulären Hämoglobins, dem sogenannten Sichelzellhämoglobin, HbS)
      • Thalassämie – Erkrankung, die durch eine angeborene Störung der Hämoglobinsynthese bedingt ist
      • Morbus Wilson (Kupferspeicherkrankheit) – autosomal-rezessiv vererbte Erkrankung, bei der durch eine oder mehrere Genmutationen der Kupferstoffwechsel in der Leber gestört ist

Verhaltensbedingte Ursachen

  • Körperliche Aktivität
    • Intensives Joggen oder intensive Märsche

Krankheitsbedingte Ursachen

  • Abstoßungsreaktion nach Nierentransplantationen
  • Bartonellose – Infektionserkrankung, die vor allem in Südamerika vorkommt und durch das Bakterium Bartonella bacilliformis ausgelöst wird
  • Disseminierte intravasale Gerinnung (DIC) – Systemerkrankung, die nach starker Aktivierung der Gerinnung auftritt und gleichzeitig zu Blutungen und überschießender Blutgerinnung führt
  • Eklampsie (Schwangerschaftsvergiftung)
  • Hämangiome – gutartiger Tumor, der durch die Wucherung von Blutgefäßen entsteht
  • Hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS) – Trias aus mikroangiopathischer, hämolytischer Anämie (MAHA; Form der Blutarmut, bei der die Erythrozyten (rote Blutkörperchen) zerstört werden), Thrombozytopenie (krankhafte Verminderung der Thrombozyten/Blutplättchen) und akuter Nierenfunktionseinschränkung (acute kidney injury, AKI); meist bei Kindern im Rahmen von Infektionen auftretend; häufigste Ursache des akuten, dialysepflichtigen Nierenversagens im Kindesalter
  • Infektionen mit verschiedenen Erregern wie Pneumokokken oder Staphylokokken
  • Kälteantikörper-Autoimmunhämolytische Anämie, die häufig durch Lymphome (bösartige Erkrankungen des lymphatischen Gewebes) oder durch Infektionen bedingt sind
  • Leberzirrhose – bindegewebiger Umbau der Leber mit Funktionseinschränkung
  • Malaria – tropische Infektionserkrankung, die durch die Anopheles-Mücke übertragen wird
  • Maligne Hypertonie – schwerer Bluthochdruck mit diastolischen Werten über 120 mmHg, die schnell zu Nierenschäden führt
  • Metastasierende Karzinome – Krebserkrankungen, die Tochtergeschwülste "gestreut" haben
  • Morbus haemolyticus neonatorum – Komplikation in der Schwangerschaft, die bei einer Inkompatibilität der Blutgruppen zwischen Mutter und Kind auftritt
  • Paroxysmale Kältehämoglobinurie – Erkrankung, die häufig im Rahmen von Virusinfektionen, bei Syphilis oder als Autoimmunerkrankung auftritt
  • Paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie (PNH) – erworbene Erkrankung der hämatopoetischen Stammzelle, die durch eine Mutation des Phosphatidyl-Inositol-Glykan(PIG)-A-Gens hervorgerufen wird; charakterisiert durch eine hämolytische Anämie (Blutarmut durch Zerfall der roten Blutkörperchen), eine Thrombophilie (Thromboseneigung) und eine Panzytopenie, d. h. einem Mangel in allen drei Zellreihen (Trizytopenie) der Blutbildung, also eine Leukozytopenie (Verminderung der weißen Blutkörperchen), Anämie und Thrombozytopenie (Verminderung der Blutplättchen), gekennzeichnet ist.
  • Splenomegalie (Milzvergrößerung), die durch Herzinsuffizienz oder Entzündungen bedingt ist
  • Thrombotisch-thrombozytopenische Purpura (TTP; Synonym: Moschcowitz-Syndrom) ‒ akut einsetzende Purpura mit Fieber, Niereninsuffizienz (Nierenschwäche; Nierenversagen), Anämie (Blutarmut) sowie flüchtigen neurologischen und psychischen Störungen; Auftreten zum größten Teil sporadisch, bei der familiären Form autosomal-dominant
  • Wärmeantikörper-Autoimmunhämolytische Anämie, die häufig durch Lymphome (bösartige Erkrankungen des lymphatischen Gewebes) oder durch Virusinfektionen bedingt sind
  • Verbrennungen
  • Zieve-Syndrom – gekennzeichnet durch eine Trias aus: Hyperlipoproteinämie (auch Hyperlipidämie; Fettstoffwechselstörung), hämolytische Anämie (Blutarmut aufgrund Zerstörung der roten Blutkörperchen) alkoholtoxischer Leberschaden mit Ikterus (Gelbsucht)

Medikamente

Anämie 

  • Antiprotozoika
    • Analogon des Azofarbstoffs Trypanblau (Suramin)
    • Pentamidin
  • Alpha-Methyldopa (Antihypertensivum) 
  • Antimalariamittel wie Primaquin oder Dapson
  • Chelatbildner (D-Penicillamin, Trieethylentetramin-Dihydrochlorid (Trien), Tetrathiomolybdan)
  • Chinidin
  • Direkter Faktor Xa-Inhibitor (Rivaroxaban)
  • Immunsuppressiva (Thalidomid)
  • Januskinase-Inhibitoren (Ruxolitinib)
  • Monoklonale Antikörper – Pertuzumab
  • mTOR-Inhibitoren (Everolimus, Temsirolimus)
  • Neomycin
  • P-Aminosalicylsäure (Mesalazin)
  • Phenytoin [megaoblastäre Anämie]
  • Thrombininhibitor (Dabigatran)
  • Tuberkulostatika (Isoniazid, INH; Rifampicin, RMF)
  • Virostatika
    • Nukleosid-Analoga (Ribavirin) [hämolytische Anämie]
    • NS5A-Inhibitoren (Daclatasvir)
    • Protease-Inhibitoren (Boceprevir, Telaprevir)

Aplastische Anämie

  • Allopurinol*
  • Alpha-Methyldopa*
  • Antibiotika – Medikamente wie Streptomycin*, Tetracyclin* oder Methicillin*
  • Antidiabetika – Tolbutamid und Chlorpropamid
  • Antihistaminika – Cimetidin
  • Antikonvulsiva – Carbomazepin
  • Carboanhydrasehemmer (CAH, CAI)Acetazolamid, Dichlorphenamid, Methazolamid
  • Chinidin*
  • Chloramphenicol
  • Colchicin
  • D-Penicillamin – Medikament, welches bei der Therapie der rheumatoiden Arthritis eingesetzt wird
  • Lithium*
  • Medikamente gegen Protozoen-Infektionen wie Chloroquin oder Mepacrin
  • Nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR) – Phenylbutazon, Ibuprofen oder Acetylsalicylsäure (ASS)
  • Östrogene
  • Sedativa – wie Chlorpromazin* oder Meprobamat*
  • Sulfonamide
  • Tuberkulostatika (Isoniazid, INH)
  • Thyreostatika – wie Methylthiouracil oder Carbimazol
  • Zytostatika
    • Alkylanzien wie Chlorambucil oder Cyclophosphamid
    • Antimetaboliten wie Mercaptopurin, Fluorouracil oder Methotrexat
    • Mitosehemmer wie Vincristin oder Paclitaxel

Anmerkung: Bei den Stern (*) gekennzeichneten Medikamenten ist der Zusammenhang mit der aplastischen Anämie nur gering belegt.

Umweltbelastung – Intoxikationen (Vergiftungen) 

  • Kupfer
  • Schlangengifte
  • Spinnengifte

Weitere Ursachen

  • Bluttransfusionen
  • Künstlicher Herzklappenersatz und andere Gefäßendoprothesen
  • Methylenblau (Farbstoff)