Hämolytische Anämie – Einleitung

Die hämolytische Anämie (HA) ist eine Form der Blutarmut, die durch einen gesteigerten Abbau bzw. Zerfall (Hämolyse) der Erythrozyten (rote Blutkörperchen) gekennzeichnet ist, wobei dieser durch eine Mehrproduktion im roten Knochenmark nicht mehr ausgeglichen werden kann. Die normale Lebensdauer der Erythrozyten beträgt etwa 120 Tage, während die Erythrozytenüberlebenszeit im Rahmen der hämolytischen Anämie unter 100 Tage liegt.

Synonyme und ICD-10: Anämie, hämolytische; Hemolytic anemia; Hämolytischer Ikterus; ICD-10-GM D55-D59: Hämolytische Anämien

Die hämolytischen Anämien gehören zu den hyperregenerativen Anämien, d. h. sie sind gekennzeichnet durch eine kompensatorisch gesteigerte Erythropoese (Bildung von reifen Erythrozyten aus hämatopoetischen Stammzellen des blutbildenden Knochenmarks) mit peripherer Retikulozytose (erhöhte Vorkommen von unreifen Erythrozyten-Vorstufen (Retikulozyten) im Blut).

Charakteristische Laborbefunde

Typisch für eine hämolytische Anämie sind folgende laborchemische Befunde:

  • Normochromasie: Der mittlere Hämoglobingehalt pro Erythrozyt (MCH) und das mittlere Erythrozyteneinzelvolumen (MCV) sind normal, wodurch die Anämie als normozytär und normochrom klassifiziert wird.
  • Erniedrigte Hämoglobin-Werte: Der Hämoglobinspiegel im Blut ist verringert.
  • Erniedrigte Haptoglobin-Werte: Haptoglobin, ein Protein, das freies Hämoglobin im Blut bindet, ist aufgrund des erhöhten Erythrozytenabbaus erniedrigt.
  • Retikulozytose: Es liegt eine erhöhte Anzahl von Retikulozyten (unreifen roten Blutkörperchen) im Blut vor, was auf eine kompensatorisch gesteigerte Erythropoese (Bildung von reifen Erythrozyten aus hämatopoetischen Stammzellen des blutbildenden Knochenmarks) hinweist.
  • Erhöhte Lactatdehydrogenase (LDH): Der LDH-Wert ist erhöht, da LDH aus den zerstörten Erythrozyten freigesetzt wird.
  • Erhöhtes Bilirubin: Der Abbau von Hämoglobin führt zu einer Erhöhung des indirekten (unkonjugierten) Bilirubins im Blut.

Zusätzlich können folgende Befunde auftreten:

  • Erhöhte Retikulozytenzahl: Als Ausdruck der gesteigerten Erythropoese, mit einem erhöhten Anteil an unreifen Erythrozyten.
  • Erhöhte Werte von freiem Hämoglobin: Im Plasma kann freies Hämoglobin nachgewiesen werden, insbesondere bei intravasaler Hämolyse.
  • Positiver Coombs-Test: Bei autoimmunhämolytischen Anämien können direkte oder indirekte Coombs-Tests positiv sein, was das Vorhandensein von Autoantikörpern gegen Erythrozyten bestätigt.

Formen der hämolytischen Anämie

Die hämolytische Anämie kann man in zwei große Gruppen unterteilen, die wiederum in viele Untergruppen gegliedert sind:

  • Korpuskuläre hämolytische Anämien 
    • Enzymopathie (genetisch bedingte Enzymdefekte), z. B.
      • Glucose-6-Phosphat-Dehydrogenasemangel
      • Pyruvat-Kinase-Mangel
    • Membrandefekte, z. B. Sphärozytose (Kugelzellanämie; häufigste hämolytische Anämie in Nordeuropa)
    • Hämoglobinopathien (Störungen der Hämoglobinsynthese), z. B. Thalassämie, Sichelzellenanämie (s. u. der gleichnamigen Erkrankung)
  • Extrakorpuskuläre hämolytische Anämien
    • Alloantikörper – Blutgruppenantikörper wie bei Transfusionszwischenfällen; Rhesusinkompatibilität
    • Autoimmunhämolytische Antikörper:
      • durch das Auftreten von Antikörpern gegen die körpereigenen Erythrozyten bedingte Anämie wie bei Wärme- oder Kälteantikörper-AIHA (autoimmunhämolytische Anämie); Isoantikörper (z. B. Morbus haemolyticus neonatorum)
      • durch Infektionserkrankungen wie Malaria
    • Mikroangiopathische Störungen wie bei dem Hämolytisch-urämischen Syndrom (HUS) oder der Thrombotisch-thrombozytopenischen Purpura (TTP; Moschkowitz-Syndrom, Moschcowitz-Syndrom)
    • Stoffwechselstörungen wie beim Zieve-Syndrom (gekennzeichnet durch eine Trias aus: Hyperlipoproteinämie (auch Hyperlipidämie; Fettstoffwechselstörung), hämolytische Anämie und alkoholtoxischer Leberschaden mit Ikterus/Gelbsucht)
    • Medikamenten-induzierte Immunhämolyse
    • Chemische Schäden wie bei Intoxikationen (Vergiftungen) mit Schlangengiften
    • Mechanische Schäden wie beispielsweise durch künstliche Herzklappen verursacht
    • Thermische Schäden wie bei Verbrennungen

Epidemiologie

Die epidemiologischen Daten zu hämolytischen Anämien variieren stark, je nach Region und spezifischer Ursache der Anämie.

Verlauf

Der Verlauf der hämolytischen Anämie hängt stark von der zugrunde liegenden Ursache ab. Generell kann die Hämolyse akut oder chronisch verlaufen:

  • Akute Hämolyse: Plötzlicher Beginn mit schnellen Symptomen wie Gelbsucht, dunklem Urin, Müdigkeit und Anämie. Kann durch Infektionen, Medikamente oder toxische Substanzen ausgelöst werden.
  • Chronische Hämolyse: Langsam fortschreitend, oft asymptomatisch bis zur Manifestation bei Belastung oder Infektionen. Typische Symptome sind Müdigkeit, blasse Haut, Gelbsucht und vergrößerte Milz (Splenomegalie).

Prognose

Die Prognose der hämolytischen Anämie ist stark abhängig von der spezifischen Ursache und der Schwere der Hämolyse:

  • Kongenitale Formen (angeborene Formen, z. B. Sphärozytose, Thalassämie):
    • Lebenslange Erkrankung mit variabler Prognose. Regelmäßige medizinische Überwachung und eventuell wiederholte Bluttransfusionen erforderlich.
  • Erworbene Formen (erworbene Formen, z. B. autoimmunhämolytische Anämie, medikamenten-induzierte Hämolyse):
    • Die Prognose hängt von der Kontrolle der zugrunde liegenden Ursache ab. Bei erfolgreicher Behandlung der Grunderkrankung oder Absetzen des auslösenden Medikaments ist eine vollständige Erholung möglich.
  • Schwere Fälle: Bei schwerer Anämie kann eine Bluttransfusion erforderlich sein. In Fällen von lebensbedrohlicher Hämolyse kann eine intensive medizinische Behandlung, einschließlich Immunsuppressiva oder Splenektomie (Entfernung der Milz), notwendig sein.

Leitlinien

  1. S1-Leitlinie: Thalassämie. (AWMF-Registernummer: 025-017), Juni 2016 Langfassung
  2. S1-Leitlinie: Hereditäre Sphärozytose. (AWMF-Registernummer: 025-018), August 2023 Langfassung
  3. S2k-Leitlinie: Sichelzellkrankheit. (AWMF-Registernummer: 025-016), Juli 2020 Langfassung