Blutbildende Organe – Immunsystem
Nachfolgend werden unter "Blutbildende Organe und Immunsystem" Krankheiten beschrieben, die gemäß ICD-10 dieser Kategorie zuzuordnen sind (D50-D90). Der ICD-10 dient der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten sowie verwandter Gesundheitsprobleme (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) und ist weltweit anerkannt.
Blutbildende Organe und Immunsystem
In der Embryonalphase wird das Blut vor allem in Leber und Milz gebildet. Nach der Geburt findet die Blutbildung (Hämatopoese) im Knochenmark (Medulla ossium), auch "myelotisches System" genannt, statt. Ist die Blutbildung im Knochenmark durch eine chronische Erkrankung oder direkte Schädigung des Knochenmarks beeinträchtigt, übernehmen Leber und Milz die Aufgabe der Blutbildung. Dieses wird als "extramedulläre Hämatopoese" bezeichnet.
Das Knochenmark ist ein weiches Gewebe, das die Hohlräume aller Knochen ausfüllt. Man unterscheidet das rote (blutbildende) Knochenmark und das gelbe (fettspeicherndes, nicht blutbildendes) Knochenmark. Nach der Geburt kommt zunächst nur rotes Knochenmark vor. Etwa ab dem 5. Lebensjahr zieht sich dieses nach und nach aus den meisten Knochen zurück und wird durch gelbes Mark ersetzt. Bei einem Erwachsenen findet sich rotes Knochenmark nur noch in den Epiphysen (Gelenkenden) der Röhrenknochen und in den Knochen des Achsenskeletts (Wirbelsäule inkl. kleiner Wirbelgelenke, Iliosakralgelenk (ISG; Kreuzbein-Darmbein-Gelenk), Schambeinfuge). Die Blutbildung findet dann vor allem in den Knochen der Wirbelsäule, Hüfte, Schulter, Rippen, Brustbein sowie in den Schädelknochen statt.
Alle Blutzellen entstehen aus gemeinsamen Zellen, den Stammzellen. Dabei handelt es sich um noch nicht ausdifferenzierte (vollständig entwickelte) Zellen. Die Stammzellen können sich entweder durch Zellteilung vermehren oder werden zu Vorläuferzellen für die zwei Linien der Blutzellen (Blutkörperchen), den myeloischen Zellen und den lymphatischen Zellen. Diese teilen sich weiter und reifen, das heißt, sie differenzieren sich zu verschiedenen Arten reifer Blutzellen, die dann aus dem Knochenmark ins Blut übergehen.
Die myeloischen Vorläuferzellen werden als pluripotent bzw. multipotent bezeichnet. Aus ihnen gehen folgende Blutzellen hervor:
- Erythrozyten (rote Blutkörperchen) → Sauerstofftransport
- Thrombozyten (Blutplättchen) → Blutgerinnung
- Monozyten (gehören zu den weißen Blutkörperchen) – Vorläufer der Makrophagen, die als „Fresszellen“ eine wichtige Rolle bei der Immunabwehr spielen
- Granulozyten (eosinophile, basophile, neutrophile → Immunabwehr)
Die lymphatischen Vorläuferzellen werden als determiniert bezeichnet, da sie sich nur in ein oder zwei nah verwandte Zelltypen differenzieren. Aus ihnen entstehen:
- Lymphozyten – erreichen erst im lymphatischen Gewebe, dazu gehören Lymphknoten, Mandeln, Milz, Thymus und Darm, ihre volle Reife und damit auch ihre Funktionsfähigkeit
- B-Zellen (B-Lymphozyt)
- T-Zellen (T-Lymphozyt)
- natürliche Killerzellen (NK-Zellen)
Da die meisten Blutkörperchen nur eine begrenzte Lebensdauer haben, müssen sie ständig neu gebildet werden (mehrere Milliarden Zellen pro Tag). So beträgt die Lebensdauer der Erythrozyten (rote Blutkörperchen) 30-120 Tage und die der Thrombozyten (Blutplättchen) 3-12 Tage.
Zu den Funktionen des Knochenmarks zählt auch der Abbau gealterter Erythrozyten.
Milz
Die Milz (Splen) liegt im linken Oberbauch, unterhalb des Zwerchfells und hinter dem Magen. Sie wiegt zwischen 150 und 200 g. Sie lässt sich in eine rote und weiße Pulpa gliedern, die unterschiedliche Funktionen haben. So ist die Milz eine Filterstation des Blutes: überalterte und geschädigte Erythrozyten und Thrombozyten werden gefiltert und durch Makrophagen (Fresszellen) abgebaut. Man nennt diesen Vorgang, der in der roten Pulpa stattfindet, Blutzellmauserung (Blutreinigung). Zudem hat die Milz eine immunologische Funktion (weiße Pulpa): In ihr vermehren sich und reifen B- und T-Lymphozyten. Die Milz ist des Weiteren Speicherort der Monozyten.
Trotz ihrer wichtigen Aufgaben ist die Milz kein lebenswichtiges Organ.
Leber
Die Leber (Hepar) liegt im rechten Oberbauch. Sie wiegt zwischen 1.400 und 1.800 g. Sie ist beim Menschen das größte Stoffwechselorgan. Zu den Aufgaben der Leber zählen vor allem:
- Verwertung von Nahrungsbestandteilen
- Abbau und Ausscheidung von Stoffen (Entgiftung)
- Produktion von wichtigen Plasmaproteinen, Abwehrstoffen (z. B. Immunglobuline) und Galle
- Speicherung von Vitaminen (z. B. Vitamin B12)
- Abbau von Erythrozyten (rote Blutkörperchen) und Leukozyten (weiße Blutkörperchen)
Beim Fetus ist die Leber bis zum 7. Schwangerschaftsmonat an der Blutbildung beteiligt. Nach der Geburt übernimmt sie diese Aufgabe nur, wenn das Knochenmark in seiner blutbildenden Funktion beeinträchtigt ist.
Immunsystem
Das Immunsystem (Abwehrsystem des Körpers) gliedert sich in die lymphatischen Organe, zu denen auch das Knochenmark gehört, das Lymphgefäßsystem und das Blut. Das Blut enthält Elemente der körpereigenen Abwehr, nämlich die Blutzellen, die während der Blutbildung aus Stammzellen im Knochenmark erzeugt wurden und im lymphatischen System gereift sind.
Die lymphatischen Organe werden wie folgt eingeteilt:
- Primäre lymphatische Organe – Differenzierung von Vorläuferzellen in immunkompetente T- und B-Lymphozyten
- Knochenmark
- Thymus (Bries) – Umwandlung von Thymozyten (Prä-T-Lymphozyten) in T-Lymphozyten (T-Zellen)
- Sekundäre lymphatische Organe – Auslösen einer spezifischen Immunantwort
- Milz
- Lymphknoten
- Tonsillen (Mandeln)
- Appendix (Blinddarm; Wurmfortsatz)
- Lymphfollikel (Lymphknötchen) – B-Lymphozyten
- Peyer-Plaques – Anhäufung von 10-50 Lymphfollikeln, die im gesamten Dünndarm vorkommen und von Bedeutung für die Infektionsabwehr im Darm sind
Bei einer Infektion werden vom blutbildenden System vermehrt Zellen des Immunsystems gebildet. Zur körpereigenen Immunabwehr gehören folgende Zellen:
- Granulozyten → rasche Zerstörung bzw. Abwehr von Bakterien
- Monozyten (werden zu Makrophagen/"Fresszellen") → Zerstörung körperfremder Strukturen durch Phagozytose ("Fressen der Zelle")
- Lymphozyten → Abwehr von Viren und Bildung von Antikörpern
- B-Zellen
- T-Zellen
- natürliche Killerzellen (NK-Zellen)
Granulozyten, Monozyten und Lymphozyten werden unter dem Begriff Leukozyten (weiße Blutkörperchen) zusammengefasst.
Wenn das blutbildende System in seiner Funktion geschädigt bzw. beeinträchtigt ist, wirkt sich dieses folglich auch auf die Immunabwehr aus, da die entsprechenden Blutzellen nicht wie erforderlich gebildet werden.
Häufige bzw. wichtige Erkrankungen der blutbildenden Organe und des Immunsystems
- Blutungsneigung
- Eisenmangelanämie
- Folsäure-Mangelanämie
- Hämaturie (Blut im Urin)
- Hämophilie (Bluterkrankheit)
- Immundefizienz/Immundefekte
- Krankheiten der Milz – z. B. Abszess oder Zyste der Milz, Milzruptur (nicht-traumatisch), Asplenie (Fehlen der Milz durch Splenektomie (Milzentfernung))
- Leukämien*
- Purpura Schönlein-Henoch (PSH) – immunologisch vermittelte Vaskulitis (Gefäßentzündung) der Kapillaren sowie der prä- und postkapillären Gefäße
- Purpura und Petechien (Haut- und Schleimhauteinblutungen)
- Thrombozytopenie – die Anzahl der Thrombozyten (Blutplättchen) im Blut beträgt weniger als 150.000/μl (150 x 109/l)
- Vitamin B12-Mangelanämie
*Leukämien = Krebserkrankungen des blutbildenden Systems im Knochenmark. Aufgrund ihrer ICD-10 Bezeichnung – C81-C96 – werden sie als "Bösartige Neubildungen des lymphatischen, blutbildenden und verwandten Gewebes, als primär festgestellt oder vermutet" den "Neubildungen" zugeordnet, werden aber aufgrund ihrer Pathogenese (Krankheitsentstehung) hier mit aufgeführt.
Die wichtigsten Risikofaktoren für Erkrankungen der blutbildenden Organe und des Immunsystems
Verhaltensbedingte Ursachen
- Ernährung
- Einseitige Ernährung
- Vegetarier, Veganer
- Genussmittelkonsum
- Alkoholkonsum
- Rauchen
- Körperliche Aktivität
- Leistungssport
- Übergewicht
- Untergewicht
Krankheitsbedingte Ursachen
- Anorexia nervosa (Magersucht)
- Blutgerinnungsstörungen
- Blutungen (Blutverlust, insbesondere bei chronischen gynäkologischen bzw. gastrointestinalen Blutungen)/Blutungsanämie
- Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen wie Colitis ulcerosa oder Morbus Crohn/Entzündungsanämie
- Chronische Infektionen
- Chronische Niereninsuffizienz
- Chronische Pankreatitis (Bauchspeicheldrüsenentzündung)
- Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit)
- Gastritis (Magenschleimhautentzündung)
- Helminthiasis (Wurmerkrankungen)
- Influenza A (Grippe/Virus-Erkrankung)
- Magenulzera (Magengeschwüre)
- Parvoviren-Infektionen, z. B. Ringelröteln (Erythema infectiosum)
- Streptokokken-Erkrankungen (ß-hämolysierende Streptokokken)
- Tumorleiden aller Art, vor allem des lymphatischen und blutbildenden Systems
- Varizellen (Windpocken)
Medikamente
Operationen
- Gastrektomie (Magenentfernung)
- Dünndarmresektion (Entfernung des Dünndarms)
Umweltbelastung – Intoxikationen (Vergiftungen)
- Strahlenexposition in früher Kindheit
Bitte beachten Sie, dass die Aufzählung nur einen Auszug der möglichen Risikofaktoren darstellt. Weitere Ursachen finden Sie unter der jeweiligen Krankheit.
Die wichtigsten diagnostischen Maßnahmen für Erkrankungen der blutbildenden Organe und des Immunsystems
- Kleines Blutbild
- Differentialblutbild
- Gerinnungsparameter, Gerinnungsfaktoren
- Entzündungsparameter
- Leberparameter
- Schilddrüsenparameter
- Urinstatus
- Sonographie (Ultraschall) der betroffenen Körperregion
- Röntgenaufnahme der betroffenen Körperregion
- Computertomographie (CT; schnittbildgebendes Verfahren (Röntgenaufnahmen aus verschiedenen Richtungen mit rechnerbasierter Auswertung)) der betroffenen Körperregion
- Magnetresonanztomographie (MRT; computergestütztes Schnittbildverfahren (mittels magnetischer Felder, das heißt ohne Röntgenstrahlung)) der betroffenen Körperregion
- Knochenmarkbiopsie
- Bei Verdacht auf Ulzera (Geschwüre), Tumoren oder Blutungen anderer Genese (Ursache)
- Gastroskopie (Magenspiegelung)
- Koloskopie (Darmspiegelung)
Welcher Arzt hilft Ihnen?
Bei Erkrankungen der blutbildenden Organe und des Immunsystems ist zunächst der Hausarzt, der in der Regel Allgemeinmediziner oder Internist ist, Ansprechpartner. In Abhängigkeit von der Erkrankung bzw. deren Schwere wird eine Vorstellung bei einem entsprechenden Facharzt, dem Hämatologen, erforderlich.
Gehen Sie in akuten Krankheitsfällen bitte immer sofort zu Ihrem Arzt.