Bluterkrankheit (Hämophilie) – Medikamentöse Therapie
Therapieziel
Vermeidung von Blutungen bzw. Folgeschäden
Therapieempfehlungen
Man unterscheidet folgende Formen der Substitutionstherapie bzw. Therapie:
- Bei Bedarf (= Bedarfstherapie; "On-Demand-Substitution"):
- Die Substitution orientiert sich stets an der Symptomatik.
- Bei bedrohlichen Blutungen sind häufig mehrere Dosen erforderlich.
- Blutungsvorbeugende Dauertherapie:
- Kinder mit schwerer Hämophilie; Beginn spätestens nach einer Blutung
- Erwachsene mit rezidivierende (wiederkehrende) Gelenkblutung bei Gefahr irreversibler Schäden; körperliche/psychische Belastungen; Reha-Maßnahmen; postoperative Heilungsprozesse
- Blutungsvorbeugende Akuttherapie
- Vor großen Operationen sollte die Aktivität der Faktoren auf 100 % angehoben werden
- Vor kleinen Operationen reicht eine Anhebung der Faktoren auf 50 %
- Therapie der Hemmkörperhämophilie:
- Symptomatische Therapie der Blutung
- Kausal: Elimination der Hemmkörper durch Immuntoleranz (Immuntoleranzinduktion)
Eine Stunde nach der Substitution sollte eine Messung der Faktorenaktivität erfolgen.
100 % Aktivität (oder 1 I.E.) ist die Aktivität, die in einem Milliliter Normalplasma enthalten ist.
Dauer der Infusion
- Initialdosis – 3-4 I.E./kg KG/Stunde
- Erhaltungsdosis – 1,5-3 I.E./kg KG/Stunde
Eine kontinuierliche Infusion kann zu einer Reduktion der Gesamtdosis führen, aber auch zur Bildung von Hemmkörpern.
Grundsätzliche Hinweise
- Kinder benötigen in der Regel höhere Dosierungen
- Die Größe der Wundfläche bestimmt die Höhe der Dosis, ebenso der Fortschritt der Wundheilung
- Achtung! Acetylsalicylsäure (ASS) ist bei Patienten mit Hämophilie kontraindiziert.
- Siehe auch unter "Weitere Therapie".
Mögliche Nebenwirkungen von Faktorenkonzentraten:
- Allergische Reaktionen
- Selten thromboembolische Nebenwirkungen (meist lokal)
- Infektionsrisiko (v.a. Hepatitis A, B, C, HIV) nahezu ausgeschlossen
Weitere Hinweise
- Die Europäische Kommission hat AFSTYLA® (auch als rVIII-SingleChain bekannt), dieses ist ein rekombinanter, einkettiger Faktor VIII, zur Therapie und Prophylaxe von Blutungen bei Hämophilie A zugelassen.
- Efanesoctocog Alpha (gentechnisch modifiziertes Faktor-VIII-Therapeutikum): hat im Vergleich zur klassischen Behandlung die Blutung von im Schnitt drei in 12 Monaten auf nur noch eine in 18 Monaten reduziert [7].
- Nach einigen Jahren der Substitutionstherapie mit Faktor VIII kommt es bei ca. 30 % der Patienten mit Hämophilie A zur Bildung von neutralisierenden Antikörpern. Diese Patienten konnten durch den bispezifischen Antikörper Emicizumab, der durch Bindung der Gerinnungsfaktoren IX und X die Funktion des fehlenden Gerinnungsfaktors VIII ersetzt, vor einer Blutungen geschützt werden. Es handelte sich dabei um eine Phase-III-Studie [1].
- Emicizumab ist seit dem 1. 4. 2018 auf dem deutschen Arzneimittelmark verfügbar.
- HAVEN 3-Studie: Emicizumab hat bei Patienten ab 12 Jahren mit schwerer Hämophilie A ohne Inhibitoren gegen Faktor VIII die Blutungskontrolle im Vergleich zu einer Faktor VIII-Standardprophylaxe deutlich optimiert [3].
Dosierung: wöchentliche Prophylaxe mit Emicizumab (1,5 mg pro Kilogramm Körpergewicht) per subkutaner Injektion. - Eine Phase-III-Studie zeigte eine sehr gute Wirksamkeit auch bei Patienten mit einer weniger schweren Verlaufsform (im Mittel weniger als eine Blutung im Jahr) [6].
- Erstmals hat sich eine Gentherapie über einen längeren Zeitraum als wirksam erweisen (Phase-I/II-Studie). Es wurde dabei dauerhaft ein hohe FIX-Aktivität von im Mittel mehr als 30 Prozent erreicht, sodass keine spontanen Blutungen mehr auftraten [2].
- Eine einzelne Behandlung mittels eines Adenovirus, dass die korrekte Version des F8-Gens in Leberzellen ablegt, hat die Patienten im Verlauf von drei Jahren vor schweren Blutungen bewahrt; auf prophylaktische Faktor-8-Infusionen konnte weitestgehend verzichtet werden; eine Antikörperbildung wurde bislang nicht beobachtet und es ist zu keinen schweren Leberschäden gekommen [4].
- Einmaltherapie der Hämophilie A mit Valoctocogen Roxaparvovec (Ende August EU-Zulassung): Phase-III-Studie GENEr8-1 ergab nach einmaliger Infusion von 6 x 1013 Vektorgenomen pro kg/KG bei Patienten mit schwerer Hämophilie – ohne Hemmkörper gegen FVIII –weitgehende Blutungsfreiheit [5]..
Literatur
- Oldenburg J et al.: Emicizumab Prophylaxis in Hemophilia A with Inhibitors. NEJM July 10, 2017 doi: 10.1056/NEJMoa1703068
- George LA et al.: Hemophilia B Gene Therapy with a High-Specific-Activity Factor IX Variant. N Engl J Med 2017; 377:2215-2227 December 7, 2017 doi: 10.1056/NEJMoa1708538
- Mahlangu J et al.: Emicizumab Prophylaxis in Patients Who Have Hemophilia A without Inhibitors. N Engl J Med 2018; 379:811-822 doi: 10.1056/NEJMoa1803550
- Pasi KJ et al.: Multiyear Follow-up of AAV5-hFVIII-SQ Gene Therapy for Hemophilia A N Engl J Med 2020; 382:29-40 doi: 10.1056/NEJMoa1908490
- Ozelo MC et al.: Valoctocogene Roxaparvovec Gene Therapy for Hemophilia A N Engl J Med 2022; 386:1013-1025 doi: 10.1056/NEJMoa2113708
- Négrier C et al.: Emicizumab in people with moderate or mild haemophilia A (HAVEN 6): a multicentre, open-label, single-arm, phase 3 study. Lancet Haematology January 27, 2023 doi:https://doi.org/10.1016/S2352-3026(22)00377-5
- von Drygalski A et al.: Efanesoctocog Alfa Prophylaxis for Patients with Severe Hemophilia A N Engl J Med 2023; 388:310-318 doi: 10.1056/NEJMoa2209226