Aplastische Anämie – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Die aplastische Anämie ist eine seltene, aber schwerwiegende Erkrankung, bei der es zu einem Ausfall der Blutbildung (Hämatopoese) im Knochenmark kommt. Die Ursache liegt häufig in einer Autoimmunreaktion, bei der das Immunsystem fälschlicherweise das eigene Knochenmark angreift. Diese Autoimmunreaktion kann durch verschiedene Faktoren ausgelöst werden:

  • Infektionen (< 5 % der Fälle), insbesondere virale Infektionen
  • Medikamente und Noxen (< 10 % der Fälle), welche toxisch auf das Knochenmark wirken

Zerstörung des Knochenmarks und Ausfall der Zellreihen

Durch die Autoimmunreaktion wird das Knochenmark zerstört, was zu einem Ausfall der Produktion hämatologischer Zellen führt. Dabei sind alle drei Hauptzellreihen betroffen:

  • Erythrozyten (rote Blutkörperchen)
  • Leukozyten (weiße Blutkörperchen)
  • Thrombozyten (Blutplättchen)

Dies führt zu Anämie, Leukopenie und Thrombozytopenie, was die klassischen Symptome der aplastischen Anämie wie Müdigkeit, Infektanfälligkeit und Blutungsneigung erklärt.

Molekulare Mimikry und Virusinfektionen

Ein wichtiger Mechanismus, der die T-Zell-vermittelte Autoimmunreaktion bei der aplastischen Anämie vorantreiben kann, ist die sogenannte molekulare Mimikry. Dabei können Viren, insbesondere das Epstein-Barr-Virus (EBV), durch eine Kreuzreaktivität zwischen viralen Strukturen und körpereigenen Epitopen T-Lymphozyten aktivieren. Diese T-Zellen greifen dann nicht nur virale Strukturen, sondern auch hämatopoetische Vorläuferzellen im Knochenmark an und eliminieren diese [1].

Ätiologie (Ursachen)

Biographische Ursachen 

  • Genetisch bedingte Erkrankungen:
    • Dyskeratosis congenita – Multisystem-Krankheit mit der muko-kutanen Trias "Abnorme Hautpigmentierung, Nageldystrophie und Mukosa-Leukoplakie"; Symptome treten meist im Kindesalter auf: u. a. Knochenmarkdepression, Neigung zur Entstehung von Malignomen
    • Fanconi-Anämie ‒ genetisch bedingte Erkrankung, die im Kindesalter auftritt und zu hämatologischen Neoplasien (bösartige Neubildung der blutbildenden Zellen) führen kann; typisches Zeichen für eine Fanconi-Anämie ist u. a. die Rückbildung des Knochenmarks (schwere aplastische Anämie) – häufig ist dabei eine Panzytopenie (Synonym: Trizytopenie; Verminderung aller drei Zellreihen im Blut)

Krankheitsbedingte Ursachen

  • Eosinophile Fasziitis – Erkrankungen aus der Gruppe der Kollagenosen; hierbei kommen Verhärtungen im Bindegewebe vor
  • Chronischer Virusinfektionen wie zum Beispiel
    • Epstein-Barr-Virus – Infektiöse Mononukleose: akute fieberhafte Entzündung, die durch das Epstein-Barr-Virus (EBV) bedingt ist
    • Hepatitis (Leberentzündung)
    • HIV-Infektion
    • Zytomegalie-Virus
  • Paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie (PNH) – erworbene Erkrankung der hämatopoetischen Stammzelle, die durch eine Mutation des Phosphatidyl-Inositol-Glykan(PIG)-A-Gens hervorgerufen wird; charakterisiert durch eine hämolytische Anämie (Blutarmut durch Zerfall der roten Blutkörperchen), eine Thrombophilie (Thromboseneigung) und eine Panzytopenie, d. h. einem Mangel in allen drei Zellreihen (Trizytopenie) der Blutbildung, also eine Leukozytopenie (Verminderung der weißen Blutkörperchen), Anämie und Thrombozytopenie (Verminderung der Blutplättchen), gekennzeichnet ist.
  • Parvovirus B19-Infektion
  • Thymom – Tumor, der vom Thymusgewebe ausgeht
  • Thymuskarzinom (Thymuskrebs)

Medikamente

Aplastische Anämie

  • Allopurinol*
  • Alpha-Methyldopa*
  • Antibiotika – Medikamente wie Streptomycin*, Tetracyclin* oder Methicillin*
  • Antidiabetika – Tolbutamid und Chlorpropamid
  • Antihistaminika – Cimetidin
  • Antikonvulsiva – Carbomazepin
  • Carboanhydrasehemmer (CAH, CAI)  Acetazolamid, Dichlorphenamid, Methazolamid
  • Chinidin*
  • Chloramphenicol
  • Colchicin
  • D-Penicillamin – Medikament, welches bei der Therapie der rheumatoiden Arthritis eingesetzt wird
  • Lithium*
  • Medikamente gegen Protozoen-Infektionen wie Chloroquin oder Mepacrin
  • Nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR) – Phenylbutazon, Ibuprofen oder Acetylsalicylsäure (ASS)
  • Östrogene
  • Sedativa – wie Chlorpromazin* oder Meprobamat*
  • Sulfonamide
  • Tuberkulostatika (Isoniazid, INH)
  • Thyreostatika – wie Methylthiouracil oder Carbimazol
  • Zytostatika
    • Alkylanzien wie Chlorambucil oder Cyclophosphamid
    • Antimetaboliten wie Mercaptopurin, Fluorouracil oder Methotrexat
    • Mitosehemmer wie Vincristin oder Paclitaxel

Anmerkung: Bei den mit Stern (*) gekennzeichneten Medikamenten ist der Zusammenhang mit der aplastischen Anämie nur gering belegt.

Umweltbelastung – Intoxikationen (Vergiftungen)

  • Arsen
  • Benzol
  • Bismut
  • Gold
  • Quecksilber

Weitere Ursachen

  • Radiatio (Strahlentherapie)
  • Schwangerschaft

Literatur

  1. Hamza AB et al.: Virus-reactive T cells expanded in aplastic anemia eliminate hematopoietic progenitor cells by molecular mimicry Blood blood.2023023142. January 26, 2024 https://doi.org/10.1182/blood.2023023142