Anämie – Einleitung

Eine Anämie – umgangssprachlich Blutarmut genannt – ist ein zu niedriger Anteil der Erythrozyten (rote Blutkörperchen) am Blutvolumen (Hämatokrit) unterhalb vorgegebener Referenzwerte. Dieses ist verbunden mit einer Verminderung des Hämoglobin-Gehalts des Blutes unter die alters- und geschlechtsspezifische Norm.

Synonyme und ICD-10: Blutmangel; von griech. αν- an- für Verneinung: „un-“, „ohne“ und αἷμα haíma „Blut“; ICD-10-GM D64.9: Anämie, nicht näher bezeichnet)

Normwerte zu Erythrozyten (rote Blutkörperchen) und Hämoglobin (Blutfarbstoff), siehe unter den gleichnamigen Themen.

WHO-Definition der Anämie

  • Hb < 13,0 g/dl bei Männern > 15 Jahren und postmenopausalen Frauen* 
  • Hb < 12,0 g/dl bei Frauen im fertilen Alter > 15 Jahren*
  • Hb < 11,0 g/dl bei Schwangeren

*gilt auch für geriatrische Patienten

Grad der Anämie

  • Geringgradige Anämie: Hb zwischen 10 g/dl und dem unteren Wert des Normalbereichs
  • Mittelgradige Anämie: Hb 8-10 g/dl. 
  • Hochgradige Anämie: Hb < 8 g/dl

Die Anämien werden eingeteilt nach:

  • Hämoglobingehalt (MCH) pro Erythrozyt: hyper-, normo-, hypochrome Anämie
  • Größe der Erythrozyten (MCV): makro-, normo-, mikrozytäre Anämie
  • Form der Erythrozyten (z. B. Kugelzellenanämie, Sichelzellenanämie)
  • Auftauchen von Erythrozytenvorstufen im peripheren Blut (Megaloblastenanämie)

Details siehe dazu unter Klassifikation.

Formen der Anämie

Anämien können nach verschiedenen Kriterien klassifiziert werden, darunter die Ätiologie, die Morphologie der Erythrozyten (rote Blutkörperchen) und die zugrunde liegenden pathophysiologischen Mechanismen.

1. Nach Ätiologie

  • Eisenmangelanämie (ICD-10-GM D50.0): Die häufigste Form der Anämie, verursacht durch einen Mangel an Eisen, was die Hämoglobinbildung beeinträchtigt.
  • Vitamin-B12-Mangel-Anämie (ICD-10-GM D51.0): Auch perniziöse Anämie genannt, verursacht durch einen Mangel an Vitamin B12, was zu einer gestörten Erythrozytenreifung führt.
  • Folsäuremangel-Anämie (ICD-10-GM D52.0): Verursacht durch einen Mangel an Folsäure, ebenfalls wichtig für die Erythrozytenreifung.
  • Aplastische Anämie (ICD-10-GM D61.9): Resultiert aus einer Schädigung des Knochenmarks, was zu einer verminderten Produktion von Erythrozyten, Leukozyten und Thrombozyten führt.
  • Hämolytische Anämie (ICD-10-GM D55-D59): Resultiert aus einem vermehrten Abbau der Erythrozyten.

2. Nach Morphologie der Erythrozyten

  • Mikrozytäre Anämie: Erythrozyten sind kleiner als normal, häufig bei Eisenmangelanämie.
  • Makrozytäre Anämie: Erythrozyten sind größer als normal, oft bei Vitamin-B12- oder Folsäuremangelanämie.
  • Normozytäre Anämie: Erythrozyten haben normale Größe, kann bei chronischen Erkrankungen oder aplastischer Anämie auftreten.

3. Nach Pathophysiologie

  • Blutungsanämie: Resultiert aus akutem oder chronischem Blutverlust, wie bei gastrointestinalen Blutungen oder Menorrhagie.
  • Bildungsanämie: Verursacht durch eine verminderte Produktion von Erythrozyten im Knochenmark, wie bei Eisen-, Vitamin-B12- oder Folsäuremangel.
  • Hämolytische Anämie: Verursacht durch eine vermehrte Zerstörung der Erythrozyten, kann angeboren (z. B. Sichelzellanämie, Thalassämie) oder erworben (z. B. durch Autoimmunerkrankungen) sein.

Beachte: Bei einer akuten Blutungsanämie ist die Hb-Konzentration zunächst normal und fällt erst signifikant nach Volumenersatztherapie ab.

Nach Ätiologie (Ursachen)

  • Blutungen (chronisch, akut)
  • Störungen der Erythropoese (Bildung von reifen Erythrozyten (rote Blutkörperchen) aus hämatopoetischen Stammzellen des blutbildenden Knochenmarks.)
    • Substrat- oder Cofaktormangel (z. B. Eisenmangelanämie, Vitamin-B12-Mangel-Anämie, Folsäuremangel-Anämie)
    • Chronische Erkrankungen (Anämie bei chronischer Erkrankung)
      • Nierenversagen (renale Anämie)
      • Infekte (Infektanämie)
      • Tumoren (Tumoranämie)
        • Anämie durch metastasierte Malignome (Tumorerkrankung mit Tochtergeschwülste)
        • Anämie durch Knochenmarksinfiltration (z. B.  Leukämien/Blutkrebs)
  • Anämie als Folge eines gesteigerten Abbaus der Erythrozyten – hämolytische Anämie (s. u. hämolytische Anämie)

Anämien können Symptom viele Erkrankungen sein (siehe unter "Differentialdiagnosen").

Epidemiologie

Geschlechterverhältnis: Frauen sind häufiger betroffen als Männer, insbesondere aufgrund menstruationsbedingter Blutverluste und Schwangerschaft.

Häufigkeitsgipfel:
Anämie tritt in allen Altersgruppen auf, jedoch sind bestimmte Formen wie Eisenmangelanämie besonders häufig bei Kindern und Frauen im gebärfähigen Alter.

Prävalenz (Krankheitshäufigkeit): 
Die Prävalenz der Anämie liegt weltweit bei 25 % der Bevölkerung. Eisenmangelanämie ist weltweit die häufigste Form, besonders in Entwicklungsländern [1].

Verlauf und Prognose

Verlauf

Der Verlauf der Anämie hängt stark von der zugrunde liegenden Ursache ab:

  • Eisenmangelanämie: Langsamer Verlauf, Symptome entwickeln sich über Wochen bis Monate.
  • Aplastische Anämie: Kann akut oder chronisch verlaufen, mit schneller Verschlechterung bei schwerer Form.
  • Hämolytische Anämie: Akuter Verlauf mit plötzlichem Auftreten von Symptomen wie Gelbsucht und Splenomegalie.

Prognose

  • Eisenmangelanämie: Gute Prognose bei adäquater Eisensubstitution und Behandlung der Ursache des Eisenmangels.
  • Vitamin-B12- und Folsäuremangel-Anämie: Gute Prognose bei frühzeitiger Diagnose und Substitution der fehlenden Vitamine.
  • Aplastische Anämie: Variable Prognose, abhängig vom Schweregrad und der Reaktion auf die Therapie. Bei schwerer Form kann eine Knochenmarktransplantation notwendig sein.
  • Hämolytische Anämie: Prognose abhängig von der Ursache und der Behandlung der Grunderkrankung. Chronische Formen können zu Komplikationen wie Cholelithiasis (Gallensteinen) und Eisenüberladung führen.

Beachte: Im Alter ist eine Anämie niemals physiologisch (natürlich", "gesund")!

Literatur

  1. McLean E, Cogswell M, Egli I, Wojdyla D, de Benoist B: Worldwide prevalence of anaemia, WHO Vitamin and Mineral Nutrition Information System, 1993-2005. Public Health Nutr 2009;12(4):444-454 https://doi.org/10.1017/S1368980008002401