Syndrom des trockenen Auges (Keratokonjunktivitis sicca) – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Die Keratokonjunktivitis sicca (trockenes Auge) entsteht durch eine Störung des Tränenfilms, der normalerweise die Augenoberfläche befeuchtet und schützt. Der Tränenfilm besteht aus drei Schichten: einer Lipidschicht, die von den Meibomdrüsen (Talgdrüsen des Lidrands) produziert wird, einer wässrigen Schicht von der Haupttränendrüse und den akzessorischen Tränendrüsen sowie einer Schleimschicht, die von Becherzellen der Bindehaut produziert wird.

Einteilung der Keratokonjunktivitis sicca

  • Hypovolämische Form (verminderte Tränenproduktion):
    • In dieser Form wird zu wenig Tränenflüssigkeit gebildet. Dies führt zu einem erniedrigten Tränenfilmmeniskus und einem reduzierten Schirmer-Test.
    • Ursachen können systemische Erkrankungen oder Funktionsstörungen der Tränendrüsen sein.
    • Diese Form betrifft etwa 10 % der Patienten mit trockenem Auge.
  • Hyperevaporative Form (vermehrte Verdunstung des Tränenfilms):
    • Diese Form wird durch eine gestörte Lipidschicht des Tränenfilms verursacht, was zu einer erhöhten Verdunstung führt.
    • Charakteristisch sind pathologisch veränderte Lidkanten, verändertes Meibomdrüsensekret oder obstruierte Meibomdrüsenausführungsgänge. Die Tränenfilmaufrisszeit ist verkürzt.
    • Diese Form tritt oft in Kombination mit der hypovolämischen Form auf, wobei etwa 80 % der Patienten eine Mischform haben.

Multifaktorielle Ätiologie

Die Tear Film and Ocular Surface Society (TFOS) beschreibt das trockene Auge als eine multifaktorielle Erkrankung, bei der der Verlust der Homöostase des Tränenfilms das zentrale Konzept ist. Folgende Faktoren tragen zur Pathogenese bei:

  • Tränenfilminstabilität
  • Hyperosmolarität (Erhöhung der Osmolarität des Tränenfilms)
  • Entzündungen und Schädigungen der Augenoberfläche
  • Augensymptome wie Beschwerden und Sehstörungen

Primäre und sekundäre Formen

  • Die primäre Keratokonjunktivitis sicca ist oft eine Folge des Sicca-Syndroms oder Sjögren-Syndroms, bei dem die Tränendrüsen durch eine autoimmune Entzündung betroffen sind.
  • Sekundäre Formen können durch verschiedene systemische Erkrankungen oder exogene Faktoren wie Klimaanlagen, Luftverschmutzung oder andere Umwelteinflüsse ausgelöst werden.

Ätiologie (Ursachen)

Biographische Ursachen

  • Genetische Belastung – Tränendrüsenaplasie (nicht vollständige Entwicklung der Tränendrüsen)
  • Lagophthalmus (unvollständiger Lidschluss)
  • Veränderte Tränenzusammensetzung
  • Lebensalter – nachlassende Tränenproduktion
  • Hormonelle Faktoren – Menopause (Zeitpunkt der letzten spontanen Menstruation im Leben einer Frau)
  • Berufe – Berufe mit intensiver Bildschirmarbeit

Verhaltensbedingte Risikofaktoren

  • Ernährung – Mangel an essenziellen Fettsäuren wie Omega-3-Fettsäuren (Eicosapentaensäure und Docosahexaensäure), Vitamin A oder Antioxidantien kann die Stabilität des Tränenfilms beeinträchtigen.
  • Alkohol – Reduziert die Tränenfilmaufrisszeit (break-up time, BUT) und erhöht die Osmolarität des Tränenfilms, was die Symptome des trockenen Auges verstärken kann [3].
  • Tabak (auch Passivrauchen) – Zigarettenrauch wirkt reizend auf die Augenoberfläche und fördert die Austrocknung des Tränenfilms [1, 2].

Verhalten im Alltag

  • Tragen von Kontaktlinsen – Mechanische Reibung und eingeschränkter Sauerstoffaustausch können die Augenoberfläche reizen.
  • Arbeit am Computerbildschirm – Längeres Arbeiten reduziert die Blinzelfrequenz, was die Austrocknung der Augen fördert (Office-Eye-Syndrom).
  • Intensives Fernsehen – Verlängerte Bildschirmnutzung führt ebenfalls zu einer verminderten Blinzelfrequenz.

Krankheitsbedingte Ursachen

  • Allergische Rhinitis (Heuschnupfen)
  • Diabetes mellitus
  • Fazialisparese – Parese (Lähmung) von Muskeln, die durch den Nervus facialis innerviert werden, folglich ist ein Teil der Gesichtsmuskulatur gelähmt
  • Hepatitis C
  • HIV-/HTLV-1-Infektion
  • Infektionen mit Mumps oder Trachom
  • Neurodermitis – bei Neurodermitis-Patienten durch Pollen [4]
  • Leukämie (Blutkrebs)
  • Rheumatoide Arthritis – chronisch entzündliche Multisystemerkrankung, die sich meist in Form einer Synovialitis (Gelenkinnenhautentzündung) manifestiert. Sie befällt überwiegend die Gelenke (Polyarthritis, d. h. Arthritis von ≥ 5 Gelenken), seltener auch andere Organe wie z. B. Augen und Haut.
  • Sarkoidose – systemische Erkrankung mit verstärkter zellulärer Immunaktivität in den betroffenen Organen, meist betroffen sind Lunge und Lymphknoten
  • Sjögren-Syndrom (Gruppe der Sicca-Syndrome) – Autoimmunerkrankung aus der Gruppe der Kollagenosen, die zu einer chronisch entzündlichen Erkrankung der exokrinen Drüsen, am häufigsten der Speichel- und Tränendrüsen, führt; typische Folgeerkrankungen bzw. Komplikationen des Sicca-Syndroms sind:
    • Keratokonjunktivitis sicca (Syndrom des trockenen Auges) aufgrund fehlender Benetzung von Horn- und Bindehaut mit Tränenflüssigkeit
    • erhöhte Kariesanfälligkeit durch Xerostomie (Mundtrockenheit) aufgrund verminderter Speichelsekretion
    • Rhinitis sicca (trockene Nasenschleimhäute), Heiserkeit und chronischer Hustenreiz sowie eine gestörte Sexualfunktion durch Störung der Schleimdrüsenproduktion des Respirationstraktes und der Genitalorgane
  • Stevens-Johnson-Syndrom (Dermatostomatitis Baader) – infekt- oder arzneimittelallergisch bedingte Hauterkrankung
    Symptome: schmerzhafte Blasen im Mund-, Rachen- und Genitalbereich und eine erosive Konjunktivitis (Augenbindehautentzündung) 
  • Virale Infektionen – Conjunctivitis follicularis

Medikamente

  • Antiarrhythmika
    • Klasse III-Antiarrhythmika (Amiodaron)
  • Anticholinergika (Atropin, Scopolamin, Homatropin)
  • Antidepressiva
    • Monoaminooxidase-Hemmer (MAO-Hemmer)
    • Trizyklische Antidepressiva ( Amitriptylin, Clomipramin, Desipramin, Doxepin, Imipramin, Trimipramin)
    • Selektive Serotonin-Aufnahme-Inhibitoren (SSRI = Selective Serotonin Reuptake Inhibitor)
  • Antiparkinsonmittel
  • Antipsychotika (Neuroleptika) – Phenothiazine/Chlorpromazine; Haloperidol
  • Augentropfen mit Konservierungsmitteln (z. B. Benzalkoniumchlorid)
  • Betablocker (Betarezeptorblocker; ß-Blocker) – Atenolol, Bisoprolol, Metaprolol, Oxprenolol, Pindolol, Propranolol
  • Bisphosphonate (Alendronate, Pamidronate)
  • Benzalkoniumchlorid (BAC)
  • Diuretika
  • H1-Antihistaminika
    • Antihistaminika der 1. Generation – Chlorphenamin, Chlorphenoxamin, Clemastin, Cyproheptadin, Dexbrompheniramin, Dimenhydrinat, Dimetinden, Diphenhydramin, Doxylamin, Hydroxyzin, Ketotifen, Meclozin, Mepyramin, Oxomemazin, Pheniramin
    • Antihistaminika der 2. Generation – Bilastin, Cetirizin, Desloratadin, Fexofenadin, Levocetirizin, Loratadin
  • HCV-Proteaseinhibitoren (Boceprevir
  • Hormone
    • Postmenopausale Östrogentherapie
  • Monoklonale Antikörper (Dupilumab)
  • Topische IOD-senkende Arzneimittel (IOP-senkende Arzneimittel)
  • Rauwolfia-Alkaloide (Reserpin)
  • Retinoide (Acitretin, Isotretinoin)
  • Systemische Chemotherapie

Operationen

  • Refraktive Chirurgie der Hornhaut (Augenoperationen, die die Brechkraft verändern)

Strahlentherapie

  • Zustand nach Radiatio (Strahlentherapie) Kopf/Hals

Umweltbelastung – Intoxikationen (Vergiftungen)

Trockene Augen (Keratokonjunktivitis sicca) können durch eine Vielzahl von exogenen (äußeren) Faktoren und Umweltbelastungen ausgelöst oder begünstigt werden. Diese Faktoren beeinträchtigen die Stabilität des Tränenfilms, fördern die Austrocknung der Augenoberfläche und führen zu Beschwerden wie Reizung, Trockenheit und Fremdkörpergefühl.

Umweltfaktoren und Belastungen:

  • Luftqualität:
    • Abgase und Staubpartikel
    • Ozon (z. B. aus Kopierern und Druckern)
    • Zigarettenrauch
  • Klimatische Einflüsse:
    • Trockene Raumluft durch überheizte Räume, Fußbodenheizung oder Klimaanlagen
    • Zugluft aus Autogebläsen oder Ventilatoren
  • Arbeitsplatz- und Alltagsbelastungen:
    • Tätigkeit am Computerbildschirm (Office-Eye-Syndrom, Gamer-Eye)
    • Unzureichende oder falsche Beleuchtung
    • Intensives Fernsehen
  • Sonstige Faktoren:
    • Konservierungsmittel in Tränenersatzmitteln (z. B. Tenside, die die Fettschicht des Tränenfilms schädigen)
    • Kontaktlinsen (mechanische Reibung an Horn- und Bindehaut)

Literatur

  1. Deutsches Krebsforschungszentrum Tabakatlas Deutschland 2015. Heidelberg
  2. Secretan B, Straif K, Baan R et al.: A review of human carcinogens – Part E: tobacco, areca nut, alcohol, coal smoke, and salted fish. Lancet Oncol. 2009 Nov;10(11):1033-4.
  3. Kim JH, Kim JH, Nam WH et al.: Oral Alcohol Administration Disturbs Tear Film and Ocular Surface. Ophthalmology 2012; 119: 965-71.
  4. Maier P: Augenbeteiligung bei atopischer Dermatitis. Ophthalmologe 2017:114:496-497 doi 10.1007/s00347-017-0496-9
  5. Craig JP, Nichols KK, Akpek EK et al.: TFOS DEWS II Definition and Classification Report. Ocul Surf 2017 Jul;15(3):276-283. doi: 10.1016/j.jtos.2017.05.008. Epub 2017 Jul 20.