Grauer Star (Katarakt) – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Die Katarakt (cataracta senilis) entsteht primär durch altersbedingte Veränderungen in der Linse, die zu einer zunehmenden Trübung der Linsenstruktur führen. Diese Veränderungen beruhen auf einer Kombination aus oxidativem Stress, Proteinschäden, Störungen der Wasser- und Elektrolythomöostase sowie möglichen genetischen Prädispositionen.

Oxidativer Stress und Proteinschädigung
Mit dem Alter nimmt die Fähigkeit der Linse ab, sich vor reaktiven Sauerstoffspezies (ROS) zu schützen. UV-Licht, das lebenslang auf die Linse einwirkt, erhöht die ROS-Produktion. Oxidative Schäden an Proteinen, insbesondere an Crystallinen, führen zu deren Fehlfaltung und Aggregation, was die Linse trübt. Die Linse verliert zunehmend ihre Transparenz, da unlösliche Proteinaggregate gebildet werden.

Veränderungen der Wasser- und Elektrolythomöostase
Mit fortschreitendem Alter kommt es zu Störungen im Ionentransport, was die Wasserregulation in der Linse beeinträchtigt. Ein erhöhter Calciumspiegel in der Linse führt zur Aktivierung von Enzymen, die Proteine spalten, was die Bildung unlöslicher Aggregate begünstigt und so zur Linsentrübung beiträgt.

Glykierung von Proteinen
Nicht-enzymatische Glykierung (Verzuckerung) von Linsenproteinen, besonders bei älteren Menschen, verschlechtert die Proteinstabilität. Glykierte Proteine neigen dazu, sich zu vernetzen und zu aggregieren, was ebenfalls die Transparenz der Linse mindert.

Genetische Prädisposition
Genetische Mutationen, insbesondere in den Crystalline-Genen (z. B. CRYAA, CRYBB2), können die Struktur und Funktion der Linsenproteine beeinträchtigen. Diese genetischen Veränderungen erhöhen das Risiko für frühes Auftreten einer Katarakt und beeinflussen den Krankheitsverlauf.

Mitochondriale Dysfunktion
Mit zunehmendem Alter verschlechtert sich die Funktion der Mitochondrien (Kraftwerke der Zellen) in der Linse, was die Produktion von reaktiven Sauerstoffspezies weiter erhöht. Die mitochondriale Dysfunktion trägt wesentlich zur Schädigung der Linsenproteine und zur Beschleunigung der Kataraktentwicklung bei.

Einfluss von Metallionen
Metallionen wie Eisen und Kupfer fördern die Bildung von ROS durch die Fenton-Reaktion. Ein Ungleichgewicht im Metallionenstoffwechsel der Linse führt zu einer verstärkten Produktion von oxidativen Radikalen, was die Schädigung der Linse weiter vorantreibt.

Diese Prozesse wirken zusammen und führen zu einer fortschreitenden Trübung der Linse, die sich klinisch als Katarakt manifestiert. Obwohl die Alterskatarakt die häufigste Form ist, spielen bei der Entstehung genetische und umweltbedingte Faktoren eine wesentliche Rolle.

Ätiologie (Ursachen)

Biographische Ursachen

  • Genetische Belastung
    • durch Eltern, Großeltern: Der Katarakt wird meist autosomal-dominant vererbt. Das bedeutet, dass die Nachkommen eines Katarakt-Patienten mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 % ebenfalls im Laufe ihres Lebens betroffen sein werden.
    • Genetische Erkrankungen
      • Kongenitaler (angeborener) Katarakt – durch intrauterine Röteln-Infektion oder erblich bedingt, z. B. myotone Dystrophie Typ I + II (autosomal-dominant), Neurofibromatose Typ 2 (autosomal-dominant), Galaktosämie (autosomal-rezessiv; s.u.)  [Häufigkeit: zweimal auf 10.000 Geburten]
      • Trisomie 21 (Down-Syndrom; Erbgang: meist sporadisch)  spezielle Genommutation beim Menschen, bei der das gesamte 21. Chromosom oder Teile davon dreifach (Trisomie) vorliegen. Neben für dieses Syndrom als typisch geltenden körperlichen Merkmalen sind in der Regel die kognitiven Fähigkeiten des betroffenen Menschen beeinträchtigt; etwa die Hälfte der Betroffenen entwickeln einen Katarakt
  • Lebensalter – zunehmendes Alter (> 60 Jahre): Cataracta senilis
  • Juveniler Katarakt (Entwicklungskatarakt)
  • Dunkeläugige Personen  (2- bis 4-mal so häufig wie bei blauäugigen Menschen) [6]

Verhaltensbedingte Ursachen

  • Ernährung
    • Mikronährstoffmangel (Vitalstoffe) die Augenlinse von gesunden Patienten zeigt im Vergleich zu Patienten mit einer Katarakt eine signifikant niedrigere Konzentration von Ascorbinsäure. Im Auge entstehen durch den ständigen Kontakt mit dem Sonnenlicht freie Radikale, die durch Ascorbinsäure neutralisiert werden, wodurch eine Oxidation von empfindlichen Proteinen verhindert wird. Eine Supplementation von 300-600 mg Vitamin C pro Tag vermindert das Risiko einer Katarakt um den Faktor vier – siehe Prävention mit Mikronährstoffen
  • Genussmittelkonsum
    • Tabak (Rauchen) [1, 2]
  • Körperliche Aktivität
    • Körperliche Inaktivität – Studienteilnehmer mit höchster körperlicher Aktivität wiesen gegenüber der physisch inaktivsten Quartile ein um 13 % geringeres Kataraktrisiko auf (OR/odds ratio der Kataraktentstehung: 0,87) [4]
  • Übergewicht (BMI ≥ 25; Adipositas) – das RR (relative risk) für altersbedingte Katarakte für übergewichtige bzw. adipöse Erwachsene lag bei 1,08 bzw. 1,19 [3]

Krankheitsbedingte Ursachen

  • Komplikation bei anderen Augenerkrankungen – z. B. CMV-Retinitis (Netzhautentzündung durch das Cytomegalievirus), Glaukom (grüner Star), Iridozyklitis (Entzündung von Regenbogenhaut (Iris) und Ziliarkörper), Uveitis (Entzündung der mittleren Augenhaut, die aus der Aderhaut (Choroidea), dem Strahlenkörper (Corpus ciliare) und der Regenbogenhaut (Iris) besteht)
  • Stoffwechselerkrankungen
    • Diabetes mellitus (sogenannter Cataracta diabetica)
    • Galactosämie (s. u. "Genetische Erkrankungen") – wenn diese nicht bereits von Kindheit an durch galactosefreie Diät behandelt wird, kann sich ein Katarakt entwickeln
    • Hypothyreose (Schilddrüsenunterfunktion)
  • Verletzungen des Augapfels – z. B. Contusio bulbi, Augapfelperforation

Labordiagnosen – Laborparameter, die als unabhängige Risikofaktoren gelten

  • Hypocalcämie (Calciummangel) – sogenannter Cataracta tetanica

Medikamente

  • Glucocorticoide – Medikamente wie Cortison, die bei allergischen Reaktionen und verschiedenen Entzündungen verordnet werden
  • Monoklonale Antikörper
    • IgG2-anti-RANKL-Antikörper (Denosumab)

Umweltbelastung – Intoxikationen (Vergiftungen)

  • Einwirkung elektromagnetischer Energie
  • Strahlenexposition – Strahlenkatarakt, z. B. 
    • intensive Sonneneinstrahlung (UV-A, UV-B, Infrarot-Strahlung) oder Infrarotstrahlung – z. B. Glasbläser
    • Röntgenstrahlung – z. B. Ärzte im Herzkatheterlabor [5]
  • Thermische Einflüsse – Feuerstar (Infrarot-Strahlung)

Weitere Ursachen

  • Fremdkörper oder äußere Verletzungen der Augenlinse

Literatur

  1. Deutsches Krebsforschungszentrum. Tabakatlas Deutschland 2015. Heidelberg
  2. Secretan B, Straif K, Baan R et al.: A review of human carcinogens – Part E: tobacco, areca nut, alcohol, coal smoke, and salted fish. Lancet Oncol. 2009 Nov;10(11):1033-4.
  3. Ye J, Lou LX, He JJ, Xu YF: Body mass index and risk of age-related cataract: a meta-analysis of prospective cohort studies. PLoS One. 2014 Feb 24;9(2):e89923. doi: 10.1371/journal.pone.0089923. eCollection 2014
  4. Zheng Selin J et al.: Long-Term physical activity and risk of age-related cataract. Ophthalmology 2014, online publiziert am 27. September. doi: 10.1016/j.ophtha.2014.08.023.
  5. Andreassi MG et al.: Cardiac Catheterization. Circulation: Cardiovascular Interventions. 2016; 9: e003273. doi: 10.1161/CIRCINTERVENTIONS.115.003273
  6. Sun HP et al.: Iris color and associated pathological ocular complications: a review of epidemiologic studies Int J Ophthalmol . 2014 Oct 18;7(5):872-8. doi: 10.3980/j.issn.2222-3959.2014.05.25.