Zystische Nierenkrankheit – Ursachen
Pathogenese (Krankheitsentstehung)
Zystische Nierenerkrankungen umfassen eine heterogene Gruppe von Krankheitsbildern, die durch die Bildung von flüssigkeitsgefüllten Zysten in den Nieren gekennzeichnet sind. Diese Zysten können zu einer allmählichen Verschlechterung der Nierenfunktion führen und, je nach Form der Erkrankung, unterschiedliche genetische und pathophysiologische Mechanismen aufweisen. Zu den häufigsten Formen gehört die autosomal-dominante polyzystische Nierenerkrankung (ADPND).
Autosomal-dominante polyzystische Nierenerkrankung (ADPND)
Die ADPND ist die häufigste Form der zystischen Nierenerkrankungen und wird durch Mutationen in den PKD1- und PKD2-Genen verursacht. In etwa 85 % der Fälle liegt die Mutation im PKD1-Gen und in circa 15 % der Fälle im PKD2-Gen. Diese Gene kodieren für die Proteine Polyzystin-1 und Polyzystin-2, die in den primären Zilien der Nierenepithelzellen lokalisiert sind und eine wichtige Rolle bei der Regulation des intrazellulären Kalziumspiegels spielen. Eine gestörte Funktion dieser Proteine führt zu einem gestörten Kalziumstoffwechsel, was letztlich das Zystenwachstum fördert.
Zystenwachstum und Flüssigkeitstransport
Ein zentraler Mechanismus für das Zystenwachstum bei ADPND ist der gestörte Flüssigkeitstransport in das Zystenlumen. Es konnte gezeigt werden, dass der Chloridkanal TMEM16A (Anoctamin 1) wesentlich zum Zystenwachstum beiträgt, indem er den Chlorid- und Flüssigkeitseinstrom in die Zysten reguliert. Die pharmakologische Hemmung von TMEM16A hat in Studien eine signifikante Reduktion des Zystenwachstums gezeigt [1].
Zusätzlich spielen abnorme zelluläre Signalwege wie der cAMP-Signalweg eine wichtige Rolle beim Zystenwachstum. Erhöhte cAMP-Spiegel in den Nierenepithelzellen führen zu einer verstärkten Flüssigkeitssekretion und Zellproliferation, was das Zystenwachstum weiter antreibt. Auch der mTOR-Signalweg wird als beteiligt angesehen, da er Zellwachstum und -proliferation reguliert.
Autosomal-rezessive polyzystische Nierenerkrankung (ARPKD)
Die ARPKD ist eine seltenere Form der polyzystischen Nierenerkrankung, die durch Mutationen im PKHD1-Gen verursacht wird. Dieses Gen kodiert für das Protein Fibrocystin, welches in den primären Zilien der Sammelrohrzellen der Nieren exprimiert wird. Eine Mutation im PKHD1-Gen führt zu einer Fehlfunktion von Fibrocystin, was zu einer abnormen Zilienfunktion und zur Bildung von Zysten, vor allem in den Sammelrohren, führt. Anders als bei der ADPND sind die Zysten bei ARPKD meist kleiner, und die Erkrankung manifestiert sich bereits im Kindesalter.
Nephronophthise (NPHP) und medullär-zystische Nierenerkrankung
Die Nephronophthise ist eine autosomal-rezessive Erkrankung, die durch Mutationen in verschiedenen Genen (z. B. NPHP1- bis NPHP11-Gen) verursacht wird. Diese Gene kodieren für Proteine, die in den primären Zilien von Nierenzellen lokalisiert sind und an der Zilienfunktion beteiligt sind. Der Defekt in diesen Genen führt zur Bildung von Zysten im Markbereich der Nieren und zu einer fortschreitenden tubulointerstitiellen Fibrose. Die medullär-zystische Nierenerkrankung, eine autosomal-dominante Erkrankung, zeigt ähnliche klinische Merkmale, manifestiert sich jedoch meist im Erwachsenenalter.
Andere Formen der zystischen Nierenerkrankung
Es gibt weitere, seltenere Formen der zystischen Nierenerkrankung, darunter die von Hippel-Lindau-Krankheit, die durch Mutationen im VHL-Gen verursacht wird, sowie das Birt-Hogg-Dubé-Syndrom (Mutationen im FLCN-Gen), die ebenfalls mit der Bildung von Nierenzysten assoziiert sind.
Zusammenfassung der Pathogenese
Die Pathogenese zystischer Nierenerkrankungen ist komplex und umfasst genetische Defekte, die zu einer Störung der Zilienfunktion in Nierenepithelzellen führen. Diese Fehlfunktion beeinträchtigt die Zellproliferation, den Flüssigkeitstransport und die Geweberegeneration, was letztlich zur Bildung von Nierenzysten führt. Der Transport von Chlorid und Flüssigkeit über Kanäle wie TMEM16A spielt eine entscheidende Rolle beim Zystenwachstum, und die Hemmung dieser Signalwege bietet potenzielle therapeutische Ansätze [1].
Ätiologie (Ursachen)
Biographische Ursachen
- Genetische Belastung durch Eltern, Großeltern
- Genetisches Risiko abhängig von Genpolymorphismen:
- Gene/SNPs (Einzelnukleotid-Polymorphismus; engl.: single nucleotide polymorphism):
- Gene: PKHD1
- SNP: rs28939383 im Gen PKHD1
- Allel-Konstellation: CT (Träger der polyzystischen Nierenerkrankung)
- Allel-Konstellation: TT (verursacht polyzystische Nierenerkrankung)
- SNP: rs28937907 im Gen PKHD1
- Allel-Konstellation: CT (Träger der polyzystischen Nierenerkrankung)
- Allel-Konstellation: TT (verursacht polyzystische Nierenerkrankung)
- Allel-Konstellation: CT (Träger der polyzystischen Nierenerkrankung)
- SNP: rs137852946 im Gen PKHD1
- Allel-Konstellation: AG (Träger der polyzystischen Nierenerkrankung)
- Allel-Konstellation: GG (verursacht polyzystische Nierenerkrankung)
- Allel-Konstellation: AG (Träger der polyzystischen Nierenerkrankung)
- Gene/SNPs (Einzelnukleotid-Polymorphismus; engl.: single nucleotide polymorphism):
- Genetische Erkrankungen
- Autosomal-dominante polyzystische Nierenerkrankung (ADPKD; autosomal dominant polycystic kidney disease); Mutation im PKD1-Gen 85 % der Fälle (s. o.), im PKD2-Gen 15 % der Fälle; Krankheit führt v.a. bei der PKD1-Mutation zu einer terminalen Niereninsuffizienz (Nierenversagen)
- Autosomal-rezessive polyzystische Nierenerkrankung (ARPKD; autosomal recessive polycystic kidney disease)
- Laurence-Moon-Biedl-Bardet-Syndrom (LMBBS) – seltene genetische Erkrankung mit autosomal-rezessivem Erbgang; nach klinischer Symptomatik wird unterschieden in:
- Laurence-Moon-Syndrom (ohne Polydaktylie und Adipositas, dafür aber mit Paraplegie und Muskelhypotonie) und
- Bardet-Biedl-Syndrom (BBS) (mit Polydaktylie, Adipositas und Besonderheiten der Nieren)
- Medullary cystic kidney disease (MCKD); autosomal-rezessiver Erbgang
- Nephronophthise (NPH) – autosomal-rezessive Form einer tubulointerstitiellen Nephritis; Folge der Krankheit sind Zystennieren an der kortikomedullären Grenze der Nieren
- Orofasziales, digitales Syndrom mit polyzystischen Nieren (OFD) – X-chromosomal vererbt
- Weitere zystische Nierenerkrankung mit autosomal-dominantem Erbgang wie Von-Hippel-Lindau-Syndrom oder tuberöse Sklerose
- Zystische Nierenerkrankungen mit unbekanntem Erbgang
- Genetisches Risiko abhängig von Genpolymorphismen:
Literatur
- Cabrita I et al.: Cyst growth in ADPKD is prevented by pharmacological and genetic inhibition of TMEM16A in vivo. Nature Communications 2020;4320 doi:http://dx.doi.org/10.1038/s41467-020-18104-5