Angeborene Fehlbildungen, Deformitäten, Chromosomenanomalien
Nachfolgend werden unter "Angeborene Fehlbildungen" Krankheiten beschrieben, die gemäß ICD-10 dieser Kategorie zuzuordnen sind (Q00-Q99). Der ICD-10 dient der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten sowie verwandter Gesundheitsprobleme (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) und ist weltweit anerkannt.
Angeborene Fehlbildungen, Deformitäten und Chromosomenanomalien
Bei angeborenen Fehlbildungen handelt es sich um pränatal (vorgeburtlich) entstandene oder bereits angelegte Fehlgestaltungen eines Organs oder Organsystems. Sie können genetisch bedingt sein, spontan auftreten oder durch äußere Einflüsse, umweltbedingt, verursacht werden. 2-3 % der Neugeborenen in Deutschland weisen genetische Besonderheiten bzw. Fehlbildungen auf.
Folgende Bereiche können betroffen sein:
- Nervensystem (ICD-10: Q00-Q07)
- Augen, Ohren, Gesicht und Hals (ICD-10: Q10-Q18)
- Kreislaufsystem (ICD-10: Q20-Q28)
- Atmungssystem (ICD-10: Q30-Q34)
- Lippen-, Kiefer- und Gaumenspalte (ICD-10: Q35-Q37)
- Verdauungssystem (ICD-10: Q38-Q45)
- Genitalorgane (ICD-10: Q50-Q56)
- Harnsystem (ICD-10: Q60-Q64)
- Muskel-Skelett-System (ICD-10: Q65-Q79)
- Sonstige angeborene Fehlbildungen (ICD-10: Q80-Q89)
- Chromosomenanomalien (ICD-10: Q90-Q99)
Die Fehlbildung kann so stark ausgeprägt sein, dass die Lebensfähigkeit der betroffenen Person beeinträchtigt ist. Entscheidend für die Entstehung einer Fehlbildung ist der Zeitpunkt, zu dem die kindliche Entwicklung im Mutterleib gestört wird. Da bis zur 12. Schwangerschaftswoche (SSW) die Organe des Kindes angelegt werden, ist vor allem in diesem Zeitraum darauf zu achten, schädigende Einflüsse zu vermeiden. Das sorgsame und verantwortungsbewusste Verhalten der Mutter sollte selbstverständlich bis zum Ende der Schwangerschaft anhalten. Gerade die Entwicklung des Gehirns ist über die 12. SSW hinaus beeinflussbar.
Lässt sich eine offensichtliche Abweichung der Norm bei der Gestalt des Körpers oder von Körperteilen erkennen, spricht man von Deformitäten, welche sich pränatal (vorgeburtlich) begründen lassen. Sie betreffen das Muskel-Skelett-System. Beispiele sind Deformitäten der Hüfte, der Füße, des Kopfes, des Gesichts, der Wirbelsäure und des Thorax (Brustkorbs).
Wenn bei der DNA-Reparatur die falschen DNA-Stränge zusammengefügt werden, kommt es zu einer Chromosomenanomalie, z. B. Trisomie 21, auch Chromosomenmutation genannt. Dabei handelt es sich um klar mikroskopisch zu sehende strukturelle Veränderungen des Chromosoms (strukturelle Chromosomenaberrationen) wie z. B. eine Deletion (Verlust einer DNA-Sequenz), Insertion (Neugewinn einer Nukleinbase innerhalb einer DNA-Sequenz), Duplikation (Verdopplung einer spezifischen Sequenz) oder auch eine Translokation (Veränderung des Ortes eines Chromosomenabschnittes). Chromosomenanomalien können Erbkrankheiten oder Tumorerkrankungen hervorrufen.
Von Chromosomenmutationen abzugrenzen sind numerische Chromosomenanomalien. Dabei handelt es sich um klar mikroskopisch zu sehende zahlenmäßige Veränderungen des Chromosoms. Sie entstehen durch eine fehlerhafte Meiose (Reifeteilung). Beispiele für numerische Chromosomenanomalien sind Aneuploidie, z. B. Monosomie (das einmalige Vorhandensein eines eigentlich zweimal existierenden Chromosoms) oder Trisomie. Die Polyploidie (z. B. Triploidie) stellt ebenfalls eine numerische Chromosomenanomalie dar.
Ein Beispiel für eine Monosomie ist das Turner-Syndrom (Synonym: Ullrich-Turner-Syndrom): Mädchen/Frauen mit dieser Besonderheit haben lediglich ein funktionsfähiges X-Chromosom statt der üblichen zwei. Bei einer Trisomie handelt es sich um eine Extrakopie eines normalerweise zweifach vorhandenen Chromosoms. Häufigere Trisomien sind das Klinefelter-Syndrom (XXY) und das Down-Syndrom (Chromosom 21 überzählig). Bei einer Triploidie liegen drei vollständige haploide Chromosomensätze (69 Chromosomen statt 46) vor. Eine Triploidie führt im Regelfall zu einem Abort (Fehlgeburt).
Häufige angeborene Fehlbildungen, Deformitäten und Chromosomenanomalien
- Fußdeformitäten (Klumpfüße)
- Herzvitien (Herzklappenfehler)
- Hüftdysplasie (Fehlstellungen und Störungen der Verknöcherung (Ossifikation) des Hüftgelenks)
- Kleinwuchs
- Klinefelter-Syndrom – eine numerische Chromosomenaberration (hier: Aneuploidie) der Geschlechtschromosomen, die nur bei Jungen bzw. Männern auftritt, die sich vor allem durch Großwuchs und Hodenhypoplasie (zu kleine Hoden ) – bedingt durch einen hypogonadotropen Hypogonadismus (Keimdrüsenunterfunktion) – äußert
- Lippen-Kiefer-Gaumenspalte (LKG-Spalten)
- Maldeszensus testis (Hodenhochstand)
- Missbildungen an den Händen und Füßen – überzählige, fehlende oder zusammengewachsene Finger bzw. Zehen
- Nävus (gutartige Haut-/Schleimhautfehlbildungen; "Leberfleck"/"Muttermal")
- Spina bifida (Neuralrohrdefekt; "offener Rücken")
- Trisomie 21 (Down-Syndrom)
- Turner-Syndrom (Synonym: Ullrich-Turner-Syndrom)
- Zystische Nierenkrankheit – Vorkommen vieler Zysten (flüssigkeitsgefüllte Hohlräume)
Die wichtigsten Risikofaktoren für angeborene Fehlbildungen, Deformitäten und Chromosomenanomalien
Biographische Ursachen
- Genetische Belastung durch Eltern, Großeltern
- Genetische Erkrankungen
- Chromosomenanomalien
Verhaltensbedingte Ursachen
- Ernährung
- Fehlernährung in der Schwangerschaft
- Mikronährstoffmangel – Folsäure (Spina bifida, Herzvitien/Herzfehler), Vitamin B12 (Störung der Blutbildung), Jod (Hypothyreose/Schilddrüsenunterfunktion)
- Genussmittelkonsum
- Alkohol in der Schwangerschaft
- Rauchen in der Schwangerschaft
- Drogenkonsum in der Schwangerschaft
Krankheitsbedingte Ursachen
- Erhöhte Blutglucose (Blutzucker) der Schwangeren während der Organentwicklung im 1. Trimenon (Schwangerschaftsdrittel)
- Infektionserkrankungen während der Schwangerschaft – Röteln, Windpocken, Toxoplasmose
Medikamenteneinnahme – nur nach ärztlicher Rücksprache
- Antibiotika
- Antiepileptika
- Antikoagulantien (Blutverdünner)
- Neuroleptika – Benzodiazepine (Medikamente, die angstlösend, zentral muskelrelaxierend, sedierend und hypnotisch (schlaffördernd) wirken)
- Sexualhormone
- Zytostatika (Wirkstoffe in der Onkologie/Krebstherapie)
Umweltbelastung – Intoxikationen (Vergiftungen)
- Röntgenstrahlung während der Schwangerschaft
- Noxen, nicht weiter ausgeführt
Bitte beachten Sie, dass die Aufzählung nur einen Auszug der möglichen Risikofaktoren darstellt. Weitere Ursachen finden Sie unter der jeweiligen Krankheit.
Die wichtigsten diagnostischen pränatalen (vorgeburtlichen) Maßnahmen für angeborene Fehlbildungen, Deformitäten und Chromosomenanomalien
Allen Schwangeren stehen drei Basis-Ultraschall-Untersuchungen zu:
- zwischen der 8. und 11. SSW (Schwangerschaftswoche)
- zwischen der 18. und 21. SSW
- zwischen der 28. und 31. SSW
Im Ultraschall lassen sich bereits einige Fehlbildungen wie Skeletterkrankungen, Spina bifida, Herzvitien (Herzfehler), zystische Veränderungen der Niere und erweiterte Hirnkammern erkennen.
Für eine gezieltere Fehlbildungsdiagnostik sind diese Ultraschalluntersuchungen jedoch nicht ausreichend. Auf Wunsch bzw. bei begründetem Verdacht stehen folgende Untersuchungen im Rahmen der Fehlbildungsdiagnostik zur Verfügung:
- Nackenfaltentransparenzmessung mittels Sonographie (Ultraschalluntersuchung) – Durchführung optimalerweise zwischen der 11. und 14. Schwangerschaftswoche
- ist der Schädel größer als 45 mm, kann dies neben dem Down-Syndrom ebenso auf folgende andere Chromosomenstörungen hinweisen: Trisomie 10, Trisomie 13 (Pätau-Syndrom), Trisomie 15, Trisomie 16, Trisomie 18 (Edwards-Syndrom), Trisomie 22, Triplo-X-Syndrom (Trisomie X), Monosomie X (Turner-Syndrom), Klinefelter-Syndrom
- Zum Nachweis körperlicher Auffälligkeiten (Softmarker) als Hinweis auf chromosomale Aberrationen (Abweichungen):
- 3D-Ultraschall (dreidimensionale Darstellung des Feten/ungeborenen Kindes) – idealerweise zwischen der 12. und 16. Schwangerschaftswoche
- Feinultraschall (Organultraschall) – idealerweise zwischen der 19. und 20. Schwangerschaftswoche
- Screening-Tests im Rahmen der Pränataldiagnostik (PND; vorgeburtliche Diagnostik): nicht-invasive molekulargenetische pränatale Diagnostiktests zur Bestimmung von Chromosomenstörungen
- Amniozentese (Fruchtwasserpunktion; Zeitpunkt: 15.-17. SSW)
Welcher Arzt hilft Ihnen?
Die Pränataldiagnostik führt der Frauenarzt in Zusammenarbeit mit Ärzten der Labormedizin und der Humangenetik durch.