Lactoseunverträglichkeit (Lactoseintoleranz) – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Lactose, ein Disaccharid, wird im Dünndarm durch das Enzym Lactase (β-Galaktosidase) in die Monosaccharide Glucose und Galactose gespalten, die dann resorbiert werden. Bei Menschen mit Lactoseintoleranz ist die Aktivität dieses Enzyms reduziert oder fehlt vollständig, was zu einer Maldigestion der Lactose führt. Unverdaute Lactose gelangt in tiefere Abschnitte des Dünn- und Dickdarms, wo sie osmotisch aktiv Wasser ins Darmlumen zieht und von der Darmflora fermentiert wird. Dies führt zur Bildung von Gasen wie Methan, Kohlendioxid und Wasserstoff, was die typischen gastrointestinalen Symptome wie Flatulenzen (Blähungen) und Diarrhoe (Durchfall) verursacht.

Formen der Lactoseintoleranz

Primärer Lactasemangel

  • Hereditärer (kongenitaler) Lactasemangel: Diese seltene Form der Lactoseintoleranz wird durch einen genetischen Defekt verursacht, der zu einem vollständigen Mangel an Lactase führt (Alactasie). Sie manifestiert sich bereits im Säuglingsalter und führt zu schweren Diarrhoen nach der Aufnahme von Lactose. Weltweit sind nur sehr wenige Fälle beschrieben, mit einer Inzidenz von etwa 1:60.000 bis 1:130.000.
  • Erworbener (primärer) Lactasemangel: Diese weitaus häufigere Form ist gekennzeichnet durch eine altersabhängige Abnahme der Lactaseaktivität im Dünndarm. Die Prävalenz variiert stark geografisch und ethnisch. In Deutschland beträgt sie etwa 7-22 %, weltweit bis zu 70 % der Bevölkerung (vor allem in Asien und Afrika). Die genaue Ursache dieser physiologischen Lactase-Reduktion ist unklar, aber es wird vermutet, dass sie auf eine altersbedingte Veränderung der Darmmukosa oder Virusinfektionen zurückzuführen ist. In Kulturen mit traditionell hoher Milchverzehrmenge bleibt die Lactaseaktivität auch im Erwachsenenalter erhalten (Lactase-Persistenz).

Sekundärer Lactasemangel

Der sekundäre Lactasemangel entsteht infolge einer Schädigung der Dünndarmmukosa (Dünndarmschleimhaut) durch andere Erkrankungen wie Zöliakie, Morbus Crohn oder nach gastroenteralen Infektionen. Eine reduzierte Absorptionsfläche aufgrund einer beschädigten Darmepitheloberfläche führt zu einem funktionellen Lactasemangel, da Lactase in den Mikrovilli lokalisiert ist. Nach erfolgreicher Behandlung der Grunderkrankung kann sich die Lactaseaktivität oft wieder erholen. Auch nach Magenresektionen oder längerer Antibiotikatherapie kann es zu einem vorübergehenden Lactasemangel kommen, da diese Eingriffe die normale Darmflora und Verdauungsprozesse beeinträchtigen.

Hinweis zur individuellen Toleranz

Die Menge an Lactose, die symptomfrei vertragen wird, variiert stark. Laut der EFSA (2010) können die meisten Betroffenen bis zu 12 g Lactose (entspricht etwa 250 ml Milch) ohne Symptome verzehren. Einige wenige Patienten reagieren jedoch schon auf geringere Mengen (z. B. 3 g Lactose). Eine vollständige Eliminierung von Lactose ist in den meisten Fällen nicht notwendig, da der Grad der Enzymaktivität variiert.

Sonderformen der Lactoseunverträglichkeit

  • Glucose-Galactose-Malabsorption: Diese seltene autosomal-rezessive Störung betrifft den Transport von Glucose und Galactose im Dünndarmepithel und kann ebenfalls zu schweren osmotischen Durchfällen führen. Da Lactose in Glucose und Galactose gespalten wird, müssen Betroffene eine Diät einhalten, die arm an Glucose, Galactose, Lactose und Saccharose ist.
  • Galaktosämie: Patienten mit Galaktosämie weisen eine gestörte Verstoffwechselung von Galactose auf und müssen daher eine galactose- und lactosefreie Diät einhalten.

Ätiologie (Ursachen)

Biographische Ursachen

  • Genetische Belastung
    • Genetisches Risiko abhängig von Genpolymorphismen:
      • Gene/SNPs (Einzelnukleotid-Polymorphismus; engl.: single nucleotide polymorphism):
        • Gene: MCM6
        • SNP: rs4988235 im Gen MCM6
          • Allel-Konstellation: CT (20 % sind lactoseintolerant)
          • Allel-Konstellation: CC (77 % sind lactoseintolerant)
  • Ethnische Herkunft
    • Unterschiedliche Häufigkeit des Lactasemangels in den verschiedenen ethnischen Bevölkerungsgruppen:
      • Asien 80-100 %
      • Afrika 70-95 %
      • USA 15-80 %
      • Europa 15-70 %
      • Deutschland ca. 15 %
  • Hauttyp – Dunkelhäutigkeit (Lactasemangel)
  • Lebensalter – mit zunehmendem Lebensalter nimmt die Lactaseaktivität im Dünndarm kontinuierlich ab

Verhaltensbedingte Ursachen

  • Genussmittelkonsum
    • Chronischer Alkoholabusus

Krankheitsbedingte Ursachen

  • Akute Gastroenteritiden (Magen-Darm Infektionen) → passagere sekundäre Lactoseintoleranz
  • Bakterielle Fehlbesiedlung des Dünndarms (engl. small intestinal bacterial overgrowth sndrome, (SIBOS))
  • Chronisch entzündliche Darmerkrankungen wie Colitis ulcerosa, Morbus Crohn
  • Infektiöse Enteritis und Infektionserkrankungen  passagere sekundäre Lactoseintoleranz
    • Enteropathogene Escherichia coli (EPEC)
    • HIV
    • Norovirusinfektion
  • Intestinale Lymphangiektasien (Lymphgefäßerweiterungen im Darm)
  • Kurzdarmsyndrom – Malabsorptionsymptome, z. B. aufgrund einer Dünndarmresektion (Dünndarm Teilentfernung)
  • Morbus Whipple – chronische Infektionserkrankung, die durch die Actinomycete Tropheryma whippelii (grampositives Stäbchenbakterium) verursacht wird und den Dünndarm betrifft.
  • Strahleninduzierte Enteritis (Darmentzündung; Bestrahlung im Rahmen einer Tumortherapie)
  • Zöliakie (gluteninduzierte Enteropathie) – chronische Erkrankung der Dünndarmmukosa (Dünndarmschleimhaut), die auf einer Überempfindlichkeit gegen das Getreideeiweiß Gluten beruht

Medikamente

  • Antibiotika
  • Zytostatika

Weitere Ursachen

  • Gastrektomie (vollständige Magenentfernung) bzw. Magenresektion (Teilentfernung des Magens); Teilresektion des Dünndarms
  • Chemotherapie
  • Radiatio (Strahlentherapie)