Herzinfarkt (Myokardinfarkt) – Einleitung
Ein Myokardinfarkt, klinisch als Herzinfarkt bezeichnet, ist eine kritische kardiologische Notfallsituation, bei der es infolge einer akuten Koronarokklusion (Verstopfung einer Herzkranzarterie) zu einer ischämischen Nekrose (Absterben von Gewebe aufgrund von Sauerstoffmangel) des Myokards (Herzmuskel) kommt. Die resultierende Schädigung des Herzmuskelgewebes ist in der Regel irreversibel, da nekrotisches Gewebe (abgestorbenes Gewebe) nicht regeneriert werden kann, was zu einer dauerhaften Beeinträchtigung der kardialen Funktion (Herzfunktion) führen kann.
Synonyme und ICD-10: AMI; Acute myocardail infarction; Koronarinfarkt; Koronarinsult; Myocardial infarction; ICD-10-GM I21.-: Akuter Myokardinfarkt
Der Myokardinfarkt ist eine der häufigsten Todesursachen in den Industrieländern.
In der Mehrzahl der Fälle liegt der "klassische" Typ-1-Infarkt vor, dem ein thromboembolisches Ereignis zugrunde liegt (s. u. "Klassifikation").
Formen des Myokardinfarkts
Der akute Myokardinfarkt (Herzinfarkt) kann anhand des EKGs (Elektrokardiogramm: Aufzeichnung der elektrischen Aktivitäten des Herzmuskels) wie folgt eingeteilt werden:
- Nicht-ST-Hebungsinfarkt (NSTEMI; engl.: non ST-segment-elevation myocardial infarction)
- ST-Hebungsinfarkt (STEMI; engl.: ST-segment-elevation myocardial infarction)
Unter dem Begriff akutes Koronarsyndrom (AKS; acute coronary syndrome, ACS) fallen:
- instabile Angina pectoris (iAP; "Brustenge"; plötzlich auftretender Schmerz in der Herzgegend; engl. unstable angina, UA) – man spricht von einer instabilen Angina pectoris, wenn die Beschwerden gegenüber den vorausgegangenen Angina pectoris-Anfällen in ihrer Intensität oder Dauer zugenommen haben
- akuter Myokardinfarkt (Herzinfarkt):
- Nicht-ST-Hebungsinfarkt (NSTEMI; engl.: non ST-segment-elevation myocardial infarction; NSTE-ACS)
- ST-Hebungsinfarkt (STEMI; engl.: ST-segment-elevation myocardial infarction)
Von einem frühen Herzinfarkt spricht man bei Männern vor dem 40. Lebensjahr und bei Frauen vor dem 45. Lebensjahr. In solchen Fällen liegen häufig genetische Ursachen vor [6].
Von einem stummen Herzinfarkt spricht man, wenn dieser keine oder keine eindeutigen Symptome aufweist und deshalb unbemerkt bleibt. Die Prävalenz (Krankheitshäufigkeit) des stummen Myokardinfarkts ist in der Gruppe der Senioren am höchsten.
Zur weiteren Klassifikation des Myokardinfarkts siehe unter “Klassifikation“.
Epidemiologie
Geschlechterverhältnis: Männer zu Frauen beträgt 2 : 1.
Häufigkeitsgipfel: Das Risiko für einen Myokardinfarkt steigt bei Männern ab dem 40. Lebensjahr und bei Frauen ab dem 50. Lebensjahr signifikant an und erreicht den Höhepunkt sowohl bei Männern als auch bei Frauen in der Altersgruppe der 65- bis 74-Jährigen.
Im Folgenden eine Übersicht zur Lebenszeitprävalenz (Krankheitshäufigkeit während des gesamten Lebens) von Myokardinfarkt bei Erwachsenen im Alter von 40-79 Jahren nach Alter und Geschlecht [1]:
40-49 Jahre [in %] |
50-59 Jahre [in %] |
60-69 Jahre [in %] |
70-79 Jahre [in %] |
Gesamt [in %] |
|
Frauen (n = 3.073) |
0,6 |
0,1 |
4,7 |
6,0 |
2,5 |
Männer (n = 2.766) |
2,3 |
3,8 |
11,9 |
15,3 |
7,0 |
Gesamt (n = 5.389) |
1,5 |
2,0 |
8,2 |
10,2 |
4,7 |
Jedes Jahr erleiden ca. 280.000 Menschen in Deutschland einen Myokardinfarkt.
Über drei Viertel der Patienten mit einem Myokardinfarkt vor dem 55. Lebensjahr sind Raucher. Des Weiteren spricht das Vorliegen einer Hypercholesterinämie und einer positiven Familienanamnese stärker für einen Myokardinfarkt in jüngeren Jahren [3].
Die Inzidenz (Häufigkeit von Neuerkrankungen) beträgt 250-300 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner pro Jahr in Deutschland, ebenso in Nordamerika, Österreich, Niederlande und Polen. Die geographischen Unterschiede der Inzidenz sind groß:
- Japan: < 100 pro 100.000 Einwohner/Jahr
- Mittelmeerländer, Schweiz, Frankreich: 100-200 pro 100.000 Einwohner/Jahr
- Dänemark, Skandinavien: 300-400 pro 100.000 Einwohner/Jahr
- Irland, England, Ungarn: 400-500 pro 100.000 Einwohner/Jahr
- Nord-Irland, Schottland, Finnland: > 500 pro 100.000 Einwohner/Jahr
Verlauf und Prognose
Verlauf
Für den weiteren Verlauf und die Überlebenschancen des Betroffenen sind die ersten beiden Stunden nach Eintritt des Myokardinfarktes von entscheidender Bedeutung. Die Mehrzahl der Todesfälle ereignet sich in diesem Zeitraum. Kammerflimmern ist dabei die häufigste Todesursache.
Wenn es schnell gelingt, durch entsprechende Sofortmaßnahmen (perkutane koronare Intervention (PCI) bzw. medikamentöse Thrombolyse) die Durchblutung des verschlossenen Gefäßes wiederherzustellen, entsteht an dem mit Blut unterversorgten Myokard (Herzmuskel) kein dauerhafter Schaden.
Nach einem Myokardinfarkt ist eine Überwachung auf der Intensivstation erforderlich, da in der Regel ein hohes kardiovaskuläres Postinfarktrisiko besteht und eine Sekundärprävention (Vorbeugung eines erneuten Infarktes) nötig ist.
Prognose
- In der Abgrenzung von Typ-1-Infarkt-Patienten (häufigste Infarktform) scheint hinsichtlich Risikoprofil und Prognose nur das Vorliegen von relevanten Koronarstenosen von Bedeutung zu sein. Typ-1- und Typ-2-Infarkt sind prognostisch vergleichbar, wenn keine obstruktive koronare Herzkrankheit vorliegt [1].
- Patienten mit Typ-2-Infarkt bzw. nicht-ischämischen Myokardschaden hatten eine höhere Krankenhaus-Mortalität als Patienten mit Typ-1-Infarkt (17,9 % versus 14,0 %). Dagegen war das Risiko der kardiovaskulären Mortalität nach einem Typ-1-Infarkt um 68 % erhöht. Patienten mit nicht-ischämischen Myokardschaden hatten ein höheres Risiko für Tod jedweder Ursache (+43 %), aber ein niedrigeres Risiko für einen kardiovaskulär bedingten Tod (-57 %). Die Langzeitprognose (hier im Mittel drei Jahre) stellte sich wie folgt dar: Typ-1-Infarkt mit einer Mortalität von 31,7 %, Typ-2-Infarkt mit einer Mortalität von 62,2 % und Patienten mit nicht-ischämischen Myokardschaden hatten eine Mortalität von 58,7 % [9].
- Patienten, die im Alter unter 50 Jahren erstmals einen akuten Myokardinfarkt hatten, wiesen in ca. 30 % der Fälle eine linksventrikuläre Dysfunktion (LVEF < 50 %) auf. Mehr als 40 % davon zeigten eine LVEF-Erholung, die mit einer relativ niedrigen Gesamt- und kardiovaskulären Mortalität einherging [12].
- Die Letalität beim akuten Myokardinfarkt beträgt ca. 50 %. Zwei Drittel dieser Todesfälle ereignen sich vor der Klinikaufnahme.
- Die Krankenhaus-Mortalität betrug in einer Studie mit mehr als 30.000 Betroffenen bei Frauen 4,1 % und bei Männern 3,6 % (kein statistischer Unterschied) [8]. Allerdings sterben Frauen unter 50, die einen Myokardinfarkt haben, in den darauffolgenden Jahren häufiger als Männer [13].
- Auch noch ein Jahr nach dem Myokardinfarkt beträgt das Risiko für kardivaskuläre Ereignisse noch 20 % für die Dauer von 36 Monaten [2].
- Frauen haben im ersten Jahr nach einem Myokardinfarkt ein 1,5-fach höheres Mortalitätsrisiko als Männer mit vergleichbarer Krankheitsgeschichte [5].
- Bei Patienten mit Myokardinfarkt mit nicht-obstruktiven Koronararterien (engl. myocardial infarction with non-obstructive coronary arteries, MINOCA) hatten 18,7 % der Patienten innerhalb eines Jahres ein erneutes schwerwiegendes kardiovaskuläres Ereignis (MACE) und die Einjahressterblichkeit betrug 12,3 %; Myokardinfarktpatienten mit makroskopischer Koronarobstruktion (MICAD) hatten in 27,6 % der Fälle ein MACE und die Einjahressterblichkeit betrug 16,7 % [11].
- Die 5-Jahres-Mortalität von Patienten mit einem ST-Hebungs-Myokardinfarkts (STEMI) ist in hohem Maße von einer erfolgreichen Durchführung einer Katheter-Intervention (PCI) in der Akuttherapie des Infarktes abhängig. Die Akut-Mortalität der Patienten betrug 8,4 %, nach fünf Jahren waren 21,3 % der Patienten verstorben. Prädiktoren für ein erhöhtes Langzeit-Mortalitätsrisiko waren ein Alter > 75, eine eingeschränkte Nierenfunktion mit Kreatininwerten von > 2 mg/dl und die Größe des Infarktes mit CK-Werten von > 3.000 U/I [7].
- Herzinfarkt-Patienten ohne klassische Risikofaktoren (Hypertonie, Hypercholesterinämie, Diabetes mellitus, Nichtraucher), die ca. 15 % aller Patienten mit einem ST-Hebungsinfarkt (STEMI) vermeintlich ohne Vorboten ausmachten, wiesen die höchste 30-Tages-Mortalität auf; 17,6 % der Patientinnen starben innerhalb dieser Zeit. Nach einem Beobachtungszeitraum von 8 bis 12 Jahren zeigten die vermeintlichen Niedrigrisiko-Patienten eine überhöhte Gesamtmortalität (bis zu 8 Jahre für Männer, 12 Jahre für Frauen). Auch im Krankenhaus starben diese Patienten eher als andere (9,6 % vs. 6,5 %; p < 0,0001) [14].
- Nicht nur bei Patienten mit ST-Hebungsinfarkt (STEMI) sinken die Überlebenschancen beträchtlich, wenn sie nicht sofort in ein Krankenhaus kommen, sondern auch für NSTEMI-Patienten (Nicht-ST-Hebungsinfarkt). Die 3-Jahres-Mortalität für "Späteintreffer" und die Häufigkeit von Todesfällen, erneuten Infarkten sowie Klinikweisungen wegen Herzinsuffizienz (sekundärer Endpunkt) war für Patienten, die innerhalb von 24 Stunden in ein Krankenhaus (Symptom-to-Door-Zeit von ≥ 24 Stunden) gekommen waren, signifikant erhöht (17,0 % versus 10,5 %). Dasselbe Bild zeigte sich beim sekundären Endpunkt (23,3 % vs. 15,7 %) [15].
- Beim stummen Herzinfarkt ist die 5-Jahres-Mortalität deutlich höher als bei Personen ohne Infarktzeichen (13 % versus 8 %); nach 10 Jahren ist die Infarktmortalität nahezu angeglichen (49 % versus 51 %) [10].
Literatur
- Gößwald A, Schienkiewitz A, Nowossadeck E, Busch MA: Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring, Robert Koch-Institut, Berlin
Prävalenz von Herzinfarkt und koronarer Herzkrankheit bei Erwachsenen im Alter von 40 bis 79 Jahren in Deutschland. Ergebnisse der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS1), Bundesgesundheitsbl 2013; 56:650-655; Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013 - Jernberg T, Hasvold P, Henriksson M, Hjelm H, Thuresson M, Janzon M: Cardiovascular risk in post-myocardial infarction patients: nationwide real world data demonstrate the importance of a long-term perspective. Eur Heart J. 2015 Jan 13. pii: ehu505.
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