Bandscheibenschaden (Diskopathie) – Operative Therapie
Voraussetzung für eine operative Intervention ist das Vorliegen einer entsprechenden lokalen klinischen Symptomatik oder einer Radikulopathie (Reizung oder Schädigung der Nervenwurzeln) mit einem korrespondieren bildgebenden Befund (CT, MRT).
Grundsätzlich ist ein penible Abklärung der OP-Indikation erforderlich! Eine Zweitmeinung kann sinnvoll sein.
Indikationen
Absolute Indikation für eine operative Notfallintervention [Leitlinien: 1, 2]
- Kaudasyndrom (Rückenschmerzen, sensible Störungen im Gesäß- und Oberschenkelbereich sowie plötzlich einsetzende Inkontinenz (ungewollter Abgang von Ausscheidungen (Stuhl, Urin))) mit Paraparese (operative Versorgung innerhalb von 24 Stunden!),
- Blasen- und Mastdarmstörungen, die auf eine Kaudakompression zurückzuführen sind progrediente und akut aufgetretene funktionell relevante Paresen vom Kraftgrad ≤ 3/5,
- Unerträgliche Schmerzen, da die Mobilitätseinschränkung eine konservative Therapie nicht zulässt [3]
Relative Indikationen
- Sensible Defizite und therapieresistente Schmerzen bei übereinstimmender Klinik und Bildgebung
- Starke Schmerzen, die zur Immobilität führen und sich trotz konservativer Therapie nicht innerhalb von vier Wochen besserten
- Rezidivierende Schmerzen, die zur Arbeitsunfähigkeit führen
Beachte: In allen anderen Fällen ohne Notfallindikation ist die primär konservative Therapie Mittel der Wahl.
Des Weiteren ist zu beachten, dass nach länger als 6 Monate bestehenden Symptomen das postoperative Ergebnis im Falle einer operativen Intervention sich mit dem Zeitverlauf verschlechtert. Zu langes Warten wird damit die Gefahr einer Chronifizierung. [2].
Klassische Verfahren
- Mikrochirurgische Sequestrektomie (Entfernung des losgelösten Bandscheibenstückes) bei transligamentären oder sequestrierter Vorfällen (Therapie der Wahl)
- Offene Diskektomie (OD) in mikrochirurgischer Technik (= mikroendoskopische Diskektomie (MED)) über einen ventralen Zugang mit interkorporeller Spondylodese (Wirbelsäulenversteifung)
- Transforaminale endoskopische lumbale Diskektomie (TELD) – gewebeschonende Alternative zum bisherigen Standard, der mikrochirurgischen Sequestrektomie (s. o)
- Partielle Hemilaminektomie (Abtragung eines Teils des Wirbelbogens) und Diskektomie (operative Entfernung der Bandscheibe) (obsolet)
- Arthrodese (Versteifung des Gelenkes) der Wirbelkörper (nur in Ausnahmefällen)
Hinweis: MED und TELD wurden als Alternativen zu OD entwickelt.
Nachfolgend die Darstellung der Verfahren zur operative Behandlung der Bandscheiben-bedingten Radikulopathie (Reizung oder Schädigung der Nervenwurzeln).
Siehe auch unter CT-gesteuerte periradikuläre Therapie (PRT) wg. Schmerztherapie bei radikulärer Beschwerdesymptomatik.
Perkutane Interventionsverfahren
Indikationen zu den nachfolgend genannten dekompensierten Verfahren:
- Radikulopathie ≥ 6 Monate und Therapieresistenz auf eine konservative Therapie
- Korrelierender Befund in Computertomographie (CT)/Magnetresonanztomographie (MRT)/Diskographie (röntgengestütztes Verfahren zur Darstellung der Bandscheibe mittels Injektion eines Kontrastmittels) (Bandscheibenprolaps ≤ Dislokationsgrad 3 nach Krämer)
- Positive Nervendehnungszeichen (z. B. Lasègue), ≥ 60 % residuelle Bandscheibenhöhe
Dekompressive Verfahren bei der Behandlung des lumbalen Bandscheibenprolaps (Bandscheibenvorfall im Bereich der Lendenwirbelsäule) (elektive Indikationsstellung alternativ zur mikrochirurgischen Sequestrektomie):
- Chemonukleolyse (Chymopapain, Ozon, Ethanol) – enzymatische Auflösung von Anteilen des Nucleus pulposus (Gallertkern)
- Nukleoplastie (Coblation, "cooler controlled ablation“) – Entfernung von Bandscheibengewebe mittels Cobalation (Kurzform von Controlled Ablation) unter Verwendung bipolarer Radiofrequenz-Technologie (RAF-Technologie) mittels derer ein plasmainduzierte Gewebespaltung erzeugt wird.
- Perkutane Laserdiskusdekompressionen (PLDD) – Vaporisation (Verdampfung) von Nukleusgewebe und Schrumpfung des Anulus mittels Einführung eines Lasers (Dioden-, Holmium-, Nd:YAG-Laser) über eine Hohlnadel
- Perkutane manuelle und automatisierte Diskusdekompression – automatisierte perkutane lumbale Diskektomie (Bandscheibenentfernung; APLD) durch einen kombinierten Schneide- und Absaugvorgang mittels eines sogenannten Nukleotoms
Indikationen zu den nachfolgend genannten Verfahren bei diskogenen lokalen Rückenschmerzen:
- Dauer ≥ 6 Monate und Therapieresistenz auf eine konservative Therapie
- Diskographie positiv
- ≥ 60 % residuelle Bandscheibenhöhe
- Unauffällige Neurologie, Nervendehnungszeichen negativ
- Keine Nervenwurzelkompression in CT/MRT
Verfahren bei diskogenen lokalen Rückenschmerzen:
- Intradiskale Elektrotherapie (IDET) – shrinking“, d. h. Denaturierung des Kollagens und damit Kontrahierung desselben sowie thermische Ablation (lat. ablatio "Abtragung, Ablösung") von Nozizeptoren (Schmerzrezeptoren) mittels einer Termosonde, die in die Bandscheibe eingeführt und beginnend bei 65 °C auf 90 °C erhitzt wird.
- Intradiskale Biacuplastie (IDB) – thermale Prozedur am Anulus mittels RF-Technologie
Weitere Hinweise
- In einem systematischen Reviews (21.180 Patienten) und einer prospektiven Studie wurde die Häufigkeit erneuter Rückenschmerzen und eines Hernienrezidiv nach operativer Behandlung einer lumbalen Diskushernie untersucht: Im systematischen Review hatten Patienten zwei Jahre postoperativ in 3-34 % ein Rückenschmerzrezidiv, längerfristig waren es 5-36 %. Ein Hernienrezidiv entwickelten innerhalb von 2 Jahren zwischen 0 bis 23 % der Patienten.
In der prospektiven Studie zeigten sich eine Ein-Jahres-Rate von 22 % der Patienten bzw. Zwei-Jahres-Rate von 26 % der Patienten mit einer Verschlechterung der Schmerzen im unteren Rückenbereich oder Zunahme einer Funktionseinbuße im Vergleich zu den drei Monaten zuvor [1]. - Transforaminale endoskopische lumbale Diskektomie (TELD; s. o.): weniger Schmerzen in beiden und Rücken nach TELD. 16,5 % der Patienten waren mit dem Ergebnis nicht zufrieden; sechs, ein Prozent mussten sich einer erneuten Bandscheibenoperation unterziehen. Das unbefriedigende Resultat war signifikant assoziiert mit [4]:
- BMI (Body-Mass-Index, Körpermasse-Index) ≥ 25,
- vorherige Bandscheiben-Operation (Diskektomie auf derselben Ebene oder Fusion im angrenzenden Segment),
- präoperativ bestehender motorischer Schwäche,
- hohem präoperativen Behinderungsgrad (Oswestry Disability Index; ODI ≥ 54).
Literatur
- Parker SL et al.: Incidence of Low Back Pain After Lumbar Discectomy for Herniated Disc and Its Effect on Patient-reported Outcomes. Clin Orthop Relat Res 2015; online 19. Februar; doi: 10.1007/s11999-015-4193-1
- Weinstein JN, Lurie JD, Tosteson TD, Skinner JS, Hanscom B, Tosteson AN, Herkowitz H, Fischgrund J, Cammisa FP, Albert T et al (2006) Surgical vs nonoperative treatment for lumbar disk herniation: the Spine Patient Outcomes Research Trial (SPORT) observational cohort. JAMA 296(20):2451-2459
- Czabanka M et al.: Operative treatment of degenerative diseases of the lumbar spine. Nervenarzt 2018;89:639-647 doi: 10.1007/s00115-018-0523-3.
- Jitpakdee K et al.: .Factors associated with incomplete clinical improvement in patients undergoing transforaminal endoscopic lumbar discectomy for lumbar disc herniation European Spine Journal 2023 https://doi.org/10.1007/s00586-023-07636-1
Leitlinien
- Glocker F et al.: Lumbale Radikulopathie, S2k-Leitlinie, 2018; in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie; www.dgn.org/leitlinien
- S2k-Leitlinie zur konservativen, operativen und rehabilitativen Versorgung bei Bandscheibenvorfällen mit radikulärer Symptomatik. AWMF-Registernr. 033-048. https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/033-048l_S2k_Konservative-operative_rehabilitative-Versorgung-Bandscheibenvorfall-radikulae_2020-09_01.pdf