Ertrinken – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Das Ertrinken beschreibt den Prozess des Atemversagens infolge des Eintauchens oder Untertauchens in Flüssigkeit. Es gibt zwei Haupttypen des Ertrinkens: das typische Ertrinken, bei dem es zu einem längeren Überlebenskampf an der Wasseroberfläche kommt, und das atypische Ertrinken, bei dem die Person rasch erstickt, ohne wiederholt Luft zu holen. Der Ertrinkungsvorgang wird durch verschiedene Faktoren beeinflusst, darunter Wassertemperatur, Hypothermie und individuelle körperliche Gegebenheiten.

Primäre pathophysiologische Mechanismen

Typisches Ertrinken

Das typische Ertrinken ist ein gestufter Prozess, der sich durch verschiedene Phasen der Atemnot und schrittweise Verschlechterung der Sauerstoffversorgung auszeichnet. Diese Phasen beinhalten [1]:

  • Phase der Inspiration an der Wasseroberfläche: Der Ertrinkende atmet zunächst Luft an der Wasseroberfläche ein, um Sauerstoff zu gewinnen. Diese Phase kann von Panik begleitet sein.
  • Apnoephase (Atemanhalten): Nach dem Untertauchen versucht der Ertrinkende, willentlich das Atmen anzuhalten, was zu einem Anstieg von CO2 (Kohlenstoffdioxid) im Blut führt (Hyperkapnie). Die CO2-Retention reizt das Atemzentrum im Gehirn, was einen unwillkürlichen Atemreflex auslöst.
  • Einatmen von Wasser: Nach wiederholtem Luftschnappen kommt es zum Ausatmen von Luft und Einatmen von Wasser, das sich in den Lungen mit Luft und Schleim vermischt und zur Dyspnoe (Atemnot) führt. Diese Phase ist gekennzeichnet durch Erstickungskonvulsionen (Erstickungskrämpfe) und führt schließlich zum Bewusstseinsverlust.
  • Präterminale Lähmung: Der Sauerstoffmangel führt zu einer Lähmung des Gehirns, was den Tod zur Folge hat.
  • Dauer des Überlebenskampfs: Dieser Prozess des wiederholten Auftauchens und Luftschnappens kann bis zu 15 Minuten andauern.

Atypisches Ertrinken

Beim atypischen Ertrinken erstickt die Person schneller, ohne wiederholte Atemversuche an der Wasseroberfläche. Es kommt rasch zur Aspiration von Wasser (Einatmen von Wasser), und die typischen Zeichen wie Panik und wiederholtes Luftholen bleiben aus. Dies führt zu einer schnelleren Atemwegsobstruktion und einem raschen Eintritt des Todes.

Sekundäre pathophysiologische Veränderungen

Hypothermie und Wassertemperatur

Die Wassertemperatur spielt eine entscheidende Rolle für das Überleben des Ertrinkenden, da sie die Leistungsfähigkeit der Muskelzellen und die Reizweiterleitung in den Nervenbahnen beeinflusst. In kaltem Wasser treten folgende Veränderungen auf:

  • Kältestarre: Die Muskelkontraktionen und die Greifkraft nehmen schnell ab, was die Bewegungsfähigkeit stark einschränkt. Dies führt dazu, dass der Ertrinkende nicht mehr in der Lage ist, eine Schwimmhilfe zu nutzen oder sich selbst zu retten.
  • Hypothermie: Von einer Hypothermie spricht man, wenn die Körpertemperatur unter 35 °C fällt. Die Geschwindigkeit, mit der die Unterkühlung eintritt, hängt von Faktoren wie Körpermasse, Körperfett, isolierender Bekleidung, Wasserbewegung und dem Ernährungszustand des Ertrinkungsopfers ab [2].

Die folgende Tabelle zeigt die maximalen Überlebenszeiten im kalten Wasser in Abhängigkeit von der Wassertemperatur [2]:

Wassertemperatur Zeit bis zur Bewusstlosigkeit Mögliche Überlebenszeit
0,3 °C < 15 Minuten bis 45 Minuten
0,3-4,5 °C 15-30 Minuten 30-90 Minuten
4,5-10,0 °C 30-60 Minuten 1-3 Stunden
10,0-15,5 °C 1-2 Stunden 1-6 Stunden
15,5-21,0 °C 2-7 Stunden 2-40 Stunden
21,0-26,5 °C 2-12 Stunden 3 Stunden bis (unbestimmt)
> 26,5 °C (unbestimmt) (unbestimmt)

Hypoxie und Tod durch Ertrinken

Unabhängig von der Wassertemperatur führt der Ertrinkungsprozess zu einer fortschreitenden Hypoxie (Sauerstoffmangel) und einer Hyperkapnie (Erhöhung des CO2-Gehalts im Blut). Dies führt zu einer verminderten Sauerstoffversorgung des Gehirns, die sich in einem Bewusstseinsverlust und später in einer zerebralen Lähmung manifestiert.

Klinische Manifestation

Typisches Ertrinken

  • Erstickungskonvulsionen: Die Einatmung von Wasser in die Atemwege führt zu Krämpfen, die als Erstickungskonvulsionen bezeichnet werden. Diese Krämpfe können schmerzhaft und unkontrollierbar sein.

  • Bewusstseinsverlust: Aufgrund des zunehmenden Sauerstoffmangels verliert der Ertrinkende das Bewusstsein, bevor der Tod eintritt.

Atypisches Ertrinken

  • Rasche Bewusstlosigkeit: Beim atypischen Ertrinken fehlt die Phase des wiederholten Luftholens, sodass die Person sehr schnell das Bewusstsein verliert und stirbt.

Progression und Organbeteiligung

Zentrale Auswirkungen

  • Schädigung des Gehirns: Durch die Hypoxie kommt es zu irreversiblen Schäden im zentralen Nervensystem, was eine vollständige Lähmung und schließlich den Tod zur Folge hat.

Systemische Auswirkungen

  • Multiorganversagen: Das fortgeschrittene Ertrinken führt zum Versagen mehrerer Organsysteme, insbesondere des Herz-Kreislauf- und Atmungssystems, wenn die Hypoxie und die Gewebeschäden nicht umgehend behandelt werden.

Funktionelle Auswirkungen und strukturelle Schäden

  • Schleimansammlung und Wasser in den Lungen: Die Aspiration von Wasser und die verminderte mukoziliäre Clearance führen zu einer Ansammlung von Flüssigkeit und Schleim in den Lungen, die den Gasaustausch blockieren.
  • Muskelstarre und Bewegungsunfähigkeit: Die Kälte des Wassers führt zu einer raschen Muskelstarre, die die Überlebenschancen des Ertrinkenden weiter verringert.

Regenerative und kompensatorische Prozesse

Hypothermie als Schutzmechanismus

In einigen Fällen kann Hypothermie als schützender Faktor wirken, da sie den Stoffwechsel verlangsamt und den Sauerstoffbedarf des Körpers reduziert. Diese Kältekonservierung kann die Überlebenschancen bei einer späteren Reanimation erhöhen, ist jedoch stark von der Wassertemperatur und der Dauer der Exposition abhängig.

Zusammenfassung und klinische Relevanz

Das Ertrinken ist ein komplexer Prozess, der durch eine gestörte Atemfunktion, Hypoxie und in vielen Fällen Hypothermie gekennzeichnet ist. Die Unterscheidung zwischen typischem und atypischem Ertrinken ist wichtig für das Verständnis der pathophysiologischen Mechanismen. Die Überlebenschancen hängen stark von der Wassertemperatur und der Dauer des Überlebenskampfs ab, wobei Hypothermie sowohl schützende als auch tödliche Auswirkungen haben kann. Ein rasches Eingreifen ist entscheidend, um irreversible Hirnschäden und Tod zu verhindern.

Ätiologie (Ursachen)

Typisches Ertrinken (Ertrinkungstod)

Biographische Ursachen

  • Flüchtlinge – die Mehrheit der Asylsuchenden ist Nichtschwimmer

Verhaltensbedingte Ursachen

  • Genussmittelkonsum
    • Alkohol – Reaktionsvermögen und Koordinationsfähigkeit des Ertrinkenden sind dadurch herabgesetzt.
  • Drogenkonsum
  • Schlechte körperliche Verfassung
  • Ungeübte Schwimmer
  • Überschätzung der eigenen Kräfte
  • Übermütiges Verhalten

Atypisches Ertrinken

Krankheitsbedingte Ursachen

  • Die Person wird gewaltsam unter Wasser gedrückt/gebracht (Tötungsdelikt) oder befindet sich unfallbedingt in einem Fahrzeug, das sinkt.
  • Bewusstlosigkeit durch ein Schädel-Hirn-Trauma (SHT) – z. B. bei Kopfsprüngen oder Unfällen, die zum Sturz ins Wasser führen, z. B. Bootsunglücke
  • Internistische Grundursache (Intoxikation, Krampfanfall etc.)
  • Suizid (ggf. zusätzlich Substanzabusus)

Literatur

  1. Reinhardt G, Seidel H, Sonntag H, Gaus W, Hingst V, Mattern R: Ökologisches Stoffgebiet: 403-8, Stuttgart 1991, 24
  2. US-Search and Rescue Task Force (2002)